AERZTE Steiermark | Oktober 2019
36 ÆRZTE Steiermark || 10|2019 Foto: Conclusio ALTERSMEDIZIN „Der Tod ist nicht der Todfeind, der Tod ist da.“ Das Buch geht von einem konkreten Fall einer alten Patientin aus. Die Fragestel- lung ist einfach: Was soll die Medizin tun? Der Anästhesiologe Rudolf Likar und der Altersmedizi- ner Georg Pinter haben sich gut 50 weitere Autorinnen und Autoren gesucht, um diese ethische Frage zu be- antworten. Es sind Ärztinnen und Ärzte unterschiedlicher Fachbereiche, Expertinnen und Experten aus der Pflege, Psychologen, Ethiker, Juristen und Theologen, die aus ihrer Perspektive Antworten geben, manchmal auch um sie rin- gen. Der Gesundheitspolitik- Redakteur der Kleinen Zei- tung, Dieter Hubmann, führt einleitend neun Gespräche mit Fachleuten, teils solchen, die dann in längeren Beiträ- gen nochmals ausführlich zu Wort kommen. „Die ethischen Fragen stellen eine immer größere Heraus- forderung in der Medizin dar“, sagt Likar in einem Gespräch. Und kritisiert eine Schema- F-Medizin: „Das was auf die Ärzte zukommt, ist nichts, was man nach den Leitlinien herunterbeten könnte. Etwas nicht nach Leitlinien zu ma- chen, sondern eine humane Entscheidung zu treffen, eine patientenspezifische, wie den Abbruch einer medizinischen Behandlung.“ „Zahlen kennen keine Ethik“, längern könnte, agieren kann, weiß auch Walter Schippinger, Ärztlicher Leiter der Gra- zer Albert-Schweizer-Klinik und dort Leiter der Abteilung für Innere Medizin: „Ent- scheidungen zur Therapie reduktion sind in der Geriat- rie täglich notwendig“, meint er. Der Internist und Geriater Peter Mrak, Leiter der Abtei- lung für Innere Medizin und Akutgeriatrie des KAGes- Standortes Voitsberg, weist darauf hin, dass es nicht nur um die betroffenen Patien- tinnen und Patienten geht: „Wichtig erscheint dabei, die (…) immer individuell zu treffende Entscheidung am Lebensende so zu kommuni- sagt der Ökonom Karl Cernic, Kaufmännischer Direktor am Klinikum Klagenfurt am Wörthersee. Allerdings gebe uns die Wissenschaft, welche auf Zahlen basiert, eine Leit- planke. Wieder zu mehr Individua- lität zurückzufinden, lautet auch der Appell des Psycho- logen Herbert Janig: „Ohne dass der Arzt die näheren Le- bensumstände des Patienten kennt, kann er sich nur an seinen eigenen Normen und an Leitlinien oder ähnlichen Vorgaben medizinischer Be- handlung orientieren.“ Dass die Altersmedizin nicht nach dem Prinzip, alles zu machen, was das Leben ver- zieren, dass die Angehörigen möglichst entlastet werden.“ Monique Weissenberger-Le- duc und Michaela Zmaritz- Kukla, die beiden Pflegeex- pertinnen, zeigen auch ein Dilemma auf: Es gebe einen „Konf likt des Prinzips des Nicht-Schadens auf der einen Seite und den Prinzipien des Wohltuns sowie des Respekts vor der Selbstbestimmung auf der anderen“. Alle Autorinnen und Autoren fordern also mehr Individua- lität und Gesamtheitlichkeit, die Abkehr vom Mechanisti- schen und Normativen. Dabei ist ihnen sehr wohl bewusst, dass die moderne Medizin mit ihrem Kosten- und Leistungs- druck bzw. ihrer Abhängigkeit von Standard-Prozeduren, die durch die immer stärkere In- anspruchnahme „künstlicher Intelligenz“ zusätzlich an Re- levanz gewinnen, hier leicht an ihre Grenzen stößt. Denn In- dividualität braucht vor allem Bedachtsamkeit, die sich nur in der Langsamkeit entfalten kann. Geschwindigkeit und Effizienz sind nicht unbedingt die besten Kombattanten des ethischen Handelns. Eine ge- samtheitliche Sicht auf den Menschen wird in Zeiten der Spezialisierung zunehmend schwierig. „Der Tod ist nicht der Todfeind, der Tod ist da“, sagt Pinter. Diese Selbstver- ständlichkeit muss aber wohl neu in der Medizin verankert werden, damit Menschlichkeit wieder zur Normalität wird. Sieben Herausgeber und mehr als 50 ExpertInnen sprechen und schreiben über „ethische Herausforderungen des Alters“. Was soll die Medizin und was nicht, ist die zentrale Frage. Ein neues Buch widmet sich den ethischen Fragen der Medizin für alte Menschen. Gut 50 Expertinnen und Experten haben daran mitgewirkt.
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