AERZTE Steiermark | Februar 2018
9 ÆRZTE Steiermark || 02|2018 Heilsversprechen oder Heilsverbrechen einer Chemotherapie häufig vorkommt, kann auch die Substitution eines Vitamins durchaus das Wohlbefinden steigern“, so Gstirner. Unbedingt seien bei ergän- zenden Heilbehandlungen jedoch zwei Grundbedin- gungen zu beachten: Sie ge- hören jedenfalls in ärztliche Hände – und die Therapien müssten mit Evidenz ver- sehen und kompatibel sein. Erhalte jemand beispielswei- se parallel zu einer platin- haltigen Chemotherapie das „harmlose“ Vitamin C, könne damit die Wirkung der Che- motherapie zunichte gemacht werden. Oft ist es das Reizwort „Natur“, das ein Heilmittel sympa- thisch macht, während Che- motherapie nach gefährlichen Substanzen klingt. „Schon die Erklärung, dass auch das Wirkprinzip der Chemothe- rapie aus der Natur stammt und die Stoffe teilweise syn- thetisch nachgebaut werden, schafft mehr Akzeptanz bei den Betroffenen“, erzählt An- dritsch aus der Praxis. Selbst wenn sie als Mitarbeiterin des chen, um nicht falsche Hoff- nungen zu machen, aber auch, um später nicht belangt wer- den zu können und eventuell einen Vertrauensbruch zu be- wirken. „Hoffnung geben ist oftmals eine Gratwanderung“, meint Andritsch dazu. „Aber es reicht den Betroffenen viel- fach die Hoffnung, dass sie während ihrer Krankheit auf- merksam begleitet werden von jemandem, der verlässlich für sie da ist und da bleibt.“ Ärztliche Hand, kompatible Therapie „Einerseits ist es bei selbst- ernannten Heilern die Zu- wendung, die Linderung bringt“, betont auch Kom- plementärmediziner Klaus Gstirner, Mitinitiator des ÖÄK-Diploms „Begleitende Krebsbehandlungen“. Denn hätten sie gar keine spürbaren Erfolge aufzuweisen, ginge bald niemand mehr hin. Aber auch deren verständnisvolle Grundhaltung, die von ih- nen vermittelte Gewissheit, es gebe eine einfache Lösung für ein komplexes Problem sowie das Gefühl, selbst etwas zur Gesundung beitragen zu können; zudem die Kraft des Placebo-Effekts und verein- zelt sogar die Heilwirkung der verschriebenen Substanz, machen den Besuch beim Heiler zum positiven Erleb- nis. „Herrscht ein realer Vi- taminmangel, wie er durch die Essgewohnheiten neben COVER Grazer Universitätsklinikums klar auf Seiten der Schul- medizin steht, will sie auch die Heiler nicht verteufeln: „Betroffene wählen sich diese Art der Zuwendung selbst aus, und wenn es Wunderheilern durch ihre Zuwendung ge- lingt, dass sich die Patienten wohler und gestärkter füh- len, haben auch sie eine Form von Berechtigung. Halten sie allerdings jemanden davon ab, sich einer schulmedizi- nischen und effizienten Be- handlung zu unterziehen oder bereichern sie sich an der Verzweiflung der Menschen, werde ich wirklich wütend – das ist inakzeptabel!“ Kurios und banal Selbsternannte Heiler de- cken oft zwei scheinbar wi- dersprüchliche Bedürfnisse ab: Einerseits nähren sie den Glauben an Übernatürliches. Kurt Usar, Referent für Kom- plementäre Medizin in der steirischen Ärztekammer, nennt diesenAspekt den „Reiz des Kuriosen“. „Die Krank- heit als Schicksalsschlag löst unangenehme Ohnmachts- gefühle bei den Betroffenen aus. Lieber akzeptieren sie eine skurrile, esoterisch auf- geladene Erklärung als gar keine zu haben.“ „Magisches Denken ist ein Instinkt des Menschen“, bekräftigt auch die Psychoonkologin. Andererseits führt Usar die Beliebtheit der Gurus auch auf den „Reiz des Banalen“ – die Vereinfachung der Zu- sammenhänge – in deren Erklärungsmustern zurück. Dann verursacht eben der un- gelöste Konflikt mit der Mut- ter eine schwere Erkrankung. Ob das nun stimmt oder nicht, es verschafft Orientie- rung in schwierigen Zeiten, aber auch das Gefühl, die Situation durch Bearbeitung des Konflikts selbst verbes- sern zu können. „Die Patienten wollen sich am Behandlungsprozess beteili- gen“, pflichtet auch Gstirner bei. „Erklärt man ihnen auf der Klinik, die Chemothe- rapie und Strahlentherapie genüge und sie sollen einfach gar nichts zusätzlich machen, geht dieser Rat komplett an ihren Bedürfnissen vorbei.“ Sinnvolle Ernährungsrat- schläge und fundierte Emp- fehlungen, wie die Neben- wirkungen der Chemothera- pie gelindert werden können, fielen meist auf fruchtbaren Boden und könnten das Ge- fühl der Selbstwirksamkeit steigern, das Wohlbefinden auch unterstützt. Sie füllen einerseits ganze Hallen mit Anhängern und punkten anderer- seits mit individueller Betreuung. Sie bieten einfache Theorien über Ursa- che und Bekämpfung von Krankheit und wecken gleichzeitig die Hoffnung auf ein Wunder: die Kurpfuscher. Und sie legen den Finger in eine Wunde unseres Gesundheitssystems. „Magisches Denken ist ein Instinkt des Menschen.“ Elisabeth Andritsch „Die Krankheit als Schicksalsschlag löst Ohnmachtsgefühle aus.“ Kurt Usar
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