AERZTE Steiermark | Dezember 2018

ÆRZTE Steiermark  || 12 |2018 7 Fotos: Oliver Wolf, Elke Meister, Harry Schiffer, Varhomoki, Grafik: Konrad Lindner Die Krankenkassenreform per se hat naturgemäß nicht nur Freunde, und sie macht nicht nur Freude. Sie wird mit Hoffnungen verknüpft, die wohl nie in Erfüllung gehen werden. Manches vollmundige Versprechen wird wohl immer ein Versprechen bleiben. Aber: Sie ist auch eine Gelegenheit. Eine Gele- genheit, nicht nur über organisatorische Verän- derungen nachzudenken, die den Patientinnen und Patienten, genauso aber den Ärztinnen und Ärzten wenig Nutzen bringen. Sondern auch darüber, wie die Rahmenbedingungen für gute ärztliche Medizin verbessert werden können. Dieser Tage finden sehr viele, sehr intensive Ver- handlungen auf verschiedensten Ebenen statt. Während über viele Jahre, ja sogar Jahrzehnte, nur an Stellschräubchen gedreht wurde, ist jetzt die Zeit da, um grundlegende Fragen offen zu besprechen. Die Krankenkassen – und da rede ich gar nicht so sehr von den Gebietskrankenkassen – müssen ihre Kultur völlig neu denken. Das erleben wir zum Beispiel, wenn die Unternehmerkrankenkas- se SVA und die Bauernkrankenkasse SVB ihren Zusammenschluss vorbereiten. Die eine hat eine Selbstbehaltkultur, dafür aber mit recht guten Leistungen, die andere war über viele Jahre eine Art Gebietskrankenkasse für ein spezifisches Kli- entel, die bäuerlichen Versicherten. Beide Systeme haben ihre Qualitäten, aber natür- lich auch ihr Verbesserungspotenzial. Jetzt geht es darum, das Gute aus beiden Welten zu einer besseren Welt zu vereinen. Das funktioniert nur im Dialog mit uns Ärztinnen und Ärzten. Und das ist die gute Nachricht: Weil neue Lö- sungen anstehen, ist auch die Gesprächskultur offener geworden. Es wird zugehört, debattiert und diskutiert. Allen ist klar, dass Routine und Fortschreibung keine Lösungen sind. Vizepräsident Dr. Norbert Meindl ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte. EXTRA Norbert Meindl Erneuerung statt Routine STANDORTBESTIMMUNG Herwig Lindner Verbannen wir die Menschen nicht ins Medizin-„Darknet“ Die Entscheidung des Rektors der Medizinischen Universität Wien, die Homöopathie-Lehrveranstaltung zu streichen, hat eine heftige Debatte ausgelöst. Soll eine Universität tatsächlich nur mehr Themen behandeln, die naturwissenschaftlich völlig wider- spruchsfrei abgesichert sind? Diesen Kriterien genügen weite Be- reiche universitärer Inhalte nicht, da braucht man nicht einmal zentrale Teile der Theologie zu bemühen. Auch die Architektur, die Betriebswirtschaft, weite Teile der Geisteswissenschaften, ja selbst die Physik – um nur einige Beispiele zu nennen – sind Gegenstand universitärer Forschung und Lehre, obwohl sie nicht bis zum letzten Komma abgesichert sind. Die Universitäten sind eben mehr als reine Ausbil- dungsstätten, sie dienen der Weiterentwicklung des Wissens. Und das kann nur im Diskurs geschehen. Unwägbarkeiten sind nicht nur möglich, sie sind sogar notwendig. Im Windschatten der wissenschaftlichen Diskus- sionsverarmung drohen auch die Grundlagen des ärztlichen Berufs auf der Strecke zu bleiben. Dazu gehört ganz wesentlich die Behandlungsfreiheit. Dazu gehört das Recht der Patientin, des Patienten auf Behandlungsmethoden, die die Grenzen klas- sischer naturwissenschaftlicher Erklärungsmuster überschreiten. Natürlich gibt es rote Linien zwischen haltloser Scharlatanerie und medizinischer Wissenschaft. Aber sie verlaufen nicht zwi- schen dem, was bewiesen und dem, was nicht bewiesen ist. Sie verlaufen zwischen dem, das sich einer wissenschaftlichen Ausei- nandersetzung stellt und dem, das einer wissenschaftlichen Aus- einandersetzung ganz bewusst ausweicht, sich ihr sogar entzieht. Die Grenzen noch enger zu ziehen, wäre wissenschaftliche Ar- roganz. Wenn wir komplementäre Methoden aus der Medizin verbannen, verlieren wir viele Patientinnen und Patienten ins medizinische „Darknet“. An einen dunklen Ort, in dem es über- haupt keine Regeln mehr gibt, keine nachvollziehbare Diagnostik und keinerlei Kontakt mehr zur Wissenschaftlichkeit. Solange wir in der Medizin nicht alles erklären können, sollten wir demütig sein – und dem (noch) Unerklärbaren seinen Raum geben. Die Menschen, unsere Patientinnen und Patienten, er- warten sich eine integrierte Medizin, keine noch höheren Mau- ern und Zäune. Skepsis ist völlig in Ordnung – aber nur in Ver- bindung mit wacher Offenheit. Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark. DEBATTE

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