AERZTE Steiermark | Februar 2021

Ethik & Impfen Sonderrechte für Geimpfte? Sollen geimpfte Menschen von Freiheitsbeschränkungen ausgenommen werden? Oder ist zumindest eine Lockerung der COVID-19-bedingten Restriktionen für diese Personen denkbar? Der deutsche Ethikrat als gesetzlich verankerte Ein- richtung lehnte das zuletzt ab, weil die Infektiosität Geimpfter (noch) nicht verlässlich abschätzbar sei. Eine Bevorzugung geimpfter Personen würde aber auch zu einer geringeren Akzeptanz für Schutzmaßnahmen insgesamt führen. Ærzte Steiermark  || 02|2021 21 Foto: Adobe Stock „Spätestens seit Beginn des Impfprogramms wird auch in der breiteren Öffentlichkeit kontrovers diskutiert, ob eine Impfung gegen Covid-19 zu besonderen Regeln für ge- impfte Personen führen dür- fe oder sogar müsse.“ Der deutsche Ethikrat widmete sich dieser Fragestellung und kam angesichts des begrenz- ten Wissensstandes zu einer „salomonischen“ Antwort, die mit einem einfachen Wort „nein“ lautet, aber in deutlich längere Formulierungen ge- kleidet ist, gegliedert in sechs Punkte: 1. Zum gegenwärtigen Zeit- punkt sollte aufgrund der noch nicht verlässlich ab- schätzbaren Infektiosität der Geimpften eine individuelle Rücknahme staatlicher Frei- heitsbeschränkungen für geimpfte Personen nicht er- folgen. 2. Mit dem Fortschreiten des Impfprogramms sollen die allgemeinen staatlichen Freiheitsbeschränkungen für alle Bürgerinnen und Bürger schrittweise zurückgenom- men werden. Als Maßstab für die Rücknahme dieser Beschränkungen sind da- bei primär die Hospitalisie- rungszahlen bzw. die Zahlen schwerer Krankheitsverläufe und Todesfälle heranzuzie- hen, nicht hingegen die reinen Infektionszahlen. Vorausset- zung dafür ist, dass zuvor alle Menschen mit individuell sehr hohem Risiko für einen schweren Verlauf der Covid- 19-Erkrankung Zugang zur Impfung erhalten haben. 3. Die Rücknahme der allge- meinen staatlichen Freiheits- beschränkungen sollte ein- hergehen mit Unterstützungs- maßnahmen für die dann notwendige weitere Selbst­ isolation von Menschen mit hohem individuellem Risiko für einen schweren Verlauf der Covid-19-Erkrankung, für die zu diesem Zeitpunkt (noch) kein Zugang zur Imp- fung besteht, wie zum Beispiel Kindern mit schweren Vor- erkrankungen. Beispiele für solche Maßnahmen wären ein Recht auf Distanzunterricht, erleichterter Zugang zu Coro- na-Schnelltests, Erweiterung des Anspruchs auf Kranken- geld und Kündigungsschutz für Betroffene bzw. ihre Eltern. 4. Die Verpflichtungen etwa zum Tragen einer Maske und zum Einhalten von Abstän- den können aufgrund der damit verbundenen relativ geringen Belastungen noch länger aufrechterhalten wer- den. Wegen der Gefahr, dass die praktische Durchsetzbar- keit und Akzeptanz dieser Regeln durch Ausnahmen für geimpfte Personen leiden würde, sollten sie für alle Per- sonen zum selben Zeitpunkt aufgehoben werden. 5. Die noch immer beste- henden gravierenden Isola- tionsmaßnahmen in Pflege-, Senioren-, Behinderten- und Hospizeinrichtungen sollten Sollen geimpfte Personen ihre Masken wegwerfen und auf Ab- standsregeln pfeifen dürfen? Nein, sagt der deutsche Ethikrat. Dafür würden die naturwissenschaft- lichen Grundlagen fehlen. Es würde aber auch die Akzeptanz für Schutzmaßnahmen bei allen anderen leiden.

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