AERZTE Steiermark | Juni 2020

12 ÆRZTE Steiermark  || 06|2020 COVER Salfellner: Im Gegenteil, ich bin zuversichtlich, dass wir die nunmehr schwierige Si­ tuation meistern werden. Je­ doch sollten wir die völlig verschiedenen Lebenswelten von 1918 und 2020 nicht au­ ßer Acht lassen – anders als zu Beginn des Jahrhunderts leben wir meist behaglich und sozial gesichert in weit­ Zeitungsbeiträgen erklärte. AERZTE Steiermark: Sie sprechen im letzten Satz einen aus Ihrer Sicht gravierenden Unterschied an: Es gelang un- seren Urgroßeltern erstaunlich gut, die tödliche Grippeseuche zu meistern. Warum glauben Sie, dass das diesmal nicht gelingen wird? Brauchen wir diese Schuldzu- weisungen? Salfellner: Die Ursachenfor­ schung, insbesondere nach ei­ ner Natur- oder Gesundheits­ katastrophe, führt nur allzu leicht in eine moralisch oder politisch aufgeladene Schuld­ diskussion. Das dürfte auch nach COVID-19 nicht aus­ bleiben. Jedenfalls wurde der Gesundheitsminister Horba­ czewski 1918 mit Kritik und Schuldvorwürfen konfron­ tiert und es half ihm wenig, dass er seine Entscheidungen durchaus nachvollziehbar in Diphtherie oder Masern oder Tuberkulose starben. Das al­ les ist uns fremd geworden, zwischen 8-Stunden-Tag im komfortablen Büro und dem Sommerurlaub auf Kreta. Vielleicht sind wir deshalb auch ein bisschen wehlei­ diger geworden, was man bei der COVID-19-Erfahrung manchmal zu erkennen meint. AERZTE Steiermark: Auch damals beschuldigten Staaten einander, der Auslöser gewe- sen zu sein oder die Maßnah- men verschleppt zu haben. Foto: LAD-FAKS, beigestellt, Grosschädel, Shutterstock „Ja, in hundert Jahren ist die Corona- Pandemie nur mehr eine Fußnote der Geschichte. Aber die Pandemie könnte als Lehrstück für die Öffentliche Gesundheitspflege in Erinnerung bleiben …“ Versorgung von Grippeerkrankten im Walter Reed Hospital, Washington, D.C., 1918/1919 Verladung von Särgen auf einen LKW in San Francisco, 1918. s: Creative Commons

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