AERZTE Steiermark | September 2020

BEREICH ÆRZTE Steiermark  || 09|2020 7 Kürzlich ließ Gesundheitsminister Rudolf Anschober mit der medial breit wiedergegebenen Aussage aufhorchen, dass schon im Jänner voraussichtlich 600.000 Dosen Corona-Impfstoff für 300.000 Österreicherinnen und Österreicher zur Verfügung stünden – und dass er darauf hoffe, dass sich bis Sommer 2021 50 Prozent der Bevölkerung impfen lassen würden. Man muss kein Virologe, Epidemiologe oder Infektiologe – man muss nicht einmal Arzt – sein, um zu erkennen, was er damit gesagt hat: A) Es wird in vier Monaten einen in Europa zugelassenen CO- VID-19-Impfstoff geben. B) Es werden zwei Dosen erforderlich sein. C) Bis Sommer 2021 stehen in Österreich gut 8 Millionen Dosen dieses Impfstoffs zur Verfügung, um die Hälfte der Bevölke- rung zu impfen. Ich bin kein Virologe, aber immerhin Infektiologe: Und ich würde eine solche Prognose, die von den Medien fast als Gewiss- heit wiedergegeben wird, nicht wagen. Die Univer- sitätsprofessorin und mehr als profilierte Immunologin Ursula Wiedermann-Schmidt hat in einem Radio-Interview auch keine Prognose gewagt, obwohl sie über das Impfen ungemein viel weiß – mehr als ich, mehr als ein Gesundheitsminister ohne medizinisches Fachwissen. Ja, die zuständige Politik hat die „Gesamtverantwortung“, wie sie immer wieder betont. Aber das schließt auch die Verantwortung ein, keine spekulativen Aussa- gen zu machen, die in der öffentlichen Wahrnehmung natürlich weit ernster genommen werden, als sie gemeint sein können. Ärztinnen und Ärzte, die wirklich impfen, machen sich Sorgen, dass es im Herbst schon nicht genug Influenza-Impfstoffe geben wird. Apotheken bemühen sich darum, Impfstoff zu beschaffen, um den Hoffnungen annähernd gerecht zu werden, die von Politi- kerInnen geweckt werden (nicht nur vom Gesundheitsminister). Aber wir brauchen eine Politik, die nicht nur Hausaufgaben verteilt, sondern sie selbst auch macht. Sonst wird sie das Ver- trauen verspielen, das ihr die große Mehrheit der Bevölkerung entgegenbringt. Das kann keine demokratische Politikerin, kein demokratischer Politiker wollen. Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark. Fotos: Peter Manninger, Oliver Wolf, Elke Meister, Grafik: Konrad Lindner Die telefonische Krankmeldung (= Arbeitsunfä- higkeits- bzw. im Kassendeutsch „AU-Meldung“) ist seit 1. September weitgehend Geschichte. Das hat die ÖGK verfügt. Während seitens der Politik ein harter Corona-Herbst und -Winter prognos- tiziert wird, gibt die ÖGK quasi Entwarnung und verfügt, dass Menschen, die nicht ausdrücklich als COVID-Verdachtsfälle gelten, zwecks Krank- schreibung immer in die Praxen strömen müssen. „Eine Verlängerung der ͵telefonischen AU- Meldungenʹ für Patienten ohne COVID-Verdacht kann zum derzeitigen Zeitpunkt nicht erfolgen. Wie aber schon im Juli mitgeteilt, kann auch die- se Maßnahme ins Auge gefasst werden, wenn die Entwicklung der Pandemie dies erfordern sollte“, heißt es in einem Rundschreiben der ÖGK dazu. Wie sich die Pandemie entwickeln muss, damit die telefonische Krankmeldung, die ja problem- los patienten- und ärztefreundlich funktioniert hat, wieder möglich wird, bleibt das Geheimnis der Kasse. Mit der Neuregelung hat sie jedenfalls ein Bürokratiemonster geschaffen, das Ärzt­ Innen gefährdet und PatientInnen verstört, zur Überlastung des Gesundheitstelefons beiträgt, die Testkapazitäten an den Anschlag bringt und Krankenstände wohl verlängern wird. Dieses Monster schadet also allen, auch der Wirtschaft, die es angeblich wollte. Leider ist ein Machtwort der Politik ausgeblie- ben. Die stellt zwar neue Verschärfungen für die Bevölkerung in den Raum, lässt aber die Öster­ reichische Gesundheitskasse gewähren, wenn sie auch infektiöse PatientInnen in die Ordination zwingt. Die Logik hinter solcher Widersprüch- lichkeit erschließt sich nicht. Es müssen wohl erst Ordinationen zwangsge- schlossen werden, bevor die ÖGK-Verantwort- lichen sich eines Besseren besinnen. Das ist ein mehr als fragwürdiger Schildbürgerstreich einer „Gesundheits-“Kasse, der krank macht. Vizepräsident Dr. Norbert Meindl ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte. EXTRA Norbert Meindl Bürokratiemonster Krankmeldung-neu STANDORTBESTIMMUNG Herwig Lindner Politik muss Hausaufgaben machen, nicht nur verteilen D BATTE

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