AERZTE Steiermark | April 2018

46 ÆRZTE Steiermark  || 04|2018 NIEDERGELASSENE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE Foto: Stelzl Der ganz normale Praxiswahnsinn PRAKTISCH TÄGLICH Von Ulrike Stelzl Bitte keine Zahnprothesen! Oder vielleicht doch? In meiner Kindheit wohnten wir mit unserer Großtante im selben Haus. Sie war eine interessante und schrullige alte Frau. Von Körperpflege hielt sie nicht viel und auch das Waschen ihrer Kleidung war nur nach vorangehenden erbit- terten Ringkämpfen mit ihr um die Schmutzwäsche möglich. Ich kann mich noch erinnern, dass sie Butter nicht aufstrich, sondern zentimeterdick auflegte und fassweise Salz drauf- streute. Das Abendessen spülte sie mit ihrem täglichen Gläs- chen grässlichen Rotweines hinunter. Sie wurde siebenund- neunzig Jahre alt. Und schon als kleines Mädchen erfüllte mich das Glas mit den eingelegten Dritten am Nachttisch mit fasziniertem Grausen. Also schwor ich mir, dass ich die Eigenen bis ins hohe Alter konservieren würde. In dieses Vorhaben investierte ich viel Zeit, viele Tränen und viel Geld. Eine im Kindesalter getra- gene Regulierung war nämlich nicht wirklich effizient gewe- sen und deshalb unterwarf ich mich mit Mitte dreißig noch einmal der Prozedur. Mechanisch perfekt, aber mein Kiefer­ orthopäde hatte ein Einfühlungsvermögen, das ihn eher qualifiziert hätte, mit landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen zu arbeiten. Danach kamen wunderschöne und teure Kera- mikteilchen auf und über die perfekt stehenden Beißerchen. So werde ich niemals meine Zähne beobachten müssen, wie sie am Nachtkastl herumschwimmen. Ein Segen, oder? Dachte ich bislang. Gestern rief mich R. an. Wir kennen uns schon ewig und sind zusammen in die Schule gegangen. Ihr Vater, hochbetagt, dement und immobil, hat weniger dank moderner Zahnheilkunde als dank guter Gene noch seine Eigenen. Und da er im Moment schlecht bis gar nicht kau- en will, geht die Pflegerin von Zahnschmerzen aus. „Was mach ich jetzt mit ihm?“, fragte mich R. „Gibt es einen mo- bilen Zahnarzt, der mit Zange und Bohrer im Rucksackerl die alten Leute abklappert?“ „Ich würde mich mit seinem Zahnarzt in Verbindung setzen, ob er vorbeischaut, manche machen so etwas. Oder um einen wartezeitfreien Termin bit- ten und den Papa von der Rettung hinbringen lassen.“ Und plötzlich erscheint es mir nicht mehr ganz so wünschenswert, die Eigenen bis ins Altersheim oder ins Grab zu behalten. Es wäre doch viel einfacher, die Dritten im Glas mit der Pflege- rin zum Doktor zu schicken. Dr. Ulrike Stelzl ist niedergelassene Ärztin für Allgemein­ medizin. Mehr von ihr gibt es im Buch „Hallo Doc! 2 Der ganz normale Praxiswahnsinn“ (erhältlich bei Amazon). Medikamente: So Der Handel mit gefälschten Arzneimitteln boomt. Ab kommendem Jahr sollen strenge Vorgaben für Sicherheitsmerkmale auf Arznei- mittelpackungen dem einen Riegel vorschieben. Das betrifft auch die steirischen Hausapotheken. ANDREAS KIRISITZ Die Zahlen sind erschreckend: Mehr als 250 Millionen ge- fälschte Packungen wurden 2016 in Europa sichergestellt. Arzneimittelfälschungen sind zu einem boomenden Ge- schäftszweig geworden, in dem bereits mehr umgesetzt wird als beim Drogenhandel. Laut WHO sind es weltweit pro Jahr rund 91 Milliarden Euro. Auch Österreich ist kei- ne Insel: Im Jahr 2016 wurden bei 900 Vorfällen insgesamt 53.389 Medikamentenplagi- ate beschlagnahmt. Mit Hilfe eines europaweiten Verifikationssystems (Grund- lage ist eine EU-Richtlinie) soll verhindert werden, dass Arzneimittelfälschungen über die legale Lieferkette zu den Endverbrauchern geraten. Durchaus eine Herkulesauf- gabe: 9.000 zugelassene Pro- dukte von 300 pharmazeu- tischen Unternehmen und 150 Millionen Packungen pro Jahr müssen sicherer gemacht werden. Betroffen sind 1.352 öffentliche Apotheken, 43 Krankenhausapotheken, 170 Arzneimittelgroßhändler und nicht zuletzt 870 hausapothe- kenführende Ärztinnen und Ärzte. Die Umsetzung in Österreich liegt zentral in der Hand der „Austrian Medicines Verifica- tion Organisation“ (AMVO), die eng mit der European Me- dicines Verification Organisa- tion (EMVO) kooperiert. Be- teiligt an der AMVO sind die Pharmig als unabhängige In- teressenvertretung der phar- mazeutischen Industrie, der Generikaverband, der Phago (Verband der österreichischen Arzneimittelvollgroßhändler), die Österreichische Apothe- kerkammer und die Österrei- chische Ärztekammer (ÖÄK). Im AMVO-Vorstand ver- tritt Max Wudy, Referent für Hausapotheken und Medika- mentenwesen in der Niederö- sterreichischen Ärztekammer, die Interessen der hausapo- thekenführenden Ärztinnen und Ärzte. Datenspeicher und Seriennummer Jede Arzneimittelpackung wird mit einer zufällig ge- wählten, einmaligen Serien­ nummer ausgestattet, die gemeinsam mit Chargen- nummer und Ablaufdatum in einem zweidimensionalen Barcode verschlüsselt wird. Damit wird jede Arzneimit- telpackung einzigartig und nachverfolgbar – innerhalb von ganz Europa. Denn jede einzelne Medikamentenpa- ckung ist im nationalen und europäischen Datenspeicher verzeichnet. Bevor ein Patient in einer Apotheke oder Hausapotheke ein Arzneimittel übernimmt, wird die Seriennummer des Medikaments überprüft, aus einem Datensystem ausge- lesen und deaktiviert. Sollte

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