AERZTE Steiermark | Dezember 2018

RECHT 26 ÆRZTE Steiermark  || 12 | 2018 307 Leitlinien allein zum Thema Diabetes mellitus lie- fert eine aktuelle Suche über die Homepage der Arbeits- gemeinschaft der Wissen- schaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften AWMF. Einige davon sind brandaktu- ell, andere bereits abgelaufen (die meisten gelten fünf Jahre lang), aber trotzdem noch abrufbar. War hier jemand nachlässig beim Archivieren oder warum werden diese „überholten“ Leitlinien nicht gelöscht? Gerade in Arzthaftungspro- zessen, in denen über den Vorwurf eines Behandlungs- fehlers entschieden wird, der bereits einige Jahre zurück- liegt, ist es für den Sachver- ständigen von Bedeutung, diese „abgelaufenen“ Leitli- nien und Empfehlungen ab- rufbar zu haben. „Für die Erstattung eines Gutachtens muss der Sachverständige auf den Wissensstand zum Zeit- punkt des Geschehens abstel- len und dazu benötigt er eben auch Literatur, Leitlinien und Standard, die damals Gültig- keit besaßen“, erklärt der stell- vertretende Abteilungsleiter der Klinischen Abteilung für Allgemeine Anästhesiologie, Notfall- und Intensivmedizin am LKH-Universitätsklini- kum Graz, Wolfgang Kröll. „Für aktuelle Sachverhalte dürfen diese natürlich nicht mehr herangezogen werden. Sie zu verwenden könnte be- deuten, Behandlungen nicht mehr nach dem Stand der me- dizinischen Wissenschaften durchzuführen.“ Kröll ist nicht nur als gericht- lich beeideter und zertifi- zierter Sachverständiger tätig, sondern hat im Anschluss an seine postgraduale Ausbil- dung zum Master of Medical Law auch die Deutsch-Ös- terreichische Medizinrechts- tagung, die jährlich alter- nierend in Österreich oder Deutschland stattfindet, ge- meinsam mit dem Institut für soziale Daseinsvorsorge und Medizinrecht der Johannes- Kepler-Universität Linz, der Ärztekammer für Oberöster- reich, dem Berufsverband der Deutschen Anästhesisten und dem Institut für das gesamte Medizinrecht in München und Berlin mitinitiiert und -organisiert. Maßgeschneidert für ÄrztInnen Ziel dieser Tagung ist die Vermittlung medizinrecht- licher Themen, speziell maß- geschneidert für Ärztinnen und Ärzte. Bei der aktuellen Veranstaltung referierte Kröll im Kongresszentrum Schloss Mondsee zum Thema „Die Bedeutung von Leitlinien im klinischen Alltag“. Aber wie sollen sich Ärz- tinnen und Ärzte nun im Dickicht der Leitlinien orien- tieren, um dem Patienten eine medizinische Behandlung anzubieten, die dem aktu- ellen Stand der medizinischen Wissenschaften entspricht? „Grundsätzlich sind Leit­ linien nicht unbedingt recht- lich verbindlich“, hält Kröll fest. „Was zählt, ist der me- dizinische Standard, den die Fachgesellschaften vorgeben.“ Darüber muss sich der Arzt oder die Ärztin regelmäßig in- formieren – das entspricht auch der Verpflichtung zur Fortbildung, wie sie im ärztlichen Berufsrecht vorgeschrieben ist. „Hat sich ein Arzt an die Richtlinien gehalten, geht man davon aus, dass er ver- mutlich richtig gehandelt hat.“ Ungünstig sieht die Situation aus, wenn er sich nicht daran gehalten hat. Dann muss erst geklärt werden, ob auch sein Behandlungspfad state of the art war, beziehungsweise ob sein Vorgehen noch vertret- bar gewesen ist. SOPs vorgeben Nun gibt es für einzelne me- dizinische Situationen aber nicht nur eine Leitlinie, son- dern es liegt eine Vielzahl an Leitlinien und Empfeh- lungen vor, vorgegeben von unterschiedlichen nationalen Fachgesellschaf ten, aber auch von privaten Vereinen. „Nehmen wir ein Beispiel aus der Anästhesie: den uner- wartet schwierigen Atemweg. „Es gilt der medizinische Standard“ Manchmal lässt sich im Dickicht von Leitlinien, Empfeh- lungen und Behandlungspfaden der verpflichtende Standard für eine medizinische Behandlung nicht mehr deutlich erken- nen. Daher beschäftigte sich die diesjährige 8. Deutsch-Öster- reichische Medizinrechtstagung mit diesem Thema. Ebenfalls diskutiert wurde das neue Erwachsenenschutzgesetz. Fotos: Adobe Stock/Fotolia

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