AERZTE Steiermark | Mai 2021

Ærzte Steiermark || 05|2021 27 Psychohygiene Des Schlafes ungeliebter Bruder ursula scholz Manchmal ist die Krankheit stärker als die Medizin. Nicht nur bei COVID-19. Mehr denn je sind Ärztinnen und Ärzte – selbstverständlich auch die Beschäftigten in der Pflege – damit konfrontiert, Patientinnen und Patienten zu verlieren, für die sie alles Menschenmögliche getan ha- ben. Von hundert SARS-CoV- 2-Positiven sterben derzeit ein bis zwei an COVID-19, das klingt noch nicht nach viel. Betrachtet man ein Beispiel aus der intramuralen Situa- tion, zeigt sich die Verände- rung gegenüber früher deut- licher: Endete im Zeitraum von März bis Oktober 2019 bei 6.494 Patient*innen der Aufenthalt in der Abteilung für Innere Medizin des LKH Graz II, Standort West, für 276 Menschen (und damit 4,25 %) tödlich, waren es im gleichen Zeitraum 2020 bei vergleichsweise „nur“ 4.444 Patient*innen 291 Tote, wo- mit sich die Sterberate auf 8,55 Prozent mehr als verdop- pelt hat. In dieser ersten Phase der Pandemie waren es noch die Älteren, die das Virus bevor- zugt dahinraffte. Nach deren Impfung, aber auch durch die Ausbreitung der Virusva- riante B 1.1.7., sinkt das Alter der Coronatoten nun suk- zessive. Ein zusätzlicher Be- lastungsfaktor, einen jungen oder gleichaltrigen Patienten zu „verlieren“. Berührbar bleiben „Berührt sein, berührbar blei- ben, ohne dadurch verletzt zu werden“, so beschreibt Pal liativmedizinerin Julija- na Verebes den optimalen Umgang von Ärzt*innen mit Sterben und mit dem Tod. Verebes bi ldet die Studie- renden der Medizinischen Universität Graz in „Palliative Care und Sterbebegleitung“ aus. Sie rät dazu, Empathie ebenso professionell zu ver- wenden wie das Stethoskop. Sich einfühlen, aber dann wieder bewusst zu sich selbst zurückkehren, durchaus un- ter Zuhilfenahme von Tools zur Mentalhygiene. Der Tod eines Patienten kann bei Ärzt*innen heftige Gefühle auslösen. Je nachdem, wie ein Sterbeprozess abläuft und welche persönlichen Erfahrungen er triggert. Versuch einer Annäherung, wie Ärzt*innen selbstfürsorglich mit dem Erlebten umgehen können. Mit den Hinterbliebenen sei oft noch Trauer- und Trost- arbeit notwendig – dies be- sonders im niedergelassenen Bereich, wo Angehörige auch noch eine Zeitlang nach dem Todesfall das Gespräch suchen und Fragen stellen wollen. Manchmal bleiben aber auch beim Arzt oder der Ärztin selbst Fragen offen, bei der Reflexion der eigenen Rolle in diesem speziellen Sterbe- prozess. „War es gut genug?“, sei dabei die zentrale Fra- ge. „Wenn ich so gehandelt habe, gut genug war, passt es. Auch wenn es nicht per- fekt war.“ War ein Einsatz im Palliativteam schwierig, mache sie gleich danach be- wusst ein paar Atemübungen oder eine Abklopfmassage, erzählt Verebes. Dies sei je- doch nur als schnelle Hilfe geeignet. „Danach muss ich einmal ausreichend Raum schaffen für die Aufarbeitung. Das kann in einem Gespräch unter Kolleg*innen sein, in einer Balint- oder Supervisi- onsgruppe oder im Rahmen einer Helferkonferenz.“ Das Palliativteam, in dem Verebes tätig ist, hält zudem für jeden zuvor betreuten Verstorbenen eine Schweigeminute. „Trot z a l ler prävent iven Maßnahmen kann es vor- kommen, dass uns einzelne Begegnungen längerfristig beschäftigen. Wir träumen davon oder werden von Ge- danken daran verfolgt. Dann ist es jedenfalls wichtig, pro- fessionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.“ In Zeiten der Pandemie, so Verebes, sei es notwendiger denn je, als Arzt oder Ärztin im Umgang mit Sterben und Tod „fit“ zu blei- ben. Dazu solle jedes Team Rituale entwickeln, aber auch jede/r Einzelne für sich reflek- tieren, wobei er oder sie Kraft tanken kann: Das können Gespräche sein, künstlerische Tätigkeiten, Sport oder Zeiten in der Natur. Leben bejahen, Sterben akzeptieren Für sich selbst zu klären sei auch die eigene Einstellung zum Sterben und jenes Maß an Nähe zum Tod, das jeder und jede Einzelne gut verar- „Berührt sein, berührbar bleiben, ohne dadurch verletzt zu werden.“ Julijana Verebes Foto: Stefan Kuba

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