AERZTE Steiermark | Oktober 2019
22 ÆRZTE Steiermark || 10|2019 JA IMPFPFLICHT-DEBATTE werden, dass ihnen das Leben der Kinder als höchstes Gut gilt. Bezüglich der Menschenwür- de fällt es nicht immer leicht, jedem Menschen vom kleins- ten Neugeborenen bis zu den Menschen mit Behinderungen die gleiche menschliche Wür- de wie anderen gesunden Men- schen zuzusprechen, obwohl genau dies im Artikel 1 der in- ternationalen Menschenrechte festgelegt ist. Ein auch heute noch wahrnehmbarer Pater- nalismus mit geringer Lust zur Reflexion anderer fundierter Meinungen mag diese recht- liche und ethische Forderung beeinträchtigen. Die Integrität des Menschen ist für die Ärztin/den Arzt bei medizinischen Maßnah- men immer sehr kritisch zu betrachten. Jede Impfung ist im Grunde ein Eingriff in die Unversehrtheit des Menschen. Weil jedoch die Nebenwir- kungen der Impfungen, die in österreichischen Instituten sehr aufmerksam überwacht werden, weit unter dem Risiko einer Erkrankung liegen, darf sich der Arzt bei der Risiko- abwägung für das zweifellos höheren Gut einer Impfung entscheiden. y Zur Forderung persönlicher Autonomie: Dies bedeutet Selbstentschei- dung. In einer Demokratie steht die Freiheit der Entschei- dung an erster Stelle. Bei Imp- fungen von kleinen Kindern sind die Eltern gefordert, diese Entscheidung nach geltendem Recht für das Kind zu überneh- men und unmündige Kinder bis zum 14. Lebensjahr in der Entscheidung zu unterstützen. Circa ab dem 6. Lebensjahr sollte auch bei diesen Kindern ein ärztliches Gespräch über Nutzen und Risiko der Imp- fung in altersgemäß verständ- licher Weise erfolgen. Nach dem vollendeten 14. Lebensjahr können mündige minderjäh- rige Jugendliche und natür- lich Volljährige nach verständ- licher Information durch die Ärztin/den Arzt entsprechend der novellierten Fassung des Kindschaftsrechtsänderungs- gesetzes 2013 (6) selbst ent- scheiden. Für die meisten ein- sichtsfähigen Eltern und an- dere entscheidungsfähige Per- sonen sind die vorgeschlagenen Impfungen eine existentielle Vorsorge gegen unangenehme und gefährliche Infektionen. Manchmal gestalten sich die erforderliche Information und ethisch gerechtfertigte Über- zeugungsarbeit schwierig und ist bei Impfgegnern nicht sel- ten erfolglos. Deshalb wird, wie vor kurzem in Italien eingeführt, auch in Ös- terreich eine gesetz- liche Impfpflicht dis- kutiert. y Zur Forde- rung indivi- dueller Bene- fit: Es gibt w e l t - w e i t a u f individuellen Benefits y Das Prinzip des Verhinderns von Schaden („ primum non nocere“) y Verteilungsgerechtigkeit: Das heißt, dass bei medizi- nischen Maßnahmen, auch in der Forschung, zwischen zustimmungsunfähigen und zustimmungsfähigen Personen ( z. B. kleine Kinder, Bewusstlose u. a.) unter Beachtung indivi- dueller Sicherheitsbedin- gungen Gleichberechtigung besteht. y Solidarität unter den Men- schen („community spirit“) Medizinische Ethik und Schutzimpfungen Wie können die ethischen For- derungen mit Impfungen in Bezug gesetzt werden? y Zur Forderung Respekt für Leben, Würde und Integrität: Der Staat schlägt in seiner Verantwortung für das Wohl seiner Bevölkerung wohl- durchdachte, wissenschaftlich fundierte und jährlich über- arbeitete Impfpläne vor (6), damit sie von ÄrztInnen in die Tat umgesetzt werden. Dabei müssen wir die Eltern mitein- beziehen, die eine unentbehr- liche Verantwortung für die Gesundheit ihrer Kinder ha- ben, da sie ja beim Großteil der Kinder die Gesundheits- pflege und -erhaltung zum Teil nach ärztlichem Rat über- nehmen und dabei auch die Entscheidung für oder gegen Impfungen fällen. Was verant- wortungsvolle ÄrztInnen und Eltern betrifft, kann mit weni- gen Ausnahmen angenommen Impfen und Ethik RONALD KURZ Einleitung Auf der Basis des Hippokra- tischen Eids und des Genfer Gelöbnisses haben sich für Ärztinnen und Ärzte allge- meine ethische Grundfor- derungen für die Anwen- dung medizinischer Maßnah- men entwickelt (1, 2). Diese Grundsätze sind auch für alle entscheidungsfähigen Personen in Bezug auf ihre eigene Gesundheit und die Gesundheit ihrer Mitmen- schen beachtenswert, insbe- sondere für die Eltern, die für ihre Kinder mitverantwort- lich sind. In den letzten Jahr- zehnten haben sich dem Alter und der Reife angemessene kindgerechte Ethikstandards für Praxis und Forschung in der Kinder- und Jugendheil- kunde im Sinne des „Best Interest Standards des Kin- deswohls“ konstituiert (3, 4): y Respekt für Leben, Würde und Integrität jedes Menschen y Persönliche Autonomie: Das heißt, dass jeder Mensch das Recht auf verständliche Information und Zustimmung vor jeder ärztlichen Maßnahme hat. Für Kinder mit altersun- terschiedlichen Einschrän- kungen der Entscheidungs- fähigkeit gibt es rechtliche Vorgaben (s. u.) y Das Prinzip des Beim Thema Impfpflicht scheiden sich die Geister. Im Vorfeld des Grazer Impftags am 19. Oktober plädiert der Pädiater Ronald Kurz für die Impfpflicht. Der Theologe Andreas Klein spricht sich dagegen aus. Wir bringen beide Positionen. Pro & Kontra Impfpflicht
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