AERZTE Steiermark | Juni 2020

COVER 8 ÆRZTE Steiermark  || 06|2020 trum politischer Ereignisse, die für die damalige Genera­ tion mit ungeheuren Verän­ derungen verbunden waren, vor allem: das Ende des schon vier lange Jahre währenden Weltkrieges und damit einer beispiellosen Zeit des Hun­ gers und des Sterbens, eine ferne, archaische und harte Welt, durch die nun wie ein fahles Gespenst die Spanische Grippe huschte. Zunächst nur wenig bedrohlich und damit kaum der Rede wert, zeigte sie im Oktober 1918 ihr wahres Gesicht. Aber die Zeit der hochschießenden Mor­ talität dauerte nur wenige Wochen, wenn die Pandemie auch in weiteren Wellen und in höherer Saisonsterblich­ keit bis tief in die 1920er Jahre nachwirkte. Um ihre Familien irgendwie durchzu­ bringen, krempelten die Men­ schen nach dem Abflauen der Pandemie die Ärmel auf, be­ erdigten die Toten und legten die Grippe ad acta. Vor dem hellen Schein der weiteren po­ litischen Brände verblasste die MARTIN NOVAK AERZTE Steiermark: Sie ha- ben ein Buch über die „Spa- nische Grippe“ geschrieben. Warum eigentlich? Harald Salfellner: Bei den Vorarbeiten zu meiner Hans- Kloepfer-Biographie „Aber Arzt bin ich geblieben“ stieß ich auf die Grippeopfer von Köflach, wo die Influenza vor allem zu Weihnachten 1918 und zu Beginn des Jahres 1919 wütete. Ich versuchte weitere Informationen zu die­ ser Seuche zu finden, um Hans Kloepfers Lebenswelt zu rekonstruieren. Dabei zeigte sich, dass dieses in Ameri­ ka gut bearbeitete Thema in Österreich und Böhmen weit­ gehend Neuland war. Auch Franz Kafkas Grippeerkran­ kung anno 1918 hatte viele Fragen offen gelassen. Diese zu beantworten war dann der Anlass zu einem jahre­ langen Forschungsprojekt an der Prager Karlsuniversität und letztlich auch zu meinem Buch. Dabei lag mir viel an der Verknüpfung der ärzt­ lichen und der historischen Sichtweise, was gerade für die Erforschung der Spanischen Grippe unabdingbar ist. AERZTE Steiermark: Sie sa- gen in Ihrem Buch, dass diese Pandemie zu einer Randnotiz der Geschichte wurde, obwohl es viele Millionen Tote gab. Was ist Ihre Erklärung für dieses Vergessen? Salfellner: Die Pandemie 1918 fiel zufällig ins Epizen­ Spanische Grippe schließlich im kollektiven Gedächtnis. AERZTE Steiermark: Ihr Buch haben Sie zum 100jäh- rigen Jubiläum der Spanischen Grippe, 2018, veröffentlicht. Jetzt gibt es eine Neuauflage, in der Sie ein Kapitel zum Ver- gleich mit der aktuellen Coro- na-Pandemie ergänzt haben. Ist der Vergleich angemessen? Salfellner: Er bietet sich an wie mit keinem anderen Lei­ den, zumal die Influenza eine große Bandbreite aufweist, von der harmlosen saisona­ len Krankheit bis zur pande­ mischen Geißel. Mit der Me­ thode des Vergleichs lassen sich nicht nur Gemeinsam­ keiten und Unterschiede be­ nennen, es lässt sich auch Un­ bekanntes begreifbar machen. Schließlich hat jeder eine Vor­ stellung von der Grippe. AERZTE Steiermark: Wo sind in der Kommunikation die Parallelen? Salfellner: Die Kommuni­ kation mit der Öffentlichkeit erfolgte auch 1918 vorwie­ gend über das seinerzeit erst kurz zuvor eingerichtete Ge­ sundheitsministerium. Der damalige Minister für Volks­ gesundheit, Iwan Horbaczew­ ski, war erst kurz im Amt – wie sein heutiger Nachfolger „Der Vergleich bietet sich an“ Harald Salfellner, Arzt und Autor, hat ein Buch über die Spanische Grippe 1918 in der zweiten Auflage um einen Kapitel ergänzt, in dem er die historische Pandemie mit der globalen Corona-Krise vergleicht. Zurecht, wie er meint. „Der damalige Minister für Volksgesundheit, Iwan Horbaczewski, war erst kurz im Amt, wie sein heutiger Nachfolger Minister Rudolf Anschober.“ Das Buch „Die Spanische Grippe“ erschien in der ersten Auflage 2018, also zum hundertjährigen „Jubi­ läum“ der Pandemie. Reich bebildert mit Zeitungsausschnitten, Inseraten und mit historischen Aufnahmen, die ihr Alter nicht verbergen, aber gleichzeitig aktuellen Fotos nicht unähnlich sind. Die Corona-Krise hat Autor Harald Salfellner zum Anlass genommen, das Werk um ein vergleichendes Kapitel zu ergänzen, in dem er Parallelen zieht, aber auch auf die Unterschiede hinweist.

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