AERZTE Steiermark | Juni 2021
Ærzte Steiermark || 06|2021 19 Sterbehilfe falsch verstanden wurde – und nach Umsetzung der Assistie- rende seinen Fehler erkennt? Wir laufen Gefahr, dass wir ab 2022 in einen Gewissens- konflikt geraten. Zweifelsfrei urteilsfähige Patienten werden Tötungsassistenz einfordern. „Weil es das Einzige ist, was mir jetzt noch hilft“. Oder Angehörige es nicht mehr er- tragen, „zuschauen zu müssen“. Die paternalistische Medizin ist Geschichte. Gelegentlich wissen wir als Profis aber doch mehr: Die Kostbarkeit der letz- ten Stunden und Tage – eine einzigartige Lebenszeit, in der Verzeihung, Heilung, Vollen- dung geschehen kann. Für den Sterbenden. Und die, die weiterleben. Wann ist ein Leben nicht mehr lebenswert? Wem steht die- se Einschätzung zu? Mir als Arzt definitiv nicht. Darf der Todkranke alles einfordern? Die Autonomie des Patienten endet aber dort, wo meine Autonomie beginnt – auch ein sterbender Mensch ist sich und der Gesellschaft Rechenschaft schuldig. Eine wegen ihres Tötungswun- sches aufgenommene Patientin erzählte uns am vierten sta- tionären Tag: „Ich bin so un- heimlich zufrieden. Ich hoffe, ich darf noch möglichst lange mein Leben genießen“. Selbst wenn alle „juristischen“ Rah- menpunkte erfüllt sein werden, eine Patientenentscheidung zum assistierten Suizid als unwiderruflich, endgültig und wahr zu bestimmen, das kann nicht gehen. Als Arzt bin ich dem Leben verpflichtet. Ebenso der Wür- de und der Lebensfreude – auf- der Palliativstation wird mit Patienten und Angehörigen so viel gelacht, wie auf kaum einer anderen Station. Weil am Ende Leben ist. Unser Auftrag ist es, dies so gut es geht „leichter“ zu machen. Wenn es gar nicht anders geht, nach Ausschöpfen aller Alternativen, gibt es die palliative Sedierung, intermit- tierend oder notfalls kontinu- ierlich. Noch nie hatten wir mehr effiziente Behandlungs- optionen als heute. Die Auslöschung der Existenz eines Menschen, das kann niemals eine gute Symptom- linderung sein. Ich meine, dass Tötungsaktionen und Beihilfe dazu einem Arzt weder zu- mutbar noch seiner Heilkunst würdig ist. Was ist die „rote Linie“ des as- sistierten Suizids für mich als Palliativmediziner, der oft mit wahrlich schwer Leidenden zu tun hat? Ich darf die Antwort kurzfassen: Meine rote Linie ist der assistierte Suizid per se. Weil ich ihn niemals als unstrittig endgültigen letz- ten Patientenwillen sehe. Weil die Zeit bis zum natürlichen Tod unheimlich kostbar und einzigartig ist. Weil es Thera- pien gibt, die Leid tragbarer machen. Und weil durch den natürlichen Tod keine künst- lichen Wunden für Überleben- de entstehen. Dr. Gerold Muhri ist Facharzt für Innere Medizin, Spezialisie- rung in Palliativmedizin sowie Geschäftsführender Oberarzt Palliativmedizin und Hospiz des Krankenhauses der Elisa- bethinen. Vortragender: Dr. Martin Manninger-Wünscher, PhD Facharzt für Innere Medizin Universitätsklinik für Innere Medizin Klinische Abteilung für Kardiologie Medizinische Universität Graz Moderation: Dr. Laurenz Schöffmann, MSc Co-Fortbildungsreferent Di. 15. Juni 2021 , 19 Uhr, als Webinar FORTBILDUNG AKTUELL www.med.or.at/hypo Die Teilnahme ist kostenfrei. UNTERSTÜTZT VON HYPO Steiermark- TurnusärztInnen-Weiterbildung EKG-Training für Jung-ÄrztInnen WEBINAR Anme l dung „Aber am Beginn der Patienten-Arzt-Beziehung steht zunächst der zutiefst verzweifelte Mensch.“ Gerold Muhri
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