AERZTE Steiermark | Mai 2019
ÆRZTE Steiermark || 05|2019 7 BEREICH „Die unübersehbaren Probleme in der kinderpsychiatrischen Versorgung sind nur ein weiteres Symptom einer tiefsitzenden Störung eines einst stabilen Gesundheitssystems. Es ist fragil geworden. Durch Wegschauen, Ignorieren, Leugnen von Wahr- heiten, auf die Ärztekammer, Volksanwaltschaft u. a. seit Jahren hinweisen. Probleme, die man nicht löst, fliegen einem irgend- wann um die Ohren.“ Das habe ich vor einigen Tagen auf Facebook geschrieben. Ich und keine Ärztin, kein Arzt habe/n etwas gegen Veränderung. Ohne Veränderung würde die Medizin nicht jeden Tag bes- ser. Wir hätten keine laufend steigende Lebenserwartung, wir könnten HIV nicht behandeln, die Kindersterblichkeit nicht auf ein noch vor wenigen Jahren unvorstellbar geringes Maß re- duzieren. Aber positive Veränderung kann sich nicht jemand im stillen Kämmerlein ausdenken oder am Grünen Tisch. Positive Verände- rung entsteht nur dann, wenn konkrete Erfahrungen auf allen Ebenen ernstgenommen werden. In der Medizin gibt es unerwünschte Wirkungen, Nebenwir- kungen, die erst durch Beobachtung erkannt werden. Das gilt auch für die Gesundheitspolitik. Deswegen dürfen Veränderungen auch die Achtsamkeit nicht vermissen lassen. Die Bereitschaft, Fehler die aufgrund falsch- er Annahmen entstanden sind, zu korrigieren, statt darauf zu beharren („und das ohne lange Wartezeiten“, wie ein Journalist kürzlich geschrieben hat), ist kein Zeichen von Schwäche. Es ist ein Zeichen für Souveränität und Respekt vor der Wirk- lichkeit. Mir ist schon klar, dass solche Korrekturen auch immer Gegner auf den Plan rufen, denen es primär um politisches Kleingeld und nicht um echte Verbesserungen geht. Aber in der Gesundheit gilt: Hier haben echte Menschen mit echten Krankheiten echte Sorgen. Und diese Menschen dürfen wir niemals allein lassen. Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark. Fotos: www.derknopfdrücker.com, Oliver Wolf, Elke Meister, Harry Schiffer, Grafik: Konrad Lindner Am Anfang des neuen – zwar ausverhandelten, aber noch nicht in Kraft gesetzten – Primärver- sorgungsvertrages steht ein wichtiger Satz: Es darf zu keiner unsachlichen Differenzierung zwi- schen Einzelvertragsärztinnen und -ärzten sowie allgemeinmedizinischen Vertragsgruppenpraxen gegenüber Primärversorgungseinheiten kommen. Muss man das betonen? Ja, das muss man, un- bedingt muss man das. Im politischen Diskurs wird ja manchmal so getan, als würden Primär- versorgungseinheiten oder „Gesundheitszentren“, wie man in der Steiermark lieber sagt, alle nur er- denklichen Probleme lösen. Sie dienen als Ersatz für geschlossene Krankenhäuser, es wird so getan, als würden sie rund um die Uhr offen haben und alles können. Dem ist natürlich nicht so. In Primärversor- gungseinheiten arbeiten Allgemeinmedizine- rinnen und Allgemeinmediziner (sowie andere Gesundheitsberufe). Sie können viel leisten, aber sicher nicht alles. Sie können vor allem nichts Übermenschliches leisten. PVE sind natürlich keine Krankenhäuser. Die Ärztinnen und Ärzte, die dort arbeiten, brauchen auch Freizeit und Ur- laub. Und sie arbeiten auf Augenhöhe mit ihren Kolleginnen und Kollegen in (allgemeinmedizi- nischen) Einzelpraxen. Der neue Vertrag, der sicher nicht perfekt ist, rückt übertriebene – unerfüllbare – Erwartungen und Behauptungen zurecht. Es ist auch selbstverständlich, dass die Ärztinnen und Ärzte in diesen Zentren den gleichen Beitrag zu Bereitschaftsdiensten leisten wie andere auch. Sie können es in der Steiermark freiwillig tun, sie müssen aber nicht, so wie Ärztinnen und Ärzte in Einzelpraxen es auch nicht müssen. Die Primärversorgung gehört entmystifiziert, wenn sie funktionieren soll. Der Vertrag ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Vizepräsident Dr. Norbert Meindl ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte. EXTRA Norbert Meindl PVE-Vertrag: ein wichtiger Schritt STANDORTBESTIMMUNG Herwig Lindner Wir dürfen die Menschen nicht alleine lassen D BATTE
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