AERZTE Steiermark | Dezember 2020

22 ÆRZTE Steiermark  || 12|2020 FORSCHUNG Foto: Bernhard Bergmann/Med Uni Graz URSULA SCHOLZ Ein königliches Dekret aus dem Jahr 1811 bildet die Basis. Darin wurde Ärzten erlaubt, pathologische Proben zu sam- meln und aufzubewahren. Als die Biobank derMedizinischen Universität Graz dann im Jahr 2007 als eigene Institution ge- gründet wurde, konnte sie im- merhin noch auf Präparate zu- rückgreifen, die damals schon rund ein Vierteljahrhundert alt waren. „Den Grundstock bildete das Pathologie-Archiv mit jenem Material, das nicht mehr für die Diagnostik benö- tigt wurde“, erklärt Christian Gülly, der als Leiter der Orga- nisationseinheit Forschungsin- frastruktur unter anderem der Biobank vorsteht. Dazu kamen zahlreiche Sammlungen ein- zelner Kliniken und Institute, beispielsweise hämatologische und dermatologische Proben. Unter ihrem ersten Leiter, Kurt Zatloukal, wurde die Biobank Graz eine der europäischen Vorreiterinnen des Bioban- kings und ist heute noch fe- derführend in nationalen wie internationalen Netzwerken. Nur nach Einwilligung Durch die systematische Kata- logisierung und die optimalen Lagerbedingungen in der Bio- bank können Proben von Kör- perflüssigkeiten und mensch- lichem Gewebe über Jahr- zehnte der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung gestellt werden – mittlerweile mehr als 20 Millionen Einzel- proben. Dabei handelt es sich chiviert. Bei Blutabnahmen werden maximal 20 Milliliter zusätzlich gewonnen – und nur über dieselbe Kanüle wie das Blut für die Diagnos- tik. Sämtliche Proben werden pseudonymisiert verarbeitet und mit einem 2D-Matrix- Code versehen. Die dazuge- hörigen klinischen Daten ver- waltet das Institut für Medi- zinische Informatik, Statistik und Dokumentation der Med Uni Graz – bei Bedarf können die Daten unter strengen Auf- lagen wieder zusammenge- führt werden. International gefragt 150.000 bis 160.000 Proben, beispielsweise für neurolo- gische, endokrinologische und infektiologische Frage- stellungen, kommen jährlich dazu und derzeit reichen die Lagerkapazitäten noch gut aus. So ist das im Vorjahr eröffnete Flüssiglager für 5 Millionen Proben ausgelegt und umfasst erst einmal eine halbe Million. Gülly schließt aber nicht aus, dass man sich bei Kapazitätsproblemen auch einmal von weniger spannenden Sammlungen trennen könnte. Favorisiert wird aber naturgemäß der Verbrauch durch Beforschung von Proben. „Wir präsen- tieren auch auf internatio- nalen Kongressen einzelne Sammlungen, um sie einer Sekundärnutzung zuzufüh- ren.“ Die Nachfrage ist ge- geben: Derzeit liegen gera- de Forschungsanträge dreier deutscher, einer französischer ausschließlich um solche von freiwilligen Spenderinnen und Spendern. Diese unterzeich- nen eine Einwilligungserklä- rung, die sie jederzeit widerru- fen können. „Wenn ein Patient in die Klinik aufgenommen wird, der durch seine Erkran- kung zu einem aktuellen Sam- melschwerpunkt passt, wird er vom Arzt oder der Ärztin über die Spendenmöglichkeit infor- miert und über das Procedere aufgeklärt“, berichtet Gülly. Die Resonanz sei groß: „90 bis 95 Prozent der Gefragten sind bereit mitzumachen, um mit ihrer Probe den medi- zinischen Fortschritt voran- zutreiben.“ Pro Jahr werden rund 10.000 Einwilligungser- klärungen eingeholt; die Mög- lichkeit des Widerrufs nutzen im selben Zeitraum nur unge- fähr 20 Personen. Patientensicherheit Bei der Gewinnung von Pro- ben steht die Patientensicher- heit stets im Vordergrund und es wird nur so viel Mate- rial der Forschung zur Verfü- gung gestellt, dass jedenfalls genügend für die Diagnostik und eventuelle Folgebehand- lungen übrigbleibt. „Hat ein Tumorpatient nach ein paar Jahren ein Rezidiv, muss der Zugriff auf Zellen des Pri- märtumors weiterhin mög- lich sein.“ Gülly sieht die Biobank als „Trusted Partner“, als Treuhänder für Spender, Pathologie und Forschende. Kein Gewebe wird extra für die Biobank entnommen, es werden nur Restbestände ar- und einer tschechischen Uni- versität vor. Diese müssen vor dem Start der wissenschaft- lichen Bearbeitung – wie die hauseigenen Anfragen – von der Ethikkommission geneh- migt und nach allen Kriterien des Datenschutzes geprüft werden. Kaufen kann man keine Probe. Die Biobank Graz befindet sich im öf- fentlichen Eigentum, agiert als Non-profit-Organisation und wird mit öffentlichen Geldern gefördert. Die Nutzer zahlen jene Leistungen, die hinter der Probe stehen: vom Röhrchen über die Lagerung bis zum Personalaufwand. Als eine Art Rendite für die Fördergelder erhält die Allge- meinheit neue Erkenntnisse zu Diagnostik und Therapie. Ausgefeilte Lagerlogistik Die Lagerung der Proben erfolgt mittels moderns- ter Technik: In Kryotanks werden in der Dampfphase von Flüssigstickstoff bei mi- nus 140 bis minus 160 Grad schockgefrorene Gewebepro- ben aufbewahrt, im Flüssig- probenlager hat es vergleichs- weise warme minus 80 Grad; der Zugriff erfolgt bei minus 20 Grad. Die FFPE-Blöcke und -Schnitte, wobei FFPE für Formalin-Fixed and Pa- raffin-Embedded steht, lagern hingegen bei Raumtempera- tur auf 425 Quadratmetern in meterhohen Schränken. 15 Millionen Blöcke und 36 Millionen Schnitte können hier aufbewahrt werden. Kein Wunder, dass die Biobank Biobank: Schatzkammer der medizinischen Forschung Die Grazer Biobank zählt zu den europäischen Vorreitern des Biobankings und archiviert – mit Erlaubnis der Spender – bereits 20 Millionen Proben­ einheiten. Aktuell baut sie gerade eine COVID-19-Kohorte auf.

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