AERZTE Steiermark | Oktober 2019

IMPFPFLICHT-DEBATTE Fotos: Fotolia, beigestellt ethischen Krite- rien basierende wissenschaftliche Untersuchungsergeb- nisse (sog. klinische Studien) von Imp- fungen, die sich auf jene Infektionen konzentrieren, die eine hohe Gefährdung der Menschen bedeuten und bei denen Impfungen einen signifikanten Benefit bewie- sen haben. Das sind die im Österreichischen Impfplan (5) vorgeschlagenen Imp- fungen, die weitgehend ande- ren europäischen Impfplänen entsprechen. Daneben gibt es Impfungen, die in der Vergan- genheit nicht den erwarteten Erfolg brachten, z. B. gegen Scharlach oder Tuberkulose, und wieder eingestellt wurden. Andere Impfungen wurden eingestellt, weil weltweit der Impferfolg zur Eradikation der Infektion führte, z. B. gegen Pocken. Nahe dran ist man bei der Kinderlähmung, bei der politische Wirren, wie z. B. in Afghanistan, die sog. Polio-Plus-Aktion zum Zweck der Eradikation noch behin- dern. Intensiv geforscht wird z. B. an einer Impfung gegen AIDS, aber noch ohne Erfolg. Fazit: Impfprogramme haben weltweit zahlreiche früher seu- chenartig und vielfach töd- lich verlaufende Infektionen wesentlich reduziert (7), aber noch nicht eliminiert, was jedoch für einige Krankheiten möglich wäre. y Zur Forderung Nicht- Schaden: Aus dembisherGesagten ergibt sich, dass das Negieren der bis- herigen Forschungsergebnisse bezüglich des Benefits von Impfungen oder das Fernhal- ten der Kinder von Impfungen ein unter Umständen hohes Risiko, also einen Schaden, bedeuten. Gründe für Impf- gegner sind Angst vor Neben- wirkungen, grundsätzliches Misstrauen gegenüber der sog. Schulmedizin und der Phar- maindustrie, esoterische oder individuell-opportunistische Grundhaltungen bei Eltern und anderen Erwachsenen, manchmal auch bei ÄrztInnen, die durch Forschung weltweit erwiesene Fakten nicht akzep- tieren können (8). Dabei wird das Risiko der Impfkomplika- tionen bei den derzeit entwi- ckelten, kritisch überprüften Impfungen überschätzt (9). Beträchtliche Impfkomplika- tionen sind selten und nur in extremen Ausnahmesituati- onen gefährlich. Als Beispiel können die Masern dienen: Beachtenswerte Krankheits- symptome wie hohes Fieber, Lichtscheu, und verschiedene Organschäden treten nach Masernimpfungen tausend- mal seltener auf als bei nicht geimpften Kindern bzw. Er- wachsenen, bei denen schwere Verläufe mit Lungen- oder Hirnentzündungen (30 % Le- talität), die subakute sklerosie- rende Panenzephalitis (100 % Letalität) und monatelange Schwächung des Immun­ systems beobachtet werden können. In diesem Zusammenhang muss festgestellt werden, dass die verantwortungsvolle Ärztin bzw. der verantwor- tungsvolle Arzt keine Imp- fung durchführt, wenn eine Gegenindikation besteht, z. B. bei schwerer Krankheit, bei vulnerablen PatientInnen mit chronischen Erkrankungen u. a. im Sinne des „primum non nocere“. Fazit: Impfgeg- ner verantworten das vielfach erhöhte Risiko der Schädigung der Kinder und anderer Kon- taktpersonen und der eigenen Gesundheit. y Zur Forderung Verteilungsgerechtigkeit: Dieser Grundsatz zielt darauf hin, dass nicht entscheidungs- fähige Personen wie kleine Kinder oder Menschen mit Behinderung wie alle anderen Personen unter der Vorausset- zung einer ethischen „Good Clinical Practice“ gleicherma- ßen in den Genuss einer sau- beren Forschung und neuer wirksamer Heilmittel kom- men (10). y Zur Forderung Solidarität (community spirit): Dieter Spork (11) weist über- zeugend darauf hin, dass unser öffentliches Gesundheitswesen die Verantwortung hat, eine optimale und für die ganze Bevölkerung flächendeckende Vorbeugung besonders gegen potentiell gefährliche, anste- ckende Krankheiten durch- zuführen. Es geht von nicht geimpften und infektiösen Kranken grundsätzlich eine Ansteckungsgefahr für Mit- menschen aus, die sich bis zu Epidemien ausweiten kann, wenn durch mangelnde Impf- bereitschaft Maßnahmen des Gesundheitsdienstes untergra- ben werden. Weil also von nicht geimpften Menschen ein beträchtliches Schadensrisiko für nicht geimpfte Kontakt- personen ausgeht, besteht für jedes Mitglied unserer Gesell- schaft die ethische Forderung, dieses Risiko in Eigenverant- wortung z. B. durch Imp- fungen zu verhindern. Eine besondere moralische Verant- wortung für einen wirksamen Impfschutz bei sich selbst ha- ben Personen, die in Gesund- heitsberufen arbeiten. Literatur 1.) Beauchamp T. L., Childress J. F. (2004) Principles of Bio- medical Ethics. 6.Aufl., Oxford: University Press 2.) Staudt F., Schockenhoff E. (Hrsg) (2016): Tagung der „Cadenabia Akademie” Abtei ÆRZTE Steiermark  || 10|2019 23 Univ.-Prof. i. R. Dr. Ronald Kurz ist Facharzt für Kinder- und Ju- gendheilkunde. Er war Vorstand der Grazer Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde und danach bis zu seiner Emeritierung Leiter der Klinischen Abteilung für Allgemeine Pädiatrie. Der Text erschien in Pädiatrie & Pädologie 53/Februar 2018 (Springer).

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