AERZTE Steiermark | Februar 2019
ÆRZTE Steiermark || 02|2019 11 COVER senschaft spreche hier von „psychologischer Reaktanz“, die dazu führt, dass sich Per- sonen, deren Entscheidungs- freiheit eingeschränkt wird, diese bei der nächsten Gele- genheit „zurückholen“. Eine Einführung einer teilweisen Impfpflicht kann also para- doxe Effekte haben: Gera- (CEREB) der Universität Er- furt: „Wir schließen daraus, dass eine sinnvolle und gute Impfaufklärung der Bevölke- rung effektiver wäre als die Einführung der Impfpflicht – vor allem einer nur teilwei- sen.“ Böhm spricht sich dafür aus, die positiven gesellschaft- lichen Auswirkungen des de die Impfskeptiker, denen durch Impfpflicht begegnet werden soll, könnten so ei- nen weit größeren Effekt auf das gesamte Impfprogramm haben, als es bei freiwilligen Impfungen der Fall ist. Fazit der Leiterin des Center for Empirical Research in Econo- mics and Behavioral Sciences Impfens stärker zu betonen: „Über Gemeinschaftsschutz zu informieren, gehört für uns zu einer guten Impfauf- klärung dazu.“ Nur: Aufgeklärt und infor- miert wird sehr viel, und zwar über alle Facetten des Imp- fens, den individuellen genau- en. nnen, KinderfachärztInnen, istrat Graz und der fen lassen. r Umgebung! ur in ihre Nähe kommt. Jüngster Impf- Appell in der Steiermark: Schulen im Fokus. Verzerrte Wahrnehmung „Ich habe die Kinderkrankheiten ja auch durchgemacht und es hat mir nicht geschadet“, ist eines der gängigen Argumente von Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen (wollen). Ärztinnen und Ärzte rennen gegen eine solche Argumentationswand oft genug vergeblich an. In der Erinnerung verblassen böse Ein- drücke, während das Gute haften bleibt. Der deutsche Soziologe Martin Schröder erklärt in seinem Buch „Warum es uns noch nie so gut ging und wir trotzdem ständig von Krisen reden“ (2018) den „rosa Blick“ (Rosy Re- trospection) auf weit Zurückliegendes mit einem einfachen Vergleich: Fotoalben enthalten selten traurige Erinnerungen. Aufbewahrt werden die schönen Erinnerungen. Gehirne funk- tionieren ähnlich. Diese Wahrnehmungsverzerrung ist nur eine in einer langen Liste. Nicht nur die Vergangenheit wird leicht verklärt, auch Risiken werden über- oder unterschätzt. Das Ri- siko einer Impfnebenwirkung wird leicht überschätzt, weil viel darüber geredet wird. Das Krankheitsrisiko wir unterschätzt, weil Krankheiten, gegen die es wirkungsvolle präventive Maß- nahmen (eben das Impfen) gibt, kaum mehr bedacht werden (müssen) – die Krankheit ist für das Gedächtnis kaum mehr verfügbar. Das ändert sich erst, wenn es doch zu einem Aus- bruch kommt. Dann ist es aber für diejenigen, die sich bereits infiziert haben, schon (zu) spät. Es gibt aber auch gute Nachrichten, wie ein Experiment aus dem Jahr 1965 an der Yale-Universität beweist: Studierende hörten einen Vortrag über die Gefahren von Tetanus und die Wichtigkeit der Schutzimpfung. Die meisten wollten sich am Ende des Vortrags tatsächlich impfen lassen. Aber nur drei Prozent setzten den Vorsatz um. Bei denen, die aber zusätzlich eine schriftliche Wegbeschreibung bekamen, waren es 28 Pro- zent – neun Mal so viele. Fazit: Gutes, begleitendes Service wirkt.
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