AERZTE Steiermark | Juni 2021
Ærzte Steiermark || 06|2021 13 Foto: Adobe Stock Cover Breites Spektrum „Für uns ist es wichtig, das Bewusstsein dafür zu schär- fen, dass Long COVID eine Fülle von Erscheinungsformen zeigt“, betont Preller. „Manche Menschen leiden nach langen Aufenthalten auf Intensivstati- onen unter dem PICS, andere sind durch psychische oder physische Vorerkrankungen vorbelastet. Eine dritte Gruppe hatte keinerlei Risikofaktoren und ist trotzdem sehr krank.“ Preller vergleicht Long CO- VID in diesem Punkt mit Autismus: „Es gibt ein sehr breites Spektrum.“ Di e S e l b s t h i l f e g r upp e pf legt eigene Kontakte zu Ärzt*innen verschiedener Fachrichtungen, die sensibel mit demThema Long COVID umgehen, aus der Pulmonolo- gie, Kardiologie, Neurologie und Psychiatrie. „Wir wür- den uns auch noch ärztliche Expertise im Bereich Mikro- nährstoffe, Metabolismus und Hormone wünschen. Und wir brauchen Experten für die Fatigue, die oft noch als psychisches oder psychoso- matisches Problem missver- standen wird.“ Ambulanz als Netzwerk Für die Primärversorger, die ja als erste Ansprechpartner vor der Herausforderung der Diagnose stehen, wünscht sie sich eine entsprechende Fortbildung. Die weitere Ab- klärung und Behandlung würde sie in Long-COVID- Ambulanzen ansiedeln, da- mit die Betroffenen nicht von einem Facharzt zum anderen pilgern müssen. Ihre eigene Erstdiagnostik hat sich über drei – anstrengende! – Mo- nate hingezogen. In spezia l isier ten Ambu- lanzen im multiprofessio- nellen Team sei an den vie- len Patient*innen auch ein rasches Dazulernen über Long COVID möglich. Ein bis zwei Ambulanzen pro Bundesland wären für Preller ein wünschenswerter Stan- dard. „Das kostet Geld, spart aber längerfristig gesehen.“ In ihrer Facebook-Gruppe, die mittlerweile mehr als 900 Mitglieder umfasst, begeg- nen Preller immer wieder Menschen, die nicht wussten, wohin sie sich wenden sollen. Sanfte Reha Äußerst kontraproduktiv sei der reine Fokus auf die psy- chische Komponente, bloß weil die körperlichen Be- schwerden nicht durch ein- deutige Laborergebnisse belegt werden können. Dass Preller allen Betroffenen psycholo- gische Betreuung empfiehlt, steht dazu nicht im Wider- spruch: Hierbei handelt es sich um eine begleitende Unter- stützung, aber nicht um die grundsätzliche Erklärung des Phänomens Long COVID. Ein ganz wichtiger Schritt sei der Konsens darüber, dass die Er- krankung überhaupt existiert. Gute Erfahrungen hat Preller mit „pacing“ gemacht, dem vorsichtigen Ausloten der eige- nen Grenzen. Dazu empfiehlt sie Betroffenen das Tragen ei- ner Pulsuhr, um das Erreichen der individuellen Belastungs- grenze sofort rückgemeldet zu bekommen. Das unbedingte Vermeiden einer Überlastung – ansonsten kann der Rück- schlag, siehe Ministerbesuch, Tage und Wochen dauern – müsse auch Grundlage jeder Rehabi l itat ionsmaßnahme sein. Als Positivbeispiel nennt Preller die Post-COVID-Reha für Kinder und Jugendliche „kokon“ im oberösterreichi- schen Rohrbach-Berg. Vlog zu Long COVID Auch die Wiener Long-CO- VID-Patientin Yvonne An- reitter stellt ihre Erfahrungen – unter dem Pseudonym Karla Küken – der Allgemeinheit zur Verfügung, wenn auch auf anderem Wege. Sie hat auf Youtube einen Video- Blog gegründet und infor- miert einerseits über nicht so bekannte Symptome wie da s Ma s t ze l len-Ak t iv ie- rungssyndrom MCAS oder das Posturale orthostatische Tachykardiesyndrom POTS, hinterfragt aber in ihrem aktuellsten Beitrag vom 30. Mai auch, ob sich Menschen mit Long COVID gegen CO- VID-19 impfen lassen sollen. In ihrem „früheren Leben“ hat sie noch Tipps gegeben, wie man selbst einen Mund- Nasen-Schutz näht ... Karla Kükens Vlog: www. youtube.com/channel/UCSt4a_ JGEOPocd-199vdWmQ Das Universi- tätsklinikum Köln detek- tierte aus einer Befragung von Betroffenen vier Hauptsym- ptome: Atem- beschwerden wie Kurzatmig- keit, Anosmie, Ageusie und Fatigue – aber es wird noch dauern, bis Long COVID umfassend er- forscht ist.
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