AERZTE Steiermark | Mai 2019
ÆRZTE Steiermark || 05|2019 11 Foto: COVER Was ist Ärztemangel eigentlich? Lindner: Auf diese Frage gibt es viele Antworten. Vom Land ärztemangel und vom Hausärz- temangel wird viel gesprochen. Dass es eigentlich ein Kassen- ärztemangel ist, der am Land früher auffällt als im städtischen Bereich, rückte erst in letzter Zeit ins Bewusstsein. Der Fachärz- temangel in der Niederlassung und in den Spitälern ist bis heute kein wirklich breit diskutiertes Thema. Wird zu wenig Überzeugungsarbeit gemacht? Lindner: Bekämpfen kann man den Mangel am besten zu einem Zeitpunkt, wo er zwar absehbar, aber noch nicht wirklich spürbar ist. Niemand kann Ärztinnen und Ärzte aus dem Hut zaubern. Breites Interesse findet das Thema Ärztemangel erst dann, wenn die Patientinnen und Patienten darunter leiden. Dann kommen gute Maßnahmen schon zu spät. Daran ändert auch intensive Überzeugungsarbeit nichts. Früh-, und damit rechtzeitig findet sie aber kaum Widerhall. Was ist die Ursache für den Mangel? Lindner: Es gibt ganz sicher nicht nur eine. Des- wegen gibt es auch nicht die eine Maßnahme, die alle Probleme löst. Eine ordentliche Bezah- lung ist natürlich nötig. Aber Geld allein genügt nicht. Ärztliche Freiheit spielt eine ganz wich- tige Rolle. Damit meine ich, dass Ärztinnen und Ärzte ihren Beruf möglichst unbehindert von bürokratischen Hürden ausüben wollen. Die Wertschätzung für ein Fach und die Reputation sind wichtige Faktoren. Einige Fächer leiden auch unter fehlender Bekanntheit ihrer Arbeit. In einigen Fächern gibt es zu wenig Ausbil- dungsstellen, in anderen fehlen die Inter essenten für die Ausbildungsstellen … Lindner: Dahinter steckt ein ganz wichtiges Problem – das schlechte Human-Ressources- Management. Wenn eine Oberärztin das öffent- liche Gesundheitswesen verlässt, gibt es wenig Ursachenforschung. Kaum jemand blickt über den Tellerrand des eigenen Bereichs. Nehmen wir ein Beispiel: Fachärztinnen für Kinder- und Jugendheilkunde. Wenn wir wollen, dass es in zehn Jahren genug davon für die Praxen und die Spitäler gibt, muss heute in der Ärzteaus- bildung etwas geschehen. Für dieses Fach hätten die Maßnah- men aber schon vor zehn Jahren gestartet werden müssen. Gibt es eine Maßnahme, die nicht hilft? Lindner: Etwas, das immer wie- der politisch gefordert wird, sind mehr Studienplätze an den Uni- versitäten. Diese Maßnahme ist aber extrem teuer und überhaupt nicht zielgerich- tet. Wenn im Wasserversorgungssystem einer Stadt Rohre lecken oder verstopft sind, kann man natürlich oben immer mehr Wasser hineinschüt- ten. Es wird trotzdem zu wenig in den Haushal- ten ankommen, weil das Wasser unterwegs ver- sickert. In der Ärzteausbildung ist es so ähnlich. Wenn uns in der Steiermark Anästhesisten fehlen und wir bilden deswegen an den Universitäten mehr Mediziner aus, werden viele davon als In- ternisten in deutschen Spitälern landen. Ein Vorwurf ist auch, dass die Qualitäts standards zu hoch sind. Lindner: Ein syrischer Arzt muss in einem steirischen Spital Deutsch können. Eine Ausbil- dungsstelle muss in der Lage sein, die gesamten Inhalte eines Faches zu vermitteln. Das sind einfach Grundlagen. Eine Senkung der Stan- dards wäre ein Armutszeugnis für das österrei- chische Gesundheitssystem. Dort, wo wir nicht gut genug sind, müssen wir besser werden. Das können wir auch, wenn wir wollen. Gibt es trotzdem etwas, das über alle Bereiche gilt? Lindner: Ja, wir müssen das Thema entideolo- gisieren. Es gibt Ärztemangelleugner, so wie es Klimawandelleugner gibt. Wegen der Verleug- nung des Ärztemangels wird zu spät gehandelt, nämlich erst dann, wenn es gar nicht mehr anders geht. Und wir brauchen ein allgemein anerkanntes statistisches Frühwarnsystem. Studien, die schubladisiert werden, nur weil die Zahlen nicht genehm sind, sind eine Kata- strophe. Die Überbringer der Nachricht werden oft bekämpft, um die Nachricht nicht hören zu müssen. Richtig ist die Nachricht trotzdem. „Thema entideologisieren“ Der steirische Ärztekammerpräsident Herwig Linder zum Thema Mangel. Herwig Lindner: „Richtig ist die Nachricht trotzdem.“ aufopfernde Chirurg ist aus der Mode gekommen.“ Beliebt – und doch bedroht Aber auch in äußerst be- gehrten Fächern wie der An- ästhesie sind Engpässe zu er- warten – und das, obwohl sich die Anzahl der in Österreich tätigen AnästhesistInnen in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt hat. „Wir durch- wandern ein Tal. Es fehlt der Mittelbau“, präzisiert der stei- rische Fachgruppenobmann Johann Kainz. „Die Älteren gehen in Pension und es kom- men zu wenig schnell Junge nach.“ Wird eine Stelle für fertige Anästhesisten und An- ästhesistinnen ausgeschrie- ben, gehe die Resonanz nicht selten in Richtung Null. Für die Anästhesie hat auch die Bedarfserhebung der GÖG in ihrer Gegenüberstellung von Angebot und Bedarf eine negative Bilanz – je nach Berechnungsmodell ab dem Jahr 2020 oder 2025 – voraus- gesagt. Kainz ortet die Gründe für den vorherzusehenden An- ästhesistenmangel einerseits im Wandel der Gesellschaft:
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