AERZTE Steiermark | Juni 2021

16 Ærzte Steiermark || 06|2021 Sterbehilfe Fotos: Christoph Ortner/GGZ, Med Uni Graz Der Verfas- sungsgerichts- hof hat den § 78 StGB ge- kippt, da er das Selbstbe- s t immungs - recht eines Menschen be- einträchtige, der nicht mehr in der Lage ist, sich selbst zu töten. § 78 StGB: „Wer einen anderen dazu verleitet, sich selbst zu tö- ten, oder ihm dazu Hilfe leistet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“ Weiterhin gültig bleibt vorerst der § 77 des StGB, der sich mit der Tötung auf Verlangen befasst: „Wer einen anderen auf dessen ernstliches und ein- dringliches Verlangen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.“ Eine Abgrenzung des assistier- ten Suizides von einer „Tötung auf Verlangen“ ist in der Praxis oft schwierig, weshalb der § 77 auch zur Diskussion steht. Laut § 49 ÄrzteG ist es „bei Sterbenden zulässig, im Rah- men palliativmedizinischer In- dikationen Maßnahmen zu setzen, deren Nutzen zur Lin- derung schwerster Schmerzen und Qualen im Verhältnis zum Risiko einer Beschleunigung des Verlustes vitaler Lebensfunkti- onen überwiegt“. Auch die Un- terlassung lebenserhaltender Maßnahmen ist bei infauster Prognose nicht strafbar („indi- rekte Sterbehilfe“). Die Hospizbewegung und die daraus entstandene Palliativ- medizin bemühen sich seit vie- len Jahrzehnten um ein Leben in Würde bis zuletzt. Die Palli- ativmedizin bietet bei den aller- meisten unheilbar Erkrankten ausreichende Möglichkeiten das Leiden zu lindern, sodass der Wunsch nach Sterbehilfe bei palliativmedizinisch be- treuten Patient*innen schwin- det. Darüber hinaus werden ethische Entscheidungen, in denen der Patient*innen-Wille einen zentralen Stellenwert hat, im Laufe der Behandlung kontinuierlich im Team der Behandler*innen diskutiert und evaluiert. Zusätzlich ste- hen mit der Patientenverfü- gung, demVorsorgedialog bzw. der Erwachsenenvertretung bereits Möglichkeiten der Be- grenzung des eigenen Lebens bei schwerer Krankheit zur Verfügung, sodass das Recht auf Selbstbestimmung gewahrt ist. Beispiele aus Ländern, in de- nen die aktive Sterbehilfe oder der assistierte Suizid bereits seit Jahren zugelassen sind (z. B. Schweiz, Niederlande, Bel- gien), weisen darauf hin, dass die Liberalisierung der Sterbe- hilfe unweigerlich zu proble- matischen gesellschaftlichen Veränderungen führt. Es kam in diesen Ländern zu einer problematischen Ausweitung der Zielgruppe, indem eine aktive Sterbehilfe zunehmend auch bei depressiven oder de- menzerkrankten Menschen durchgeführt wurde. Auch stellt sich die Frage, inwieweit eine „freie Willensbildung“ bei steigendem sozialem Druck aufgrund der gesellschaftlich akzeptierten Möglichkeiten der aktiven Sterbehilfe noch vorausgesetzt werden kann. In der Schweiz hat sich die Anzahl der assistierten Suizide über die letzten zehn Jahre ver- dreifacht, während die Anzahl der nicht assistierten Suizide gleich geblieben ist. Außer- dem hat sich ein einschlägiger Markt entwickelt, in welchem gewinnorientierte Organisati- onen gute Geschäfte machen. Bevor in Österreich über eine Liberalisierung der aktiven Sterbehilfe nachgedacht wird, sollte über eine Sicherstellung einer guten und würdevollen Begleitung bis zuletzt nachge- dacht werden: In Österreich sollte die Möglichkeit erhalten bleiben, das Leben zu Ende le- ben zu können und auf natür- liche Art und Weise zu sterben (lebenssatt statt lebensmüde). Dazu ist als erster Schritt ein Ausbau der Hospiz- und Palli- ativbetreuung notwendig, um eine ausreichende palliativ- medizinische Betreuung aller Betroffenen sicherzustellen. Prim. Dr. Brigitte Hermann ist Fachärztin für Innere Me- dizin, Leiterin der Abteilung für Medizinische Geriatrie und Stellvertreterin der Ärztlichen Leitung der Albert-Schweitzer- Klinik der Geriatrischen Gesundheitszentren der Stadt Graz. Insbesondere Mediziner*in­ nen, die aufgrund ihrer fach- l ichen Aus- r i c h t u n g sehr häuf ig in die Ver- sorgung von Pa t i e n t * i n ­ nen am Le- b e n s e n d e eingebunden sind, stehen nun vor ei- ner Fülle sehr k omp l e x e r und unbeant- worteter Fra- gen: y Welchen Personen wird die Möglichkeit zu- gestanden, Beihilfe zum Suizid in Anspruch zu nehmen? Nur Schwerst- kranken, die nach medi- zinischer Einschätzung eine nur mehr sehr kurze Lebensperspektive haben, oder auch anderen Lebens- müden? y Wie gehen wir mit Suizidwünschen von Patient*innen um, die an einer psychiatrischen Krankheit leiden oder an Demenz erkrankt sind? y Wie gehen wir mit Suizid- wünschen von Minderjäh- rigen um? y Wer soll Beistand zum Suizid leisten dürfen? Angehörige, Freunde, nur Ärztinnen und Ärzte, Ster- behilfevereine? y Wie kann sichergestellt werden, dass der Ent- schluss zum Suizid tatsäch- lich selbstbestimmt ohne Einflussnahme durch Drit- te getroffen wurde und von „Aktive Sterbehilfe“: Risiken und Nebenwirkungen Statements von Ärztinnen und Ärzten zum § 78 StGB. Brigitte Hermann Philipp Jost Daniela Jahn-Kuch

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