AERZTE Steiermark | Dezember 2019

28 ÆRZTE Steiermark  || 12|2019 ÄRZTE OHNE GRENZEN URSULA SCHOLZ „Ich hatte nie den Gedanken, unsere Hilfe sei nur ein Trop- fen auf den heißen Stein“, er- zählt Matthias Saraya. „Viel- mehr überlegt man sich oft bei der Arbeit: Was wäre aus diesem Menschen geworden, wenn wir nicht hier wären?“ Saraya absolvierte im vorigen Winter seinen ersten einmo- natigen Auslandseinsatz für Ärzte ohne Grenzen im Kran- kenhaus in Qayyarah, rund 70 Kilometer südlich von Mossul, das für die Stadt Qayyarah samt Umgebung und das dor- tige Lager zuständig ist. „Da leben 150.000 displaced people, aufgeteilt auf acht Camps. Das sind unglaub- liche Dimensionen.“ Dimen- sionen eines Leides, dem sich Hilfskräfte jedenfalls stellen müssen. „Man muss betroffen sein vom Unvorstellbaren, das die Menschen erleiden. Es darf einem keine Ruhe lassen, was dort geschieht – ohne diesen Antrieb geht es nicht.“ Gleichzeitig be- tont Saraya auch die Grenzen des Mit-Leidens: Hineinstei- gern dürfe man sich nicht, denn das ginge auf Kosten der Handlungsfähigkeit. Zwei Tage lang sei man schockiert, danach so intensiv in den Arbeitsprozess eingebunden, dass man gar nicht mehr zum Nachdenken komme. Eindrücken überein. „Was- ser- und Ölverbrennungen waren meist wirklich Unfälle, aber bei den Kerosin-Verbren- nungen handelte es sich oft um versuchte Suizide.“ Schafhirten waren auf Minen getreten, Soldaten hatten sich selbst verletzt, um aus der Ar- Andere Welt Der 47-jährige Saraya, der in seinem Alltagsleben als An- ästhesist am Standort Stolzal- pe des LKH Murtal arbeitet, tauschte diese Normalität ge- gen eine Welt allgegenwär- tiger Bedrohung im Nordirak. Er arbeitete im emergency hospital von Ärzte ohne Gren- zen, ebenfalls als Anästhe- sist. Bloß an anders gearteten Fällen. „70 Prozent hatten schwerste Verbrennungen, oft Kinder; dazu kamen Ver- letzungen nach Minen- und Sprengkörperunfällen, Sol- daten, die sich selbst ins Bein geschossen hatten, und akute allgemeinchirurgische Not- fälle.“ Nicht immer stimmte die Anamnese mit seinen mee zu flüchten – doch sobald das ruchbar wurde, kamen sie vor ein Militärgericht. „In diesem Moment muss man sich darauf konzentrieren, dass man genau die Arbeit macht, die man sich selbst ausgesucht hat und dass diese Welt mit jener zuhause nicht vergleichbar ist.“ Matthias Saraya, Anästhesist auf der Stolzalpe, erlebte im Nordirak seinen ersten Einsatz für Ärzte ohne Grenzen. Als notwendige Voraussetzung für Hilfseinsätze sieht er die Bereit- schaft zur Betroffenheit und eine intensive Auseinandersetzung mit der Kultur des Ziellandes. „Betroffen sein vom Unvorstellbaren“ Fotos: beigestellt

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