AERZTE Steiermark | April 2019

Fotos: Symbol computers“. Wie gehen Sie mit derartigen Argumenten um? Völkl: Das war auch der Grund, warum wir in un- serer Modellregion Bruck- Mürzzuschlag begonnen ha- ben, mit den Ärzten intensiv zu kooperieren. Wir wollten darüber nachdenken, ob Tele- medizin einen medizinischen Nutzen, einen ökonomischen Vorteil hat, wie wir sie finan- zieren und welche Qualitäts- standards wir brauchen. Un- ser Ziel war ja ein relevanter Mehrwert für alle Stakehol- der. Dann sind wir draufge- kommen, dass zwar jeder das Projekt begrüßt hat, es aber nicht so richtig ins Fliegen kam. Da gibt es mehrere Ar- beitshypothesen: Erstens die zeitliche Komponente, die Sie jetzt ansprechen. Die Ordi- nationen sind ja bisher schon voll, der Arzt ist voll ausge- lastet. Dann haben wir in den Arztpraxen eine unklare Rollenverteilung: Darf nur der Arzt Telemedizin machen oder auch seine Assistentin bzw. die Krankenschwester? Das, was für mich in diesem Bereich am meisten zählt, ist, dass es keine Einbindung in den Ordinationslauf gibt. Die Ärzte haben immer gesagt: sensationelles Projekt. Sie ha- ben es aber als Sonderprojekt behandelt und am Tages- rand angehängt. Der Arzt hat zuerst seinen normalen Arbeitsablauf fertiggemacht und dann hat er Telemedizin gemacht. Das funktioniert so nicht. Ein gutbekannter Arzt hat mich einmal am Freitag um 22 Uhr angerufen und gesagt: „Jetzt mache ich deine Telemedizin.“ Solange es nicht integrierter Bestandteil eines Ordinationsgefüges ist, wird es nicht hinhauen. Da sind wir jetzt bei der Ordi- nation 4.0 … Völkl: Genau, alles heißt jetzt 4.0 – Arbeit, Bildung, Indus- trie. Wenn man vorne mit dabei sein will, muss man hinten 4.0 anhängen. Wir müssen systematisch ein Ge- schäftsmodell erarbeiten, in dem Telemedizin eine inte- grale Rolle im Ordinations- ablauf spielt. Das Schwierige ist nur, das einzuarbeiten, wenn am Beginn noch wenig Telemedizin da ist. Wenn die Politik großräumig auf Tele- medizin setzt, ist es leichter, ein Geschäftsmodell zu ver- wirklichen als jetzt zu Beginn. Die Frage ist: Erweitere ich das Geschäftsmodell anbie- terseitig oder mache ich es nachfrageseitig? Das ist das Schwierige, aber daran arbei- ten wir. Gawande hat nicht ganz unrecht: Das Problem bei der Digitalisierung ist ja nicht so sehr, dass sich Men- schen nicht mit dem Neuen beschäftigen, das Problem ist das Verlernen des Alten. Wer verlernt schon gerne etwas, das er eingeübt hat? Wenn aber neue Technologien mit alten Mustern zusammentref- fen, entsteht ein Gegensatz, der Ärger schafft. Wir sind so. Bevor ich auf eine theore- tische Ebene komme, würde ich mit jedem Arzt unser praxiserprobtes E-Health-Te- lemonitoring-Projekt durch- besprechen und sagen, das ist ganz einfach. Und es ist mit relativ hohem Nutzen für alle Stakeholder verbunden. US-Studien besagen, dass die Ablehnung von Ärztinnen und Ärzten gegenüber neuen IT- Tools daher rührt, dass sie ih- nen Zeit für die Patientinnen und Patienten wegnimmt, ohne Vorteile zu bringen. Der Arzt und Publizist Atul Ga- wande hat darüber einen lan- gen Essay im US-Magazin „New Yorker“ geschrieben. Ti- tel: „Why doctors hate their heißt Kooperation“ „Das Problem bei der Digitalisierung ist ja nicht so sehr, dass sich Menschen nicht mit dem Neuen beschäftigen, das Problem ist das Verlernen des Alten.“ Kurt Völkl: „Ärger aus der Welt schaffen …“ Ærzte Steiermark  || 04|2019 9 cover

RkJQdWJsaXNoZXIy NDYwNjU=