AERZTE Steiermark | Jänner 2021

COVER 8 ÆRZTE Steiermark  || 01|2021 Die Furcht vor Schmerzen ist nicht der Hauptgrund für Eutha- nasie. Es geht um den Wunsch, den Zeitpunkt des Sterbens selbst zu bestimmen. Warum das so ist, erklärt der niederländische Ge- sundheitsethiker Theo Boer. STEFAN REHDER Herr Professor Boer, Sie galten viele Jahre lang als Befür- worter der niederländischen Euthanasie-Gesetzgebung. In- zwischen sehen Sie manches anders. Warum? Lassen Sie mich zunächst mit einer Legende aufräumen. Einige behaupten, ich sei ein militanter Befürworter der Euthanasie gewesen. Das war nie der Fall. Ich war bereits in den Anfängen von der Eu- thanasie nicht begeistert. Ich habe sie jedoch als Notlösung gebilligt. Und ich fand da- rüber hinaus, dass, wenn ein Land demokratisch entschei- det, Sterbehilfe gesetzlich zu regeln, die niederländische Gesetzgebung so schlecht nicht war. Und heute? Inzwischen habe ich gesehen, dass, wenn etwas aus einer Grauzone ans Licht geholt wird, dies nicht das Ende der Grauzone bedeutet. Auf dem Feld des Sterbens wird es immer Grauzonen geben. Und in den Niederlanden hat uns die Auflösung der ersten Grauzone neue Grauzonen beschert. Grauzonen, die noch viel gefährlicher sind. Klären Sie uns auf! Verschiebung der Grenze Euthanasie-Angebot schafft Nachfrage Bei der echten Sterbehilfe ist Österreich Europas Musterknabe. In keinem anderen Land gibt es – bezogen auf die Bevölkerungszahl – so viele Palliativeinrichtungen, die Menschen das Sterben erleichtern. Nun hat aber der österreichische Verfassungsgerichtshof entschieden, dass der § 78 des Strafgesetzbuches, der die Hilfelei- stung bei einem Selbstmord unter Strafe stellt, aufzuheben ist. Der Gesetzgeber hat nun ein Jahr Zeit, um diesen Passus des StGB zu ändern.

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