AERZTE Steiermark | Juni 2018
ÆRZTE Steiermark || 06|2018 23 ETHIK+ÖKONOMIE Fotos: MUG, Opernfoto Reine Nutzenbewertung als Basis der Preisgestaltung versagt spätestens bei Arz- neimitteln gegen seltene Er- krankungen. „Hier greift die Kosten-Nutzen-Relation gar nicht, denn Orphan Drugs sind immer exorbitant teu- er“, erklärt Wild. Für diese müsste eine andere Vorgangs- weise angedacht werden; Stellschraube könnte auch hier der Patentschutz sein. Masse ist Klasse Derzeit versuchen alle Ver- handlungspartner mit Phar- mafirmen Deals zu schließen. Auf der Makroebene haben sich in Europa nach ihrer Fi- nanzkraft „vier medizinische Kulturräume“ gebildet, wie Claudia Wild die Einkaufs- gemeinschaften von Länder- Zusammenschlüssen nennt. So kooperieren die skandina- vischen Staaten, ebenso die Visegrád-Staaten sowie die südeuropäischen. Österreich nimmt an BeNeLuxA teil, al- lerdings ist das Projekt noch im Aufbau begriffen. „Der Informationsaustausch ist besser geworden, aber es ist noch zu früh, um mehr zu sa- gen“, betont Sauermann vom Hauptverband. Allerdings reicht die formelle Erhältlichkeit von Medika- menten nicht aus – vor allem in den osteuropäischen Län- dern sind zugelassene Onkolo- gika oft schlichtweg nicht ver- benkosten durch die Pharma- firma. „Kann der in der Ver- fahrensordnung festgelegte Preis durch ein Rabattmodell erreicht werden, steht den Patienten immerhin eine wei- tere Therapieoption zur Ver- fügung“, erklärt Griesbacher. Kostensenkend wäre es auch, wenn Prognosen zur Wirk- samkeit eines Hochpreis-Me- dikamentes verfeinert werden könnten. Im Einzelfall gebe es sehr zufriedenstellende Er- gebnisse mit neuen Medika- menten, erklärt der Leiter der Grazer Onkologie, Herbert Stöger. „Leider haben wir für manche Tumorentitäten noch wenige prädiktive Marker, bei wem eine Therapie wirkt. Das wird die Forschungsarbeit der nächsten Jahre sein.“ Die neu- en Immuntherapien zeigten, so Stöger, ganz unterschied- liche Erfolge: Durchbrüche seien beim malignen Mela- nom zu verzeichnen und rund jeder fünfte Lungenkrebs-Pa- tient profitiere deutlich davon. Bei Blasen- und Nierenkrebs sei es jedoch anders. „Muss Politik beantworten“ Selbstverständlich werde über den Einsatz von besonders teuren Medikamenten nach äußerst sorgfältigen Überle- gungen entschieden, betont Stöger. „Aber die Frage, wel- che Medikamente finanziert werden, muss die Politik be- antworten. Das ist eine so- zialpolitische und ethische Grundfrage, die nicht am Arzt hängenbleiben soll.“ Abwägungen zwischen In- vestitionen in hochpreisige Medikamente oder in Pal- liativmedizin möchte Stöger keinesfalls anstellen. „Beides gehört vernünftig eingesetzt. Ich kann mich imWinter auch nicht entscheiden, ob ich eine Haube oder warme Schuhe anziehe. Ich brauche beides.“ Courtney Davis et al., die alle zwischen 2009 und 2013 zugelassenen Onkologika analysiert. Betrachtet wurden 68 Medikamente (bzw. Indi- kationen), von denen mehr als die Hälfte ohne messbare Lebensverlängerung oder Verbesserung der Lebensum- stände von Patienten zuge lassen worden waren. Nur gut die Hälfte schnitt nach fünf Jahren besser ab als ältere Therapien oder ein Placebo. Kein unwesentlicher Aspekt, verursachen doch gerade die Onkologika in Spitälern rund 40 Prozent der Arzneimittel- kosten – für rund fünf Pro- zent der Patienten. Trotzdem wächst der Druck auf die EMA, Zulassungsverfahren zu beschleunigen. Hier trifft Evidenz auf Emotion: Nie- mand möchte in Kauf neh- men, dass Menschen länger leiden oder sterben müssen, weil ein Medikament noch nicht zugelassen wurde. Aller- dings kann auch deren Leiden durch die Nebenwirkungen unzureichend erprobter Arz- neimittel vergrößert werden. Staaten wollen entscheiden Für raschere und qualitativ hochwertige Kosten-Nutzen- Bewertungen gibt es seit 2012 das Europäische Netzwerk für Health Technology As- sessment EUnetHTA. Ziel des Netzwerkes ist ein höherer Output an Entscheidungen in derselben Zeit – bei standar- disierter Qualität. Allerdings, so Wild, gäben die Länder nicht gerne die Entschei- dungsmacht ab – durchaus aus finanziellen Gründen. So falle manchmal die Kosten- Nutzen-Rechnung zwar für den einzelnen Patienten po- sitiv aus, ein Land könne sich aber aufgrund großer Betrof- fenenzahlen die Einführung des Medikamentes trotzdem nicht leisten. fügbar (und für den Einzelnen ohnehin nicht leistbar), so eine Studie der Onkologengesell- schaft ESMO. Nicht bewährt hat sich der Versuch einiger Länder, einen Schwellenwert für hochpreisige Medika- mente einzuführen: Schlagar- tig wurden neue Arzneimittel mit einem Preis von einem Cent unter dem Richtwert auf den Markt gebracht. Öster- reich orientiert sich seit einer Gesetzesnovelle im Vorjahr bei nicht im Erstattungskodex angeführten Medikamenten am EU-Durchschnittspreis. Sobald in den vergangenen 12 Monaten mit der Sozial- versicherung ein Umsatz über 750.000 Euro auf Basis des Fabriksabgabepreises erzielt wird, muss der EU-Durch- schnittspreis ermittelt werden und gilt für die Sozialversi- cherungsträger als österrei- chischer Höchstpreis. „Diese Höchstgrenze wird 2018 schla- gend“, erklärt der Experte im Hauptverband. Innovative Finanzierung Auf der Mikroebene suchen Krankenanstalten gemein- sam mit Pharmaunterneh- men nach Lösungen. Verhan- delt wird dabei um Rabat- te, aber auch um „pay for performance“. Bezahlt wird nur, wenn das Medikament wirkt. Andere „managed entry agreements“ umfassen auch die Übernahme von bei der Behandlung anfallenden Ne- Thomas Griesbacher Herbert Stöger
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