AERZTE Steiermark | Dezember 2019
30 ÆRZTE Steiermark || 12|2019 Doch trotz guter Ausstattung sind die Hilfsmöglichkeiten im Spital begrenzt – auch aus kulturellen Gründen. Und das, so Saraya, müsse man akzeptieren. So durfte bei ei- ner jungen Frau mit nicht zu klärenden Bauchschmerzen kein Schwangerschaftstest ge- macht werden. „Es hieß, sie sei unverheiratet und daher Jungfrau. Hätten wir sie mit einem positiven Schwanger- schaftstest entlassen, hätte das sehr negative Folgen für sie gehabt.“ Einer der Ihren Auch in der Zusammenarbeit mit den ärztlichen Kollegen ist kultursensibles Vorge- hen entscheidend. „In einem Land, in dem der Gesichts- verlust zu den schlimmsten Demütigungen zählt, ist es schwierig, Kollegen zu super- vidieren, wie es die eigentliche Aufgabe der ausländischen Ärzte ist.“ Verbesserungsvor- schläge müssten daher sehr vorsichtig vorgebracht wer- den. Kommuniziert wird auf Englisch; für die Patienten- gespräche gibt es auch einen Arabisch-Dolmetsch. Saraya war darauf vorbereitet, dass die ersten Tage primär dem Beziehungsauf bau ge- widmet sein würden, dem gemeinsamen Teetrinken und Austausch von Informatio- nen über die Familie. Denn vor der Sachebene muss im arabischen Raum immer die Beziehungsebene gepf legt werden. So wurde er dann herzlich in die örtliche Kol- legenschaft aufgenommen, abends eingeladen und bekam Einblick in die Großzügig- keit, den Bildungshunger und die politischen Einstellungen der Menschen. Geholfen hat ihm im Irak sein arabischer Nachname, den er dem aus Syrien eingewanderten Vater verdankt. Obwohl Christ, in Österreich aufgewachsen und bis zum Beginn der Syrien- Krise nicht besonders intensiv mit den eigenen Wurzeln be- fasst, wurde Saraya als einer der Ihren akzeptiert. Schweigen hier wie dort Eine der Grundregeln im Ein- satz bei Ärzte ohne Grenzen ist, weder über Politik noch über Religion zu sprechen. Doch so einfach lässt sich diese Maxime gar nicht um- setzen, sagt Saraya. „Die Pati- enten erzählen ihre Geschich- te und spätestens nach zehn Minuten geht es darin um Politik.“ Dann heißt es zuhö- ren, Fragen stellen – aber sich selbst niemals deklarieren. Mehr schweigen als erwartet muss Saraya auch in Öster- reich. „Die wenigsten Men- schen möchten die Wahrheit darüber hören, was ich im Irak erlebt habe. Zumindest nicht bis ins Detail.“ Der Alltag im Hilfseinsatz sei nicht immer lustig und auch die unschönen Erlebnisse ge- hörten zur Wahrheit, so seine Einstellung. Um seine Erfah- rungen einem breiteren Publi- kum zugänglich zu machen, hat sich Saraya bereiterklärt, in Bruck an der Mur über sei- nen Irak-Aufenthalt zu spre- chen und sich den Fragen des Publikums zu stellen. Was ihn im Irak besonders be- eindruckt hat? Als bei einem Abendessen unter Kollegen ein heimischer Kinderarzt ein Video über die Misshandlung irakischer Zivilisten durch US-amerikanische Soldaten gezeigt hat, fragte Saraya den Kollegen, ob er angesichts dieser Bilder nicht einen un- geheuren Hass empfinde. „Er hat nur gesagt: ‚Wir haben vergeben. Denn wir wollen Menschen bleiben‘.“ www.aerzte-ohne-grenzen.at „Die wenigsten Menschen möchten die Wahrheit darüber hören, was ich im Irak erlebt habe. Zumindest nicht bis ins Detail.“ Matthias Saraya ÄRZTE OHNE GRENZEN Foto: beigestellt
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