AERZTE Steiermark | März 2020
ÆRZTE Steiermark || 03|2020 51 NIEDERGELASSENE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE Foto: Stelzl, Meister Der ganz normale Praxiswahnsinn PRAKTISCH TÄGLICH Von Ulrike Stelzl Bedenke das Alter! „Kopf hoch“, meint meine Freundin P. nach ein paar Gläsern Cremont de Loire. „Schließlich ist 50 das neue 40.“ „Du hast gut reden“, antworte ich, „weil dann 40 das neue 30 ist“ (P. ist zehn Jahre jünger als ich). Kurze Zeit später verlasse ich P.s Wohnung erschöpft und todmüde, um heim zu schlurfen und ins Bett zu fallen. Wie auch immer. Auf jeden Fall scheint 21.30 Uhr das neue Mitternacht zu sein. Irgendwie ist es auch mir passiert: Ich bin alt geworden. Vor lauter Arbeit und sonstiger Abwechslung in meinem Leben ist mir das nicht einmal aufgefallen. Aber der Kalender lügt nicht. Vor zwei Jahren, als ich noch auf der anderen Seite dieser un- sichtbaren Grenze stand, hinter der nur mehr die Generation 50plus existiert (völlig egal, ob man noch für den Marathon trainiert oder gestützt auf den Rollator den Gang entlangwa- ckelt, ob man Spitzenunterwäsche kauft oder Inkontinenz- höschen, Nepal bereist oder aus dem Pflegebett kugelt: 50plus, mehr Abstufungen gibt’s nicht), da musste ich selbst einmal in die Patientenrolle schlüpfen. Zwecks Schwindelabklärung ging es von Untersuchung zu Unter- suchung. Mein lieber Kollege W. glaubte zwar an eine überarbei- tungsinduzierte Genese des Schwindels, ließ aber meinen Kopf und mein Genick in die Röhre stopfen, leuchtete mir zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder heraus und überwies mich auch zur Carotissono. Der Radiologe beschäftigte sich eingehend mit meinen Halsschlagadern und war entzückt: zartwandig, pla- quefrei und überhaupt die perfekten Carotiden. Zum Abschied gab er mir die Hand und beglückwünschte mich zu diesen Prachtexemplaren. Ich fühlte mich toll. Jung und unverwundbar. Aber kurz nach demÜberschreiten der grausigen Grenze packte mich der plötzliche Vorsorgewahn. Neben den üblichen Dingen wie Gyn, Mammographie und Zahnreinigung begab ich mich auch gleich zur Gastroskopie und Coloskopie und zur Kno- chendichtemessung. Ich nahm mir zwei Seiten Laborparameter ab (wenn ich es vermeiden kann, sticht mich kein anderer) und legte mich ganz unbesorgt zur Carotissono. Derselbe Radiolo- ge, der vor nicht ganz zwei Jahren von meiner Halsschlagader geschwärmt hatte, befand sie jetzt etwas wandverdickt und mit flachen Plaques versehen. Ich fiel aus allen Wolken. „Aber, aber ich kann doch jetzt nicht plötzlich Carotisplaques haben!“, stammelte ich. Er sah mich nur mitleidig an und meinte. „Aber Ulrike, dein Alter! Bedenke das Alter!“ Dr. Ulrike Stelzl ist niedergelassene Ärztin für Allgemein medizin. Mehr von ihr gibt es im Buch „Hallo Doc! 2 Der ganz normale Praxiswahnsinn“ (erhältlich bei Amazon) Eine Patientenmil- liarde und eine um- fassende Harmoni- sierung waren mit der Schaffung der Ös t e r r e i c h i s c hen Gesundheitska sse versprochen wor- den. Stattdessen ließ der Generaldirektor der ÖGK, Bernhard Wurzer, kürzlich mit der Ankündigung auf horchen, man müsse den Gürtel enger schnallen. „Diese Kürzungsphantasien sind ein Faustschlag in das Gesicht der Versicherten und der Ärztinnen und Ärzte“, wetterte am Dienstag der Ob- mann der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in der Steiermark, Vizepräsident Norbert Meindl. Es gäbe das Versprechen, nicht bei den Leistungen, son- dern in der Verwaltung zu sparen. „Dieses Versprechen ist einzuhalten“, so Meindl. Er erinnerte daran, dass die stei- rische Gebietskrankenkasse zuletzt ein positives Betriebs- ergebnis von mehr als 37 Mil- lionen Euro erzielt habe, und das trotz der erkennbaren Bemühungen, die finanziellen Rahmenbedingungen für die extramurale Versorgung zu verbessern. Alles auf Bundes- ebene genehmigt Meindl erinnerte auch da- ran, dass jede Maß- nahme, die Kosten verursacht, auf Bun- desebene genehmigt worden sei. „Natür- lich kostet eine Wie- dererstarkung der über die Jahre massiv geschwächten Ver- sorgung Geld – aber hier wurde immer mit großem Verantwortungs- bewusstsein agiert“, so der Sprecher der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Meindl erinnerte daran, dass der Anteil der Ausgaben für die Leistungen niedergelas- sener VertragsärztInnen im Jahr 2002 15,6 Prozent der gesamten Kassenausgaben be- tragen habe, zuletzt aber nur 12,3 Prozent. Politik kann Zerstörung nicht hinnehmen Er erwarte sich einen Ord- nungsruf der Politik für die ÖGK: Diese sei in den letzten Jahren immer für eine Stärkung der niedergelassenen Versor- gung eingetreten: „Ich kann nicht glauben, dass diese Poli- tik jetzt die Zerstörung dieser niedergelassenen Versorgung durch die ÖGK stillschweigend hinnimmt“, sagte Meindl. Die Landespolitik habe eben- falls Grund zur Besorgnis: „Es ist zu befürchten, dass die ÖGK jetzt auch bei den Mit- teln für den steirischen Ge- sundheitsfonds sparen will.“ „Versprechen einhalten“ Vizepräsident Meindl: „Kürzungs phantasien sind Faustschlag in das Gesicht der Versicherten und Ärzte – erwarte mir Ordnungsruf der Politik.“ Norbert Meindl
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