AERZTE Steiermark | Dezember 2020
44 ÆRZTE Steiermark || 12|2020 Fotos: Stelzl, Adobe Stock Der ganz normale Praxiswahnsinn PRAKTISCH TÄGLICH Von Ulrike Stelzl Stadt – Land „Grias di“, ertönt es vom Eingang meines Sprechzimmers. Un- vergleichlich dabei das „Gr“ von „Grias di“ – wie das Fauchen einer kehlkopfkranken Katze oder atmosphärische Störungen in einem alten Transistorradio. Sofort kommt akute Sehnsucht bei mir auf, denn das kratzige Willkommensgeräusch erinnert mich an meine Winterurlaube in Tirol, an schneebedeckte Ber- ge, klirrende Kälte und köstlichen Kaiserschmarrn. „Grias di“, erwidere ich freundlich mit dem schönsten Kratzgeräusch, das ein südostösterreichischer Kehlkopf hervorwürgen kann. Die junge Dame kommt tatsächlich aus einem Dorf, nur ein paar Kilometer entfernt von meinem heuer leider hoffnungslosen Wintertraum. Sie studiert in Graz und Doktor braucht sie nor- malerweise keinen und der, den sie als Kind hatte, ist halt weit weg. Deshalb ist sie heute bei mir. „Was ist los, was kann ich für dich tun?“, frage ich. „Naja, ich hab ein wenig Kopfweh.“ (Die Konversation wird hier in Schriftdeutsch widergegeben, ich schaffe es beim besten Willen nicht im O-Ton zu schreiben). „Und mein Nacken schmerzt auch. Und bewegen kann ich ihn auch nicht so gut.“ Ich mache mich auf das gefasst, was jetzt normalerweise kommt: Dass alles so stressig ist und viel zu viel und die Verspannungen so furchtbar usw. Ich sehe mitfühlend drein und warte, was noch kommt. „Ja, weil gestern hat mich eine mit dem Auto am Zebrastreifen gleich da drüben auf der Hauptstraße zusam- mengefahren.“ Jetzt bin ich hellwach. „Was, echt jetzt? Und da kommst heute erst? Geht’s noch?“ „Ich bin ja nicht tot, ich hab noch selber aufstehen können und bewegen kann ich mich auch.“ Ich erkläre der tapferen jungen Dame, dass im Falle des „über den Haufen gefahren Werdens“ ein Ruf nach Rettung und Krankenhaus durchaus angebracht ist. Offenbar sieht man das im Tiroler Bergdorf anders, denn ihre Hauptsorge ist, dass sie am Wochenende auf die Berg darf. (Erst einige Wochen, ein Röntgen, ein MR und eine Physiotherapie später darf sie das dann auch). Das Kontrastprogramm ist die Patientin, die gleich nach ihr per Telefon dringend zu mir durchgestellt werden muss. Akuter Notfall! Auch Studentin, auch im gleichen Alter. Aber geboren und aufgewachsen in unserer wunderschönen Stadt Graz. Sie hat sich möglicherweise die kleine Zehe gebrochen und ich soll sofort kommen, denn die Rettung will nicht. „Was, echt jetzt? Geht’s noch?“ Dr. Ulrike Stelzl ist niedergelassene Ärztin für Allgemein medizin. Mehr von ihr gibt es im Buch „Hallo Doc! 2 Der ganz normale Praxiswahnsinn“ (erhältlich bei Amazon) NIEDERGELASSENE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE beim Vertrauensverhältnis zum Arzt dagegen keine Rol- le. Je länger die PatientInnen allerdings auf einen Termin, aber vor allem im Wartezim- mer auf ihre Behandlung war- ten, desto geringer wird das Vertrauen in die/den zuletzt aufgesuchte/n MedizinerIn. Genauso positiv wie das Ver- trauensverhältnis wird auch die Fachkompetenz der Ärzt Innen bewertet: Insgesamt 92 Prozent sprechen dem zuletzt aufgesuchten Mediziner sehr gute (49 Prozent) oder gute (43 Prozent) fachliche Quali- täten aus; lediglich 4 Prozent weniger gute und praktisch niemand überhaupt keine. 4 Prozent machen keine An- gabe. Herausforderung Ärzte- und Pflegemangel Die größten Aufgaben beim Thema Gesundheit und Ge- sundheitswesen liegen nach Ansicht der Versicherten im Bereich Personal: Gefragt nach der größten Herausfor- derung im Bereich Gesund- heit und Gesundheitswesen in den nächsten Jahren, sehen 14 Prozent der Befragten den Mangel an Ärzten als größtes Problem und 12 Prozent den Mangel an Pflegekräften bzw. sonstigem Personal im Ge- sundheitsbereich. 12 Prozent nennen bei dieser Befragung im März 2020 das Corona- virus bzw. Pandemien und Infektionen. 7 Prozent sehen die größte Herausforderung in der Überalterung der Ge- sellschaft und 5 Prozent im Bereich Infrastruktur/Versor- gungslage. Wenn App, dann mit ärztlichem Gütesiegel Gesundheits-Apps sind in aller Munde, aber offenbar nicht auf allen Mobiltelefonen. Laut KBV-Umfrage haben 66 Prozent keine gesundheitsbe- zogene Anwendung auf ih- rem Smartphone installiert, 16 Prozent haben überhaupt kein Smartphone. Und nur 18 Prozent – also weniger als einer von fünf – haben eine Gesundheits-App am Tele- fon. Was nicht heißt, dass sie diese auch nutzen: Das tun nämlich nur 31 Prozent der Gesundheits-App-Besitzer für Gesundheitsinformationen, 12 Prozent zur Kontrolle von Krankheiten und 10 Prozent zur Arztsuche. Wenn es ein „Gütesiegel“ für diese Apps gäbe, hätten das 58 Prozent am liebsten von „meinem Arzt“ und 21 Prozent von der Krankenkasse – weitere 21 Prozent wissen es nicht oder machen keine Angabe. Trotz dieser augenscheinlichen Zu- rückhaltung gegenüber di- gitalen Anwendungen sehen knapp mehr als die Hälfte der Befragten darin Vorteile für sich als Patient, 25 Prozent er- warten keine Auswirkungen, 14 Prozent rechnen mit Nach- teilen. Dass durch die Digita- lisierung das Verhältnis von Ärzten und Patienten besser würde, denken aber nur 14 Prozent, 39 Prozent befürch- ten, es würde eher schlechter und ebenfalls 39 Prozent er- warten keine Auswirkungen.
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