AERZTE Steiermark | April 2019

16 Ærzte Steiermark  || 04|2019 impfen Foto: beigestellt Ist eine Impfpflicht ein geeig- netes Mittel, um Impfquoten zu erhöhen? Robert Böhm: Die Einfüh- rung einer Impfpf licht er- scheint für einige Personen als adäquate Maßnahme, um in Zeiten zunehmender Impfskepsis den individu- ellen und gesellschaftlichen Schutz gegen gefährliche In- fektionskrankheiten sicher- zustellen. Allerdings zeigen unsere Forschungsarbeiten auch mögliche Gefahren einer solchen Maßnahme: Wenn beispielsweise eine partielle Impfpflicht für ausgewählte Impfstoffe eingeführt werden würde, könnte dies insbeson- dere bei Personen, die dem Impfen kritisch gegenüberste- hen, zu Verärgerung führen. Die verlorene Entscheidungs- freiheit bei verpflichtenden Impfungen könnte deshalb zu einer verringerten Impf- bereitschaft bei freiwilligen Impfungen führen. Impfkritische Personen holen sich ihre Freiheit also quasi wieder zurück, sofern sich ih- nen die Gelegenheit dazu bie- tet. Unsere Forschung zeigt ebenso, dass die Verärgerung über Impfnebenwirkungen nach einer verpflichtenden Impfung stärker als nach ei- ner freiwilligen Impfung sein könnte, selbst wenn die Impf- nebenwirkungen nur sehr schwach sind. Solche möglichen Sekundär- effekte einer Impfpflicht kön- nen das Vertrauen in das Ge- sundheitssystem gefährden, mit unvorhersehbaren Folgen. zweiten Teilimpfung kann durch drei Faktoren hervor- gerufen werden. Zum einen könnten sich die Eltern auf- grund negativer Erfahrungen bei der ersten Teilimpfung bewusst gegen die zweite Teilimpfung entscheiden. Ein anderer Grund ist, dass die Notwendigkeit der zweiten Teilimpfung für einen ef- fektiven Schutz unterschätzt wird. Ein dritter Grund ist, dass die zweite Teilimpfung einfach vergessen wird. In den letzten beiden Fällen ist die Auslassung der zweiten MMR-Teilimpfung also keine richtige Entscheidung gegen die Impfung, sondern die Argumente, die für die Imp- fung sprechen, sind nicht stark genug, um die Hürden auf dem Weg zur Impfung zu überwinden. Welche Gruppen von Nicht- Impfenden gibt es? Es sind ja nicht alle hartnäckige Impf- gegner. Böhm: Hartnäckige Impfgeg- ner gibt es tatsächlich sehr wenige. Allerdings gibt es eine viel größere Gruppe von Personen, die zumindest eine gewisse Skepsis gegenüber dem Impfen haben und aktiv nach entsprechenden Infor- mationen suchen, um ihre Entscheidung gut abzuwä- gen. Solche Personen können dann durch Falschinformati- onen fehlgeleitet werden. Au- ßerdem gibt es immer mehr Menschen, die den Sinn von Impfungen nicht mehr richtig nachvollziehen können, weil die Bedrohung von Infekti- onskrankheiten als geringer wahrgenommen wird als dies noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Das liegt vor allem am Erfolg der Imp- fungen. Die wenigsten von uns haben jemals die schreck- lichen Auswirkungen einiger Infektionskrankheiten gese- hen. Das Problembewusstsein ist bei einigen Personen also zu gering ausgeprägt. Wie soll eine Gesellschaft mit diesen „Hardcore“-Impfgeg- nern umgehen, die ja immer wieder starke mediale Auf- merksamkeit bekommen? Böhm: Hartnäckige Impf- gegner sind kaum noch für Argumente empfänglich. Un- sere Bemühungen sollten sich eher den anderen Personen widmen, die potenziell durch Impfgegner in ihrer Entschei- dung negativ beeinflusst wer- den. Es gilt also den Einfluss, den Impfgegner auf Personen haben, die dem Impfen gegen- über kritisch oder unsicher eingestellt sind, zu reduzieren. Es ist ein Kampf der Infor- mationen und Falschinfor- mationen, der inzwischen im Internet geführt wird und den wir annehmen müssen. Eini- ge Social Media Plattformen werden hier nun auch bereits selbst aktiv und löschen of- fensichtliche Falschinforma- tionen. Natürlich sollte man immer kritisch überprüfen, wann und unter welchen Be- Hinzu kommen ethische und rechtliche Probleme bei der Einführung einer Impfpflicht. Unsere Forschung zeigt, dass die Impfbereitschaft durch die Verfügbarkeit evidenz- basierter und auch für Laien verständlicher Informatio- nen verbessert werden kann, auch ohne eine Impfpflicht. Außerdem sollten Barrieren abgebaut werden, um das Impfen „leichter“ zu machen. In Deutschland und anderen Ländern wird zum Beispiel darüber diskutiert, ob Imp- fungen nicht grundsätzlich auch in der Apotheke durch- führbar wären. Bei der Masern-Mumps-Rö- teln-(MMR-)Impfung zum Beispiel gibt es einen deut- lichen Abfall von der ersten zur zweiten Teilimpfung. In Hamburg waren es laut letz- ten Daten 17 Prozent. Warum passiert das? Böhm: Eine Auslassung der „Vertrauen in die Ärzte stärken“ Der Entscheidungsanalytiker Robert Böhm hat gemeinsam mit einem Team anderer Wissenschafterinnen und Wissenschafter untersucht, was Menschen vom Impfen abhält. Die Gründe sind mannigfaltig. Entscheidungsanalytiker und Psychologe Robert Böhm (Uni- versität Aachen): „Gemeinschafts- schutz ein wichtiges Argument“. „Es ist ein Kampf der Informationen und Falschinformationen …“

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