AERZTE Steiermark | Juni 2021
18 Ærzte Steiermark || 06|2021 Sterbehilfe ative Care, Hospice Care) für das Lebensende aufzuzeigen. Niemand soll sich gedrängt fühlen, nur, weil es von Ge- setzes wegen jetzt möglich ist, Suizid als Lösung zu sehen. So kann auch nur mit klaren gesetzlichen Regeln und Be- schränkungen für die Durch- führung des assistierten Sui- zids Missbrauch – wie wir ihn sehr wohl in anderen Ländern mit legaler Sterbehilfe sehen – vorgebeugt werden. Bei der Erstellung dieser Rah- menbedingungen sollten daher folgende Kriterien unbedingt Berücksichtigung finden: 1. Selbstbestimmung: Die Frei- willigkeit des Suizidwunsches, die Ernsthaftigkeit und Dauer- haftigkeit des Verlangens und auch die Einsichts- und Ur- teilsfähigkeit der Patient*innen müssen unzweifelhaft festge- stellt werden. 2. Beschränkung auf eine be- stimmte Personengruppe: Die Möglichkeit des assistierten Suizids sollte auf volljährige und einwilligungsfähige Per- sonen mit schwerer, unheil- barer, zum Tode führender Erkrankung mit limitierter Lebenserwartung (z. B. 6–12 Monate) beschränkt werden. 3. Beratung: Suizident*innen müssen ausführlich über Al- ternativen zum ärztlich assis- tierten Suizid aufgeklärt wer- den und Zugang zu Specialized Palliative Care bekommen. Dazu müsste aber zunächst der in Österreich vorherrschende Versorgungsnotstand in Bezug auf eine flächendeckende Pal- liativ- und Hospizversorgung rasch gelöst werden, damit tatsächlich allen Menschen der Zugang zu palliativmedizi- nischer Versorgung offensteht. 4. Wartezeit: Eine angemes- sene Bedenkzeit zwischen Auf- klärung und Entscheidung für den assistierten Suizid sollte gesetzlich festgelegt werden. 5. Die Rolle von Ärztinnen und Ärzten: Die Feststellung der Einsichts- und Urteils- fähigkeit, der Freiwilligkeit des Suizidwunsches bzw. der Ernsthaftigkeit und Dauerhaf- tigkeit des Verlangens gehört in professionelle Hände, eben- so wie die Aufklärung über Alternativen zum vorzeitigen freiwilligen Ausscheiden aus dem Leben. Die Rolle von Ärztinnen und Ärzten in die- sem Zusammenhang sollte klar definiert werden, aber zur Beihilfe und/oder Begleitung des Suizids darf keine Ärztin oder Arzt verpflichtet werden. 6. Verbot der geschäftsmä- ßigen Suizidbeihilfe: Eine auf Gewinnerzielung angelegte Suizidbeihilfe sollte verboten werden. 7. Meldepflicht: O.g. Kriterien (1–4) sollten im Sinne eines zumindest 4-Augenprinzips von mindestens zwei unabhän- gigen Mediziner*innen erho- ben, dokumentiert und einer eigens eingerichteten Kontroll- kommission gemeldet werden. Ebenso sollte die tatsächliche Durchführung der Hilfe zur Selbsttötung von den invol- vierten Personen einer Doku- mentations- und Meldepflicht unterliegen, um einerseits Missbrauch vorzubeugen und andererseits eine quantitative und qualitative Kontrolle der Suizidbeihilfefälle in Österrei- ch zu ermöglichen. Univ.-Prof. Dr. Philipp Jost leitet die Universitäre Palliativ- medizinische Einrichtung der Meduni Graz. OA Dr. Daniela Jahn-Kuch ist Oberärztin an der Universi- tären Palliativmedizinischen Einrichtung am LKH-Univ.- Klinikum Graz. Der Text ist ein Auszug aus der Anfang Mai übermittelten „Stellungnahme zumThema Sterbehilfe“ an das Bundesmi- nisterium für Justiz. In der Pallia- tive Care ist es unsere Aufga- be, dass wir uns dem lei- denden Men- schen zuwen- den. Ohne Tabus, ohne (Ver)Urteilung. Ich sehe es als Privileg und Auszeichnung, wenn mich ein Patient mit seinem Tötungswunsch „bela- stet“. Das zeichnet eine ehrliche und tragfähige Patienten-Arzt- Beziehung aus. Abgesehen vom geltenden Recht und der Beruf- sethik habe ich natürlich meine persönliche Haltung gegenüber dem assistierten Suizid bzw. der Tötung auf Verlangen. Aber am Beginn der Patienten- Arzt-Beziehung steht zu- nächst der zutiefst verzweifelte Mensch. Häufig gelingt in der multi- und interdisziplinären Zuwendung eine Leidenslin- derung. Manchmal bleibt trotz der besten Symptomlinderung der Wunsch aufrecht, jetzt zu sterben. Ich erinnere mich an eine Frau: „Helfen Sie mir – ich kann nicht mehr. Ich will es meiner Familie nicht antun, in die Schweiz fahren zu müssen“. Bei Angehörigen bleiben fast immer Fragen offen. Selbst bei optimaler Begleitung der Angehörigen sind zusätzliche Traumatisierungen durch ei- nen Suizid die Folge. Zuwendung. Offene und ehr- liche Gespräche. Zeit. Ver- trauen und Geborgenheit. Auf einer Palliativstation zu sein ist ein Privileg. Für den Patienten. Für seine Angehörigen. Für die Mitarbeiter. Wir arbeiten mit Menschen, bei denen die Zeit für oberflächliche Befindlich- keiten vorbei ist. Wir dürfen ganz nah an die Essenzen dieses Menschenlebens: Was führt Sie dazu, nicht mehr in diesem Leben sein zu wollen? Was ist im Tod anders, besser? Schrittweise können wir ge- meinsam die Ängste und Be- schwerden angehen: Was tun, wenn Schmerzen schlimmer werden? Was tun, wenn Luft- not auftritt? Was tun, wenn ich nicht mehr kommunizieren kann? Was tun, wenn mir ein Leben als vollständiger Pfle- gefall nicht würdig erscheint – muss ich bis zur letzten Phase einer kognitiven Einschrän- kung leben? Es stellen sich viele Fragen. Und es ist schön, wenn wir alles, was diesen Menschen besorgt, besprechen können. Und von den bisher nicht dagewesenen Optionen einer Symptomkontrolle be- richten können. Im Palliativzimmer ist der Patient „Chef“: Er darf gestal- ten. Er gibt das Tempo vor. Seine Wünsche, seine Vor- gaben lassen sich auch für die Zukunft niederschreiben. Die Ablehnung von Therapien ist „in Ordnung“, das Fordern nach nicht indizierten Thera- pien geht nicht. Schrittweise lichtet sich der unüberschau- bare Angstnebel des Patienten. Klarheit, wahre Autonomie und Würde entsteht, denn der Patient hat trotz der Krankheit, trotz des Elends, viel Entschei- dungsspielraum. Wir kennen den Wunsch, beim Sterben nachzuhelfen. Häufig hören wir einen Hilfe- ruf heraus, so nicht mehr leben zu wollen. Was geschieht, wenn dieser Hilferuf falsch formuliert oder Foto: beigestellt Gerold Muhri „Aktive Sterbehilfe“: Risiken und Nebenwirkungen
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