AERZTE Steiermark | Juni 2021

Bereich Ærzte Steiermark || 06|2021 7 Long COVID ist ein recht neues Phänomen, auch wenn Berichte und Forschungsarbeiten dazu bereits in der ersten Jahreshälfte 2020 veröffentlicht wurden (es also nicht ganz so neu ist, wie jetzt manche tun). Aber gerade, wenn etwas noch nicht etabliert ist, gilt: Nutzen wir die bewährten Strukturen und Erfahrungen, um damit möglichst richtig umzugehen. Diese bewährten Strukturen haben wir: Versorgungsnetzwerke mit der Hausärztin, dem Hausarzt im Mittelpunkt, die exzellent mit ihren fachärztlichen Kolleginnen und Kollegen zusammen- arbeiten. Disease- Management-Pro- gramme, die auf die umfassende Betreuung chronisch Leidender zugeschnitten sind. Reha- und Kureinrich- tungen samt Trägern, die sich auf die Wieder- gesundung dieser chro- nisch Leidenden spe- zialisiert haben. In der ersten Schrecksekunde wurde aber offenbar völlig darauf vergessen, dass es Grundlagen zur Betreuung der Long-COVID-Patientinnen und -Patienten gibt. Stattdessen sollten sie als „Notfälle“ eine Anlaufstelle in Notfallambulanzen finden. Die Erkenntnis, dass „Not“ nicht zwangsläufig „akuter Notfall“ bedeutet, musste sich erst durchsetzen. So weit sind wir jetzt aber doch. Es hat nur ein bisschen gedau- ert. Das ist gut. Ganz generell sollte es ein Grundprinzip der Gesundheitspolitik sein, bewährte Strukturen zu nutzen, um mit neuen Themen (die aber nicht in allen Belangen neu sind) richtig umzugehen. Allzu oft werden aber Räder völlig neu er- funden, um ja zu zeigen, wie tatkräftig man ist. Das führt aber zwangsläufig zu Parallelstrukturen, zu leeren Kilometern und zu Irrläufen. Genau die könnten wir uns ersparen, wenn wir zuerst daran denken, was wir nützen können, bevor wir darüber reden, was wir tun wollen. Bei Long COVID scheint das nun doch recht rasch gelungen zu sein, rascher jedenfalls als befürchtet. Aber uns auf unsere bewährten Stärken zu besinnen, sollte in allen Bereichen der Gesundheitspolitik das Grundprinzip sein. Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark. Erinnern Sie sich noch daran, als die Schutzausrüs­ tung für Ärztinnen und Ärzte in Österreich und der Steiermark ein knappes Gut war? Als Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, dringend Hilfe brauch- ten und Ihnen zumindest besonders kaltschnäuzige Proponenten des öffentlichen Bereichs vorgehalten haben, Sie hätten sich halt rechtzeitig für die Coro- na-Pandemie einrichten müssen? Die Ärztekammer hat sich, lange bevor die öffentlichen Stellen es getan haben, um die Beschaffung, Lagerung und Zustellung dieser Schutzmaterialien bemüht. Erfolgreich bemüht, auch wenn der Start verständlicherweise alles an- dere als einfach war. Mittlerweile gibt es Gott sei Dank genug Schutz- ausrüstung. Durch die Verfügbarkeit der Imp- fung hat sich die Lage stark entspannt. Und wer Schutzausrüstung oder Desinfektionsmittel braucht, kann das Benötigte rasch bekommen. Das ist in der Steiermark so, aber nicht überall in Europa. Aus der Ukraine, dem größten vollstän- dig europäischen Land, kam kürzlich ein dra- matischer Hilferuf. Wir können und wir wollen auch helfen, ohne deswegen auf etwas verzichten zu müssen, das wir selbst brauchen. Nur braucht es die Zustimmung der öffentlichen Hand, dass wir dem Hilferuf, der ebenfalls von der öffentlichen Hand kam, auch Folge leisten dürfen. Die Zustimmung gab es aber viele Tage nach der Anfrage immer noch nicht. Der berühmte Amtsschimmel lässt sich viel Zeit. Zeit die andere nicht haben. Das besonders Ärgerliche daran. Genau dieser Amtsschimmel fordert von uns Ärztinnen und Ärzten immer wieder Flexibilität und rasches Handeln ein. Er selbst nimmt sich aber alle Zeit der Welt. Das ist mehr als ärgerlich. Vizepräsident Dr. Christoph Schweighofer ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte. extra Christoph Schweighofer Der Amtschimmel wiehert und kostet Standortbestimmung Herwig Lindner Long COVID: Uns auf unsere Stärken besinnen d batte Fotos: Johanna Wanda, Oliver Wolf, Elke Meister, Schiffer, Grafik: Konrad Lindner

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