AERZTE Steiermark | Juni 2020

Fotos: Pfusterschmid, Schiffer, Amaro-Eisenberger, Beigestellt COVER darzustellen, trachtete man doch eine Verunsicherung der Gesellschaft zu vermeiden. Dafür, und natürlich auch für die Tatenlosigkeit der Re­ gierung, erntete der Minister für Volksgesundheit heftige Kritik. Zu Unrecht, wie mir scheint, denn Horbaczewski und den Behörden waren in dieser außergewöhnlichen Situation der letzten Kriegs­ tage und der auseinander­ brechenden Monarchie die Hände praktisch gebunden. AERZTE Steiermark: Ein – vor allem musste die Ob­ rigkeit ständig das Gerücht von der Lungenpest zurück­ weisen, das die Menschen verängstigte. Die Pest war ja damals noch ganz tief in der Salfellner: Tatsächlich ist die Rolle der Medien in den Jah­ ren 1918/19 nicht mit den Ver­ hältnissen während der CO­ VID-19-Pandemie vergleich­ bar. Zwar wurde 1918 wieder­ holt von der Spanischen Grip­ pe berichtet, aber die Artikel waren recht kurz und knapp und fast immer unbebildert. Nicht ein einziges Mal schaff­ te es die Spanische Grippe in Österreich auf die Titelblätter. Und trotz dieser eher unter­ kühlten Presseberichterstat­ tung zuckten Gerüchte und wilde Theorien durchs Land kollektiven Erinnerung ver­ ankert. Ein weiterer wesent­ licher Unterschied zu heute ist dies: Von Seiten der Gesund­ heitsbehörden bemühte man sich, die Grippe eher harmlos Historische Todesanzeige aus der Kärntner Zeitung: Eine Mutter trauert um ihre an der „Spanischen Grippe“ verstorbene Tochter. Die „Spanische“ Grippe hat ih­ ren Namen von der fehlenden Grippe-Zensur im neutralen Spanien, wie der Youtube- Kanal „Arbeit-Wirtschaft“ in einer Doku berichtet. Andere Staaten – auch die Öster­ reichisch-Ungarische Monar­ chie – waren da strenger. Am Ende des Ersten Weltkriegs gab es hierzulande daher nur sehr bescheidene Medienberichte, auch wenn die Influenza- Pandemie nach WHO-Schät­ zungen weltweit zwischen 20 und 50 Millionen Tote forderte. Andere Quellen sprechen sogar von bis zu 100 Millionen. Ein prominenter Pandemie- Toter aus österreichischer Sicht war der Maler Egon Schiele. Weitere Opfer waren der deut­ sche Sozialökonom Max We­ ber („Es gibt zwei Arten, aus der Politik einen Beruf zu machen. Entweder: man lebt für die Politik, – oder aber von der Politik.“), das Staats­ oberhaupt des Osmanischen Reiches, Sultan Mehmed V., und der Großvater des amtie­ renden US-Präsidenten, Fried­ rich/Frederick Trump. Ob die Spanische Grippe auch zum Tod Franz Kafkas beitrug, ist strittig – offizielle Todesursa­ che war Lungentuberkulose. Dass die Spanische Grippe „Die fast vergessene Pandemie“ (Pharmazeutische Zeitung 2018) wurde, lag aber nicht nur an der Medienzensur. Auch als diese in Österreich mit der Monarchie fiel, galt das öffentliche Interesse mehr der neuen Staatsgründung als der alten Pandemie. Und natürlich war der Weltkrieg zuvor das bestimmende The­ ma – gleichzeitig trug er zur Verbreitung der Viren bei. Es wurde viel gereist damals, wenn auch nicht zu fried­ lichen Zwecken, die Men­ schen waren geschwächt und hungerten, die hygienischen Verhältnisse waren prekär. Zu neuen Ehren kam die „spanish flu“ Ende der 90er- Jahre des vorigen Jahrhun­ derts. Aus dem „Ewigen Eis“ Alaskas konnten Verstor­ bene geborgen werden. Dem amerikanischen Pathologen Jeffery K. Taubenberger und seiner Kollegin Ann H. Reid vom Armed Forces Institute of Pathology in Washington DC gelang die vollständige Sequenzierung des Virus. „Fast vergessene Pandemie“ 1918 forderte mehr Todesopfer als der Erste Weltkrieg Maler Egon Schiele und Präsident Trumps Großvater gehörten zu den Opfern der „Spanischen“ Grippe. Grippe-Opfer Egon Schiele (Selbstportrait 1911) 10 ÆRZTE Steiermark  || 06|2020

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