AERZTE Steiermark | Juni 2018
40 ÆRZTE Steiermark || 06|2018 NIEDERGELASSENE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE Foto: Stelzl Der ganz normale Praxiswahnsinn PRAKTISCH TÄGLICH Von Ulrike Stelzl „Kolesterin“ Frau K. ist klein und zierlich. Sie bewegt sich regelmäßig und lebt fast ausschließlich vegetarisch. Trotzdem hat sie wie ihre Mutter und ihr Vater vor ihr ein Problem: Das Cholesterin ist zu hoch. Und zwar nicht nur ein bisschen, sondern or- dentlich. Die ganze Familie K. hat sozusagen „Kolesterin“. Also überweise ich sie zum Radiologen, welcher nach ge- nauem Ultraschallen eine beidseitige circa 80-prozentige Carotisstenose suspiziert. Ich erkläre ihr, dass das nicht so weitergehen kann und verschreibe eine Lipidsenkertherapie. Gleichzeitig planen wir ein MR, um das Ausmaß der Hals- schlagaderdurchgängigkeit genauer festzulegen. Beim ersten Versuch der Lipidsenkung purzelt das LDL von über 200 immerhin rasant auf 170. Ich bin mäßig begeistert, sie ist stark beunruhigt: „Ist das nicht zu schnell, Frau Dok- tor?“ „Nein, keine Angst, das muss meiner Meinung nach sogar noch schneller und tiefer gehen.“ Nach weiteren zwei Versuchen sind wir bei Atorvastatin 80 mg und Ezetrol 10 mg und einem LDL von 105. Ich bin einigermaßen erleichtert, aber sie ist schwer besorgt: „Ich glaub, Frau Doktor, das ist jetzt zu wenig!“ „Nein“, beru- hige ich sie. „Man kann gar nicht zu wenig vom schlechten Cholesterin haben. Wenn Ihr LDL 60 oder 70 wäre, wäre ich persönlich sogar noch froher.“ Mittlerweile haben wir auch das MR-Ergebnis. Es ist „nur“ eine 60-prozentige Stenose. Freudestrahlend erscheint die Dame ein paar Tage später in der Ordination: „Ich war jetzt bei der Neurologin auf der GKK und die hat gesagt, weil die Verengung nur 60-prozentig ist, ist das LDL absolut ausrei- chend schön.“ (Ich bin nur praktische Ärztin, ein Kommen- tar dazu steht mir nicht zu.) „Können wir jetzt endlich die Medikamente reduzieren?“ „Nein, liebe Frau K., wir können nicht reduzieren, sonst bekommen Sie mir demnächst einen Schlaganfall!“ Also nimmt sie ihr Zeug brav weiter, wir kon- trollieren regelmäßig Lipide und Leberwerte und ich denke, sie wäre beruhigt. Bis heute das Telefon läutet. Sie will einen zusätzlichen Blutabnahmetermin. Hat sie irgendwelche Be- schwerden? Nein, es geht ihr gut. Aber sie macht sich jetzt ernsthafte Sorgen, dass das Cholesterin mittlerweile zu nied- rig geworden ist! Ich will in den Telefonhörer beißen ... Dr. Ulrike Stelzl ist niedergelassene Ärztin für Allgemein medizin. Mehr von ihr gibt es im Buch „Hallo Doc! 2 Der ganz normale Praxiswahnsinn“ (erhältlich bei Amazon). Verdeckte Ermittler im Auf- trag der sozialen Kranken- versicherungen, ausgestattet mit größeren Befugnissen als die Polizei, die Praxen heim- suchen, um Fälle von e-card- Betrug aufzudecken. Gegen schwere rechtliche Bedenken und trotz schärfster Kritik an der Aushöhlung des notwen- digen Vertrauensverhältnisses zwischen Ärztin/Arzt und Patientin/Patient wurde die- se Möglichkeit im Jahr 2016 geschaffen. Nun hat Sozial- und Gesund- heitsministerin Beate Hartin- ger-Klein angekündigt, dass dieses Mystery Shopping bald der Vergangenheit angehö- ren wird: „Vertrauen darf nicht missbraucht werden. Es gibt andere Möglichkeiten zur Kontrolle, um schwarze Schafe zu finden“, so die Mi- nisterin. Reale Bedeutung hat es offen- bar nie erlangt: Laut verschie- denen Pressemeldungen kam das Mystery Shopping seit 2016 nämlich nie zum Ein- satz. Das könnte auch daran liegen: Laut verschiedenen parlamentarischen Anfragen bzw. deren Beantwortungen gab es laut Sozialversiche- rungen niemals einen nen- nenswerten Schaden durch e-card-Betrug. Dabei hätte die Maßnahme 134 bis 145 Milli- onen Euro in die Staatskasse spülen und zur Gegenfinan- zierung einer Steuerreform dienen sollen. Verfassungsjurist Heinz Ma- yer hatte dazu in einem Gut- achten geschrieben: „Betrach- tet man diese Bestimmung, die eine grundsätzliche An- ordnung des Strafprozess- rechts enthält, so zeigt sich, dass § 32a ASVG Ermitt- lungen ermöglicht, die das verfassungsrechtliche Gebot der Fairness des Verfahrens (Art 6 MRK) gröblich ver- letzen. Während § 5 Abs 3 StPO ein Lockspitzelverbot sogar bei der Aufklärung ge- richtlich strafbarer Handlun- gen enthält, ermöglicht § 32a ASVG den Einsatz von Lock- spitzeln für die Prüfung ver- tragskonformen Verhaltens auch ohne Anfangsverdacht. Damit erweist sich aber diese Bestimmung als nicht nur verfassungswidrig im Hin- blick auf Art 6 MRK, sondern auch als unverhältnismäßig und damit als gleichheits- widrig im Sinne des StGG. Dazu kommt außerdem, dass die zum Einsatz kommen- den Kontrollore lediglich für ihre Aufgaben auszubilden sind (vgl. § 12 Richtlinien- entwurf). Diese Regelung ist in keiner Weise angemessen. Während im Strafverfahren zur Verfolgung gerichtlich strafbarer Taten Beamte der Kriminalpolizei, der Staats- anwaltschaft und des Gerichts einschreiten dürfen und da- Ende für das Mysterium Das 2016 eingeführte Mystery Shopping in Arztpraxen soll wieder abgeschafft werden. Das hat Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein versprochen. Tatsächlich wurde in den letzten Jahren nie wirklich „geshoppt“. KLEINEZEITU SAMSTAG,20. w Wachstumwar „Är HerrPräsid reichische der gestern das geplan scharf ab, Sozialbetru gen aufdec wenn dies AnfangJuli HERWIGLIND aus,dasssic setzenwird weitere Sc maßnahme beschlosse denkbar bis schließung Vertrauens ArztundPa Sie sehe Ärzte INTE
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy NDYwNjU=