AERZTE Steiermark | September 2018

ÆRZTE Steiermark  || 09 |2018 7 Fotos: Oliver Wolf, Elke Meister, Harry Schiffer, Grafik: Konrad Lindner 33 Ausschreibungen von Kassenverträgen – und bei fast der Hälfte: Nullmeldungen. Nicht nur am Land, genauso in steirischen Städten. Nicht nur in der Allgemeinmedizin, sondern auch im fach- ärztlichen Bereich. Wir haben natürlich keinen Ärztemangel, aber wir haben einen Mangel an Ärztinnen und Ärzten, die sich die Kassenmedizin mit all ihren Hürden und Einschränkungen antun wollen. Der jüngst abgeschlossene neue Kassenvertrag ist ein wichtiger Schritt, um diese Entwicklung zu umzukehren. Aufwertung der Ordination, weni- ger Limite, die Möglichkeit der Teilung von Kas- senverträgen – das sind genau die Maßnahmen, die dieser Kassenmedizin wieder Aufwind geben können. Dass er genau mit den Strukturveränderungen im sozialen Krankenversicherungssystem zusam- menfällt, erzeugte Zweifel, dass er im Hauptver- band genehmigt wird. Jetzt hat ihm aber auch der sozialpartnerschaftlich besetzte Verbandsvor- stand grünes Licht gegeben, und es ist zu erwar- ten, dass die aus der Selbstverwaltung gebildete Trägerkonferenz dem nicht nachstehen wird. Dazu hat die Politik versprochen, und tut es im- mer wieder, dass es keine Verschlechterungen geben kann. Ich darf also alle Kolleginnen und Kollegen einladen, sich diesen Vertrag mit seinen Möglichkeiten anzuschauen und sich dann zu überlegen, ob sie sich nicht doch für eine Kassen- stelle bewerben wollen. Es gibt jetzt nämlich viele gute Gründe dafür, in die Kassenmedizin zu gehen. Und einige Hürden, die es natürlich immer noch gibt, werden wir hoffentlich in den nächsten Jahren abbauen oder zumindest tiefer setzen. Aus einem ganz ein- fachen Grund: Kein Gesundheitspolitiker kann wollen, dass die Kassenmedizin völlig danieder geht. Vizepräsident Dr. Norbert Meindl ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte. EXTRA Norbert Meindl Die neue und bessere Kassenmedizin STANDORTBESTIMMUNG Herwig Lindner Gesundheitspolitik heißt, sehr Gutes noch besser machen In kaum einem Land der Welt ist der Zugang zu guter Gesund- heitsversorgung so gut wie in Österreich. Das bestätigen auch die Zahlen der EU-Kommission. Aber das politische und mediale Narrativ, gespeist von Exper- tinnen und Experten, die auch eher das Schlechte als das Gute suchen, weil man sie sonst weniger bräuchte, geht in eine andere Richtung. Weil ja nur bad news good news sind, abgesehen von Jubelmel- dungen über die Spitzenmedizin. Da gibt es viel zu lange Wartezeiten auf alles, auch wenn sie viel kür- zer sind als in vielen anderen Ländern. Da stimmt die Lebenserwartung nicht, obwohl sie durchaus hoch ist und entscheidende Ursachen für Probleme, wie mangelnde Bewegung oder Fehlernährung, gar nichts mit der Gesundheitsversorgung zu tun haben. Da sind vor allem die Kosten zu hoch, obwohl sie einem wohl- habenden Land durchaus angemessen sind und trotzdem andere Länder mit noch mehr Geld weniger erreichen. Man könnte ja auch fordern, dass Österreich weniger für Forschung ausgeben sollte – aber da sind wir (zurecht) auf unseren Spitzenplatz stolz. Wir sollten es auch in der Gesundheitsversorgung sein. Wir sollten beim Blick auf andere Länder nicht immer nur von einem Bereich schwärmen, sondern auch auf die Dinge schauen, die weniger gut sind oder die mit Aspekten zusammenhängen, die gar nicht nach Österreich transferierbar sind. Da gibt es die tollen Gesundheitszentren in den Niederlanden – die aber alle um 17 Uhr schließen. Da kommt Dänemark mit weniger Gynä- kologinnen und Gynäkologen aus als Österreich – hat dafür aber viel mehr Hebammen, die mehr kosten als österreichische Fach- ärztinnen und Fachärzte. Das sind nur zwei kleine Beispiele von Ländern, die Österreichs Politikerinnen und Politiker, aber auch so manche Expertinnen und Experten besonders gerne hochjubeln, ohne die Schattensei- ten auch zu erwähnen. Natürlich braucht unser Gesundheitssystem Weiterentwicklung. Aber bitte vergessen wir nicht: Es ist immer die Entwicklung eines sehr guten Systems zu einem hoffentlich noch besseren. Man darf diesem System also keine Gewalt antun, um nicht zu riskieren, dass es schlechter wird statt besser. Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark. DEBATTE

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