AERZTE Steiermark | Oktober 2020

20 ÆRZTE Steiermark  || 10|2020 GESCHICHTE hatte er sich im Bereich der Endokrinologie und Radio- logie erworben und mit dem chirurgischen Geschick der übrigen, im Geist der Zweiten Wiener Medizinischen Schu- le ausgebildeten Mannschaft konnte er nicht mithalten. Deshalb entwickelten sich er- hebliche Konflikte, die zur Untersuchung von Missgrif- fen und Kunstfehlern durch zwei Kommissionen führten, die Ehrhardt jedoch entlas­ teten. Umso emsiger übte er chirurgische Praktiken wie den Schuchardtschnitt an stationär aufgenommenen Zwangsarbeiterinnen, die ei- gentlich „nur“ wegen einer (Zwangs-)Abtreibung an die Klinik gekommen waren. Czarnowski konnte durch ihre Recherche zeigen, wie sehr die Grazer Gynäkologie in die Bevölkerungs- und Zwei Frauen, schwanger im 8. Monat, kommen in die Ambulanz der Grazer Frauen- klinik. Die eine wird vorsorg- lich untersucht und bekommt die nötigen Unterlagen für ihren Mutterschutz, an der anderen wird eine Spätabtrei- bung vorgenommen, weil ihre Nachkommenschaft rassisch unerwünscht ist. Dieses und andere Fallbeispiele, anhand derer die medizinisch-wis- senschaftliche Praxis an der Grazer Universitätsfrauen- klinik während der NS-Zeit nachvollziehbar wird, refe- rierte Gabriele Czarnowski Ende September im Rahmen einer Veranstaltung am Gra- zer MED CAMPUS. Schon auf Linie Was die Medizinhistorikerin, die ihre Forschungsarbeit im Rahmen eines FWF-Projektes durchführte, zu Tage för- derte, zeigt einerseits, dass nach dem Anschluss kaum politisches Umfärben not- wendig war. Zwar wurde der bisherige Leiter der Frauen- klinik, Hans Zacherl, durch den Frankfurter Gynäkolo- gen Karl Ehrhardt ersetzt; der übrige Teil der Ärzteschaft war jedoch politisch bereits auf Linie. Ehrhardt war eine zweifelhafte Bereicherung der Klinik: Seine Expertise Rassenpolitik involviert war – 114 eugenisch motivierte Zwangssterilisationen und mindestens 9 Zwangsabtrei- bungen konnte sie trotz un- vollständiger Übermittlung historischer Belege nachwei- sen. Denn die Krankenge- schichten sind nicht mehr erhalten; anhand der Am- bulanzbücher und weiterer Quellen konnte sie die Vor- gänge jedoch rekonstruieren. Zur Forschung missbraucht Dabei zeigte sich, wie unter- schiedlich die Frauen je nach ihrer Herkunft behandelt wurden: „Deutsche“ Schwan- gere, aber auch Fremdarbei- terinnen aus Frankreich und Italien wurden medizinisch versorgt, bei jenen aus der Ukraine, Polen, Serbien oder Russland (den „Ostarbeite- rinnen“) wurde in nahezu jedem Stadium der Schwan- gerschaft eine Abtreibung vorgenommen. Auch in der „Kinderwunsch“- Sprechstunde, die ab 1943 re- gelmäßig abgehalten wurde, differenzierten die Ärzte nach rassischer Wertigkeit des zu erwartenden Nachwuchses. „Einer slowenischen Bäuerin, die eine Hysterosalpingogra- phie durchführen lassen wollte, wurde erklärt, derartige Unter- suchungen würden bis Kriegs- ende gar nicht mehr durch- geführt“, erzählt Czarnowski. „Deutsche Frauen hingegen bekamen dafür einen Termin in den nächsten Tagen.“ Jene Zwangsarbeiterinnen, die auf eine Abruptio war- teten, und ihre Föten wur- den ab Mitte 1943 tagelang vor dem Eingriff zur medi- zinischen Forschung miss- braucht, wobei die Ärzte noch um das „Material“ ritterten. Die Frauen wurden medizi- nischen Experimenten unter- zogen, die für den Abbruch nicht nötig waren und nur der Forschung dienten. Um röntgenologisch zu beweisen, dass die Föten trinken und atmen, injizierte der Klinik- vorstand radioaktive Kon- trastmittel in die Fruchtblase und röntgte Mutter und Kind an bis zu vier Tagen hinterei- nander. Zur Abtreibung löste er die Föten möglichst noch lebend in der Eihülle aus dem Uterus und beobachtete ihr Frauenklinik: Dunkle NS- Geschichte im Fokus der Aufarbeitung Im Rahmen der Tagung „Die Universitätsfrauenklinik Graz 1938 bis 1945“ präsentierte die Medizinhistorikerin Gabriele Czarnowski ihre Rechercheergebnisse zur Rolle der Grazer Frauenklinik in der NS-Zeit – mit erschreckenden Ergebnissen. Zwangsarbeiterinnen, die auf eine Abruptio warteten, und ihre Föten wurden ab Mitte 1943 tagelang vor dem Eingriff zur medizinischen Forschung missbraucht, wobei die Ärzte noch um das „Material“ ritterten. Gabriele Czarnowski Foto: Di Nunzio Fotodesign

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