AERZTE Steiermark | Februar 2018

COVER 10 ÆRZTE Steiermark  || 02|2018 Drei „Kundengruppen“ Häufig sind es Menschen in existenziell bedrohlichen Si- tuationen, die sich an einen Wunderheiler wenden. „Ohne eine Schuld zuweisen zu wol- len – oft bleibt im ärztlichen Alltag nicht genügend Zeit, Usar ortet noch zwei weitere „Kundengruppen“: „Es gibt auch welche, die einfach aus purer Neugierde hingehen.“ Sie machen das Gros jener Zuhörerschaft aus, die in rie- sige Hallen pilgern, um dort jenen schillernden Persön- lichkeiten zu lauschen, die gerade viel von sich reden machen. „Durch das Gemein- schaftserlebnis kann dort durchaus eine Art Sog ent- stehen“, erklärt Psychoonko- login Andritsch. „Oft klingt dann eine simple Erklärung, warum etwas wirken soll, sehr plausibel und gibt Kontrolle über etwas scheinbar nicht Kontrollierbares.“ Als dritte Gruppe identifiziert Usar jene – oft hochgebil- deten – Menschen, die sich intensiv mit ihrer Gesundheit beschäftigen, denen aber die Grenzen des do-it-yourself- Verfahrens nicht bewusst sind. „Der Übergang von ei- ner Befindlichkeitsstörung zu einer Krankheit ist für ei- nen Laien eben nicht erkenn- bar.“ Ebenso wenig wie die Vertrauenswürdigkeit ihrer Quellen (siehe Kasten). Diese Menschen lassen sich vom Arzt nicht mit einer wenig zufriedenstellenden Antwort um einen Patienten nach ei- ner deprimierenden Diagnose entsprechend zu begleiten“, sagt Homöopath Usar. Dann gehen sie eben zum Gesund- heitsguru – dieser lässt sich leicht finden, durch Mund- propaganda oder im Internet. abspeisen. Sie müssen ernst genommen werden, auf ihrem Wissensstand abgeholt und dann weiter betreut werden. Generell ließe sich aber nicht sagen, wer zum Gesundheits- guru geht und wer nicht, er- läutert die Psychoonkologin. „Niemand ist davor gefeit.“ Sie hat die Erfahrung ge- macht, dass weder Alter noch Bildungsniveau entscheidend seien und auch kein spe- zielles Persönlichkeitsmerk- mal. „Nicht alle tendieren dazu, aber in Zeiten großer Verzweiflung kann sich die eigene Wahrnehmung ändern und für Zugänge öffnen, die vorher als unrealistisch einge- stuft wurden.“ Verschwörungs- theoretiker Problematisch wird es, wenn Ärzte Anhänger von Ver- schwörungstheorien vor sich haben. Hier werden oft Ver- flechtungen der Ärzteschaft mit der Pharmaindustrie vermutet, der nur Profitgier unterstellt wird. „Oft sind den Menschen, wenn sie die Preise für Chemotherapeuti- ka hören, die Entwicklungs- kosten dieser Produkte nicht bewusst“, gibt Gstirner zu Dr. Google behandelt mit Nicht nur demagogische Rhetorik oder imposantes Styling der Gesundheitsgurus nehmen hilfesuchende Menschen für dubiose Heilversprechen ein, denn damit kann der beliebte Dr. Google nur sehr bedingt aufwarten. Der Trend, ärztliche Informationen durch zusätzliche Quellen ergänzen zu wollen, ist nicht zu leugnen: Laut einer aktuellen Studie der Bertels- mann Stiftung surfen 58 Prozent der PatientInnen vor einem Arztbesuch auf der Suche nach Gesundheitsinformationen im Web und 62 Prozent danach (nochmals). Prinzipiell spricht nichts dagegen, dass mündige PatientInnen möglichst viel über ihr Krankheitsbild wissen wollen. Aller- dings nutzen sie im Internet vor allem jene Quellen, die ihnen die Suchmaschine als erste anbietet. 84 Prozent der Befragten kennen Wikipedia und mehr als die Hälfte davon hält die dort gebotenen Informationen für seriös; 64 Prozent konsultieren netdoktor.de und immerhin 43 Prozent vertrauen diesem Por- tal. Sämtliche Informationsdienste öffentlicher Institutionen (Deutschlands) liegen weit abgeschlagen dahinter, nicht nur beim Bekanntheitsgrad von nur 18 bis 27 Prozent, sondern auch bei den Vertrauenswerten: Lediglich gut ein Viertel der NutzerInnen hält den Krebsinformationsdienst für seriös; den höchsten Vertrauenswert erhielt patienteninformation.de mit 39 Prozent. Als Grund Dr. Google zu konsultieren geben fast drei Viertel an, sie möchten gerne besser informiert sein. Und dazu nutzen sie weiterhin das Web, obwohl fast zwei Drittel meinen, es sei dort schwer zu erkennen, welche Informationen vertrauens- würdig sind. Webarzt und Internet-Community kompensie- ren aber auch emotionale Bedürfnisse: Insbesondere nach der Diagnose bedrohlicher Erkrankungen finden die PatientInnen Verständnis, Zuspruch und Trost in Foren und Blogs – zeitlich unlimitiert und zu jeder Tages- und Nachtstunde. „Das Netz wiegt Defizite der realen Ärzte auf, die sich zu wenig Zeit neh- men (können)“, so Studienautor Kantar Emnid. Kein Wunder, dass mehr als die Hälfte der Nutzer mit Dr. Google „meistens oder immer zufrieden“ ist. „Wir Ärzte dürfen die Heiler nicht einfach verdammen, ohne die dahinter liegenden Bedürfnisse der Patienten, die sie konsultieren, wahrzunehmen.“ Klaus Gstirner

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