AERZTE Steiermark | Juni 2021

Cover 10 Ærzte Steiermark || 06|2021 barland Österreichs bilden sich gerade – meist on top auf Bestehendes – neue Versor- gungsstrukturen heraus. Essen: Zwei Ambulanzen und ein großes Netzwerk Am Universitätsk l inikum Essen, das neben der Ber- liner Charité deutschland- weit am meisten COVID- 19-Akutpatient*innen betreut hat, wurden zur Nachsor- ge und zur Versorgung der Long-COVID-Patient*innen sowohl an der Klinik für Neurologie als auch an der Klinik für Infektiologie je- weils eine Spezialambulanz e i nger ichte t . Chr i s toph Kleinschnitz, Leiter der neu- rologischen Klinik, verweist jedoch auf die Durchlässig- keit der beiden Ambulanzen und betont die interdiszipli- näre Vernetzung innerhalb des gesamten Klinikums: „Zu einem guten Long-COVID- Netzwerk gehören unbedingt Infekt iologen, Vi rologen, Pneumologen, Neurologen und Experten in Psychoso- matik. In einigen Fällen ist auch eine kardiologische oder nephrologische Expertise ge- fragt.“ Kleinschnitz analysiert gerade die Daten seiner ersten Publikation zu Long COVID (über die akute Infektion hat er mehrfach publiziert), in die 100 Patient*innen mit ausgeprägten neurologischen Symptomen integriert wur- den. Bei den beobachteten Symptomen handelt es sich meist um Gedächtnis- und Konzent rat ionsstörungen, Wortfindungsstörungen, Fa- tigue und chronischen Kopf- schmerz. „Immer wieder kommt es auch zu Überlap- pungen mit psychiatrischen Diagnosen wie Angststö- rungen oder Depressionen.“ Da sich die Studie erst in Ausarbeitung befindet, möch- te Kleinschnitz noch keine Details veröffentlichen. „Braucht kritische Masse“ Nur so viel: In Essen sind drei Viertel der von Long COVID Betroffenen weiblich – und das, obwohl an der Essener Uniklinik wie auch sonst in der Akutphase vonCOVID-19 mehr Männer hospitalisiert wurden. Im Mittel sind seine Studienteilnehmer*innen 44 Jahre alt, jedoch mit einer breiten Range zwischen 22 und 74 Jahren. Auf der Suche nach fass- baren organischen Ursachen für die Beschwerden wird ein weites Spektrum an Di- agnost ik angewandt: von der elektrophysiologischen Untersuchung bis zu neuro- psychologischen Testungen. Aufgrund der erforderlichen interdisziplinären Strukturen und der notwendigen Dia- gnostikmöglichkeiten von der Kernspintomographie bis zur Untersuchung von Nerven- wasser sieht er als optimale Standorte für Long-COVID- Ambulanzen ausschließlich die Universitätskliniken, die auch für die entsprechende wissenschaftliche Begleitung sorgen können. „Es braucht eine kritische Masse, und die Ambulanzen sind nur on top auf bestehenden Ambu- lanzen sinnvoll.“ Die Hürde der Anreise, gerade für Men- schen mit Chronischer Fati- gue, sieht er als überwindbar an, indem Angehörige die Betroffenen begleiten. Die Primärversorger*innen glaubt Kleinschnitz bereits ausreichend über das neue Syndrom und die bestehen- den Ambulanzen informiert; lediglich ein regelmäßiges Update über aktuel le Stu- dienergebnisse halte er für angebracht. Die zweimal wöchent l ich stattfindende Spezialsprech- stunde an seiner Klinik ist auf zwei Monate im Voraus ausgebucht, die Nachfrage enorm. „Die Beschwerden können durchaus ein halbes Jahr oder darüber hinaus an- dauern“, erklärt Kleinschnitz. „Aber ich halte die Prognose für sehr gut.“ Ulm: Ausgangspunkt sportmedizinische Ambulanz Am Universitätsk l inikum Ulm ist die Long-COVID- Ambulanz an die sportme- dizinische Ambulanz der Sektion Sport- und Rehabi- litationsmedizin gekoppelt. „Wir betreuen primär Sportler, aber auch andere Patienten“, betont der Ärztliche Leiter der Sektion, Jürgen Steinacker. „Allerdings übernehmen wir ausschließlich Patienten mit Long COVID, die in ihrer Akutphase nicht künstlich be- atmet wurden.“ Persistieren- de Müdigkeit und depressive Verstimmung, so Steinacker, seien bereits von anderen Viruserkrankungen bekannt. „Nach einer COVID-19-Er- krankung jedoch treten diese Symptome viel häufiger, stär- ker und über einen längeren Zeitraum hinweg auf.“ Long COVID nimmt Steinacker als „Multiorgansystem-Problem“ wahr, mit vermutlich unkon- trollierten Entzündungen in diversen Organen und einer möglichen Dysfunktion der Makrophagen. Long COVID sei eher zu komplex, um von Al lgemeinmediziner*innen behandelt zu werden – es brauche die Infrastruktur für eine umfassende Diagnostik. Seine Ambulanz verfügt über ein breites internistisches Spektrum und ein gut aufge- „Die Beschwerden können durchaus ein halbes Jahr oder darüber hinaus andauern.“ Christoph Kleinschnitz, Universitätsklinikum Essen

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