AERZTE Steiermark | Jänner 2021
ÆRZTE Steiermark || 01|2021 11 COVER Fotos/Grafik: Adobe Stock raum spricht man auch vom „copycat-effect“. Eine andere Erklärung ist, dass sich die Gründe, die Menschen um Euthanasie bitten lassen, ver- schoben haben. Der Haupt- grund ist inzwischen nicht mehr die Verhinderung von Leid und Schmerzen, sondern die Autonomie. Viele Men- schen sagen: Ich will bestim- men, wann und wie ich sterbe. Müsste man dann aber nicht ehrlicherweise sagen: Tatsäch- lich autonom stirbt nur, wer sich ohne fremde Hilfe tötet? Das ist auch meine Position. Wenn man auf die Autono- mie abstellt, dann muss man Menschen, die ihr eigenes Leben für lebensunwert hal- ten, nicht mit allen Mitteln zurückhalten. Etwas ganz anderes ist aber, das Ange- bot zu machen, ihnen bei der Selbsttötung zur Hand zu gehen. Das ist zumin- dest nicht frei von Zynismus. Die Regierungspartei D66 hat kürzlich angekündigt, Anfang kommenden Jahres einen Gesetzentwurf für die Euthanasie von „lebenssatten“ Menschen vorzulegen, die 75 und älter sind. D66 begrün- det ihren Vorstoß damit, sie wolle barmherzig sein. Nun, einige mögen darin tatsäch- lich ein Signal der „Barm- herzigkeit“ sehen. Aber nicht wenige werden das doch als Aufforderung verstehen, nun bitte auch abzutreten. Sie befürchten eine Entsolida- risierung der Gesellschaft? Jedenfalls wäre es die Aussen- dung eines Signals, das von Betroffenen als: „Unsere Ge- sellschaft kann auch gut ohne euch existieren“ verstanden werden kann. Auffällig ist der enorme An- stieg palliativer Sedierungen. Muss man da nicht vermuten, dass sich dahinter in vie- len Fällen verdeckte Tötungen auf Verlangen verbergen, die Ärzten die zeitaufwendige Do- kumentation ersparen, die das Euthanasiegesetz vorsieht? Vielleicht. In den Niederlan- den gibt es jährlich schät- zungsweise 32.000 palliative Sedierungen, bei denen Pa- tienten nicht mehr mit Flüs- sigkeit und Nahrung versorgt werden. Das heißt, wenn der Patient nicht innerhalb von ein paar Tagen an sei- ner Grunderkrankung stirbt, dann stirbt er kurz darauf an Flüssigkeitsmangel und Unterernährung. Ich meine, es gibt zudem Beweise dafür, dass Ärzte solche palliativen Sedierungen gegenüber der Euthanasie verwehrt wurde. Viele von ihnen sind anschlie- ßend noch verzweifelter. Das könnte den Gedanken, sich umzubringen, befeuern. Historisch betrachtet gab es noch nie so viele Möglich- keiten, Schmerzen wirksam zu behandeln wie heute. Trotz- dem war der Ruf nach Sterbe- hilfe noch nie so laut. Haben Sie für diese erstaunliche Kor- relation eine Erklärung? Tatsächlich dürfte man an- nehmen, dass sich mit zuneh- mender Qualität der Pallia- tivmedizin die Zahl der Eu- thanasiegesuche verringern sollte. In den Niederlanden ist jedoch das Gegenteil der Fall. Die Euthanasiegesuche steigen. Eine Erklärung da- für ist, dass so viel über das selbstgewählte Lebensende diskutiert wird, dass mehr Menschen geneigt sind, sich dementsprechend zu verhal- ten. International bekannt ist das als Werther-Effekt, im angelsächsischen Sprach- „Durch die Aufhebung des Tabus der aktiven Sterbehilfe ist es im Schaufenster gelandet.“ Wer Mitglied ist, hat Zugang zu den Leistungen von Di- gnitas und solidarisiert sich mit anderen Personen, denen Wahlfreiheit am Lebensen- de wichtig ist“, heißt es auf der Website des deutschen Dignitas-Ablegers. Die Mitgliedschaft ist natür- lich nicht kostenlos, wie die Deutschland-Sektion des Ver- eins auch freimütig einräumt: „Ein solcher Kampf ist nicht gratis zu haben.“ Die Mit- gliedschaft in Deutschland kostet 120 Euro pro Jahr (+ ebenfalls 120 Euro einmalige Aufnahmegebühr). Wer vor Vollendung des 40. Lebens- jahres eintritt, bekommt es billiger. Als kleines Rechen- beispiel: Wer mit 50 Jah- ren beitritt und dann mit 75 Jahren die „Leistungen“ in Anspruch nimmt, hat mehr als 3.000 Euro an Mit- gliedsbeiträgen dafür bezahlt. Ohne Beitrittserklärung gibt es keine Freitodbegleitung (abgekürzt FTB), betont der Schweizer Verein. Österreich: Bei Palliativeinrichtungen Europa-Spitze Zu diesen Leistungen zählt nach eigenen Angaben auch die Sterbebegleitung. Wofür es in Österreich aber we- nig Bedarf geben sollte. Zu- mindest weit weniger als in AtlasofPalliativeCareAcrossEurope 52 NataliaArias-Casais,EduardoGarralda,JohnY.Rhee,LilianadeLima,JuanJoséPons, DavidClark,JeroenHasselaar,JulieLing,DanielaMosoiu,CarlosCenteno EAPCAtlasofPalliativeCare inEurope2019 B Laut Atlas 2019 der European Associ ation for Palliative Care hat Österreich das dichteste Palliativversorgungsnetz Europas.
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy NDYwNjU=