AERZTE Steiermark | Februar 2018
ÆRZTE Steiermark || 02|2018 11 COVER bedenken. Leiden sie nach der Chemotherapie unter Übel- keit und bessern sich die Symptome nach Einnahme eines Vitamins, komme es, so Gstirners Erfahrung, manch- mal zu einem paradoxen Trugschluss: Sie glauben, die teure Chemotherapie scha- de ihrem Körper, das billige Vitamin könne ihn jedoch offensichtlich heilen. Dann würden sie ihre Behandlung am liebsten auf die Vitamin- gabe beschränken und sehen in der Verordnung der Che- motherapie reine Profitgier. Kein seriöser Arzt lässt sich auf eine derartige Therapieän- derung ein, ein Gesundheits- guru aber durchaus – und gewinnt bei den Betroffenen an Sympathie, weil er sich nach ihren Wünschen richtet. Bedürfnisse wahrnehmen Die Grenze zwischen ergän- zenden Heilmethoden und Scharlatanerie sehen so- wohl Usar als auch Gstirner durch die ÖÄK-Diplome ab- gesichert: Erstens kann ein derartiges Diplom nur er- werben, wer über ein abge- schlossenes Medizinstudium verfügt. Und zweitens wird vor der Zusammenstellung eines Diplom-Curriculums die Studienlage zu diesem Heilverfahren geprüft. „Dass sich – wie bei vielen Heilern – nur ein Einziger im Besitz der vollen Wahrheit fühlt, die niemand anderem zugänglich ist, gibt es bei diesem Verfah- ren nicht“, betont Usar. „Was mir bei aller Ablehnung der Kurpfuscherei wichtig ist: Wir Ärzte dürfen die Hei- ler nicht einfach verdammen, ohne die dahinter liegenden Bedürfnisse der Patienten, die sie konsultieren, wahrzuneh- men“, betont Gstirner. Ge- meint sind die Bedürfnisse nach ausreichend Zeit für Ge- spräche auf Augenhöhe mit dem Arzt und nach Selbst- wirksamkeit, nach Eigenbe- teiligung am Heilungspro- zess. Könnten diese in ausrei- chendem Maß berücksichtig werden, wäre es auch möglich, viele Menschen wieder zu den Ärzten zurückzuholen, ist Gstirner überzeugt. Was dazu allerdings noch fehlt, nennt sein Kollege Usar eine „ausreichende Dotierung des ärztlichen Gesprächs als hei- lendes Moment“. Kurpfuscherparagraph „eng gefasst“ Rechtlich belangt werden können Nichtmedi- ziner, die einschlägige Dienste anbieten, nach § 184 StGB, dem „Kurpfuscherparagraphen“. Er stellt unter Strafe, wenn jemand „ohne die zur Ausübung des ärztlichen Berufes erfor- derliche Ausbildung“ eine „Tätigkeit, die den Ärzten vorbehalten ist, in bezug (sic!) auf eine größere Zahl von Menschen gewerbsmäßig ausübt“. Die den Ärzten vorbehaltenen Tä- tigkeiten werden im § 2 Ärztegesetz explizit genannt. Bei der „größeren Zahl von Men- schen“ muss auf die Kommentarliteratur zu- rückgegriffen werden. „Diese wird um die 30 Personen geschätzt“, erklärt Medizinrechtsex- perte Peter Schick, emeritierter Professor am Grazer Universitätsinstitut für Strafrecht. Was unter „gewerbsmäßiger“ Ausübung verstanden wird, regelt das Strafgesetzbuch (§ 70). Hier geht es um die „wiederkehrende Begehung“ ei- ner Tat „längere Zeit hindurch“ in der Absicht, sich dadurch ein „nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen“, gemeint sind mehr als 400 Euro monatlich. „Wunderheiler“, die gratis behandeln (wie jener Südsteirer, der betont, Gesundheit dürfe nichts kosten), sind davon also nicht erfasst. Zu prüfen sei, so Schick, die Sachlage bei jenen, die kostenlos „Gesundheitsratschläge“ geben, ihr Einkommen jedoch über den Ver- kauf eigener (legaler) Nahrungsergänzungs- mittel erzielen. Insgesamt vertritt Schick die Rechtsmeinung, der Paragraph 184 StGB sei so „eng gefasst“, dass nur selten Anklage er- hoben werde. 20 Verurteilte in 16 Jahren Die Statistik gibt ihm Recht: In den letz- ten eineinhalb Jahrzehnten wurden jährlich zwischen 23 und 51 Fälle von Kurpfuscherei angezeigt – ohne erkennbare Entwicklungs- tendenz. Angeklagt wurden pro Jahr jeweils nur 3 bis 10 Personen; verurteilt insgesamt nur 20 Personen in mehr als 16 Jahren, 27-mal kam es zu einer Diversion. Nochmals anders sieht die Sachlage aus, wenn ausgebildete Ärzte, die ja per defi- nitionem keine Kurpfuscher sein können, abstruse Behauptungen aufstellen – wie der mittlerweile verstorbene Ryke Geerd Hamer mit seinem Postulat, es gebe keine Krank- heiten – oder dubiose Behandlungsmethoden anwenden: Ihnen ist es laut Ärztegesetz (§ 53) verboten, unsachliche, unwahre oder das Standesansehen beeinträchtigende Informa- tionen zu verbreiten. Bei Zuwiderhandeln droht ein Disziplinarverfahren. Für Kurpfu- scher wie Ärzte auf Abwegen gilt, dass sie be- langt werden können, sobald eine abstrakte Gefahr besteht – es muss gar kein konkreter Patient zu Schaden gekommen sein. In Deutschland erregte im Jahr 2014 ein Ur- teil des Amtsgerichtes Gießen Aufsehen: Ein „Geistheiler“, der – kostenpflichtig – mittels Pendel und Handauflegen Heilung verspro- chen hatte, wurde vom Vorwurf des Betrugs freigesprochen. Es sei kein Täuschungsvorsatz nachzuweisen, weil er ja selbst an seine Fähig- keiten glaube. Außerdem vertrat das Gericht die Auffas- sung, wer zu einem Wunderheiler gehe, wisse schließlich, worauf er sich einlasse.
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