AERZTE Steiermark | Oktober 2019
ÆRZTE Steiermark || 10|2019 37 Foto: Conclusio GESUNDHEITSKONFERENZ Gesundheitskonferenz 2019: Mehr Zeit für Erklärungen MARTIN NOVAK Robin Haring, habilitierter Professor für Gesundheits- wissenschaften an der Euro- päischen Fachhochschule in Rostock, brachte als Keynote- Speaker nicht ganz unbe- kannte Zahlen: Lebensstil, Umweltbedingungen und so- ziale Situation tragen ähnlich viel zur Gesundheit bei wie Spitzenmedizin. Gleichzeitig lieferte er auch Zahlen, die belegen können, dass weniger Medizin mehr Lebensqualität bringen kann. So weit, so klar. Er belegte die These unter an- derem mit Brustkrebsstatis tiken. Nur eine von tausend Patientinnen mehr würde nicht an Brustkrebs sterben, weil es das Brustkrebs-Scree ning gibt. Dem gegenüber stünden viele unnotwendige Operationen und falsch posi- tive Diagnosen, die zu tiefer Verunsicherung führten. Eine von tausend heißt aber: in Summe viele tausend. Viele tausend, die fragen, warum sie nicht durch ein Screening gerettet werden können. Und noch mehr stellen diese Frage die Angehörigen von Verstor- benen. Auf dieses Dilemma wies der steirische Ärztekammerpräsi- dent Herwig Lindner hin: Ein im Sinne der Lebensqualität begrüßenswerter Behand- lungsabbruch, eine gar nicht durchgeführte Therapie kann leicht zu Empörung bei den die frisch bestellte Patien- tinnen- und Patientenom- budsfrau Michaela Wlattnig ein. Sie formulierte es sogar als ihren „Wunsch an das Christkind“, den Moderator Werner Rannacher von allen am Podium hören wollte. Dass es in der Gesundheits- politik nicht nur um Spitals- standorte und Spitzenmedi- zin gehen sollte, betonte auch Gesundheitslandesrat Chris topher Drexler in seinem Statement. „Wir wollen den technischen und den medi- zinischen Fortschritt nutzbar machen, um den Patientinnen und Patienten eine genau auf sie abgestimmte Behandlung Betroffenen führen. Sie kann Ärztinnen und Ärzte zumin- dest an den Medienpranger bringen oder – noch schlim- mer – zu Tätlichkeiten der von der Verweigerung Betrof- fenen bzw. deren Angehöri- gen führen. Das Gegenmittel gibt es: behutsame Erklärung, in manchen Fällen stunden- lange. Das erfordert zweierlei: Zeit und Muße, die es im medizinischen Alltag immer weniger gibt. Weil die Pati- entinnen und Patienten „al- les und das möglichst sofort“ wollen. Auch dann, wenn sie es gar nicht brauchen würden. Diese „Zeit“ für Erklärungen und Gespräche forderte auch zukommen zu lassen – und das möglichst einfach für je- den Einzelnen. Im Zusam- menspiel mit den bewährten Strukturen unserer Gesund- heitsversorgung wollen wir so unser oberstes Ziel, nämlich die gesunden Lebensjahre der Steirerinnen und Steirer zu er- höhen, erreichen“, so Drexler. Irgendwie waren sich alle ziemlich einig, auch wenn das nicht durchgehend sichtbar wurde, und auch die Zugän- ge naturgemäß verschieden waren. Ob sich dadurch et- was ändert oder die sprich- wörtlichen Wünsche an das Christkind genau die bleiben? Das sei einmal dahingestellt. Dass mehr Medizin nicht notwendigerweise mehr Lebensqualität für die Patientinnen und Patienten bedeutet, darüber gab es bei der Gesundheitskonferenz wenig Zweifel. Aber der Verzicht auf Behandlung muss den Betroffenen auch erklärt werden. Moderator Werner Rannacher (stehend) und das Diskussionspodium mit dem Public-Health-Experten Robin Haring, Landesrat Drexler, Patienten-Ombudsfrau Wlattnig, Ärztekammerpräsident Lindner, Gesundheits- und Sozialwissenschafter Winkler, GÖG-Geschäftsführer Herwig und GKK-Obmann Harb (v. l.).
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