AERZTE Steiermark | September 2021

BEREICH ÆRZTE Steiermark || 09|2021 7 Allein in der letzten August-Woche haben sich fast 100.000 Men- schen in Österreich impfen lassen. Von Ärztinnen und Ärzten, die diese Menschen im Zweifelsfall überzeugt haben. Viele wa- ren aber einfach auch nur dankbar. 100.000 Menschen – das ist die Einwohnerzahl der Kärntner Landeshauptstadt Klagenfurt oder ein Drittel der Grazer Be- völkerung. Das sind jedenfalls sehr viele Menschen. Angesichts dieser Zahlen (fast) nur von denen zu sprechen, die eine CO- VID-19-Impfung ablehnen, ist fast obszön. Aber es ist halt das Klima in sozialen und klassischen Medien. Wir wissen natürlich, dass es Impfgegner und Impfskeptiker gibt. Es gibt auch Erklärungen. Gegen die Impfung zu sein, ist auch eine Form des Widerstands gegen das, was als „System“ oder „Establishment“ empfunden wird. Es ist ein absurder Akt, die Autonomie zu zeigen. Mediales Drüberfahren hilft da wenig. Auch, weil rationale Argumente für das Impfen bei der Ableh- nung gar nicht im Mittelpunkt stehen (können). Was aber sehr wohl hilft, sind Ärztinnen und Ärzte, die in vertrauensvoller Atmosphäre vom Sinn des Impfens überzeugen. Keinen Effekt hat Beliebigkeit: Eine „Impfung und ein Einkaufsgutschein“ be- wegt nichts, wie kürzlich eine Untersuchung aus Oberösterreich gezeigt hat. Aus einer Studie der steirischen Wissenschaftlichen Akademie für Vorsorgemedizin wissen wir, dass unter jenen, die eine COVID-19-Impfung ablehnen, auch viele sind, die die HPV-Impfung für Jugendliche und junge Erwachsene ablehnen. Auch das ist Ausdruck einer Abwehrhaltung gegen einen Eingriff in die Autonomie durch „die da oben“. Die Steiermark hat sehr früh auf die Überzeugungskraft der Ärztinnen und Ärzte gesetzt. Das war eine sehr vorausblickende Strategie. Dank dieser ist unser Bundesland bei der Impfbeteili- gung mittlerweile ganz vorne dabei. Weil Ärztinnen und Ärzte nicht „die da oben“ sind, sondern auf Augenhöhe, aber mit ho- her Kompetenz mit ihren Patientinnen und Patienten sprechen – und sie überzeugen. Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark. Die ÖGK in Person des seit Jahresmitte sechs Mo- nate amtierenden Vorsitzenden des Verwaltungs­ ausschusses will also die Wahlärztinnen und Wahl- ärzte abschaffen. Das hat er zumindest in einem Interview mitgeteilt. Er hat dankenswerterweise auch dazugesagt, warum er das will: Wahlarzt- rückerstattungen sind für die Krankenkassen zu aufwändig. Sie würden zu hohe Kosten verursachen. Und zu viel Personal erfordern. Mit Verlaub: Die ÖGK könnte auch darüber nachdenken, wie sie die Abwicklung der Rücker- stattung für ihre Versicherten vereinfacht. Richtig ist natürlich, dass es zu wenige Kassen- stellen gibt – vor allem im stark wachsenden urbanen Bereich. Richtig ist aber auch, dass wir eine gezielte Attraktivierung der Kassenmedizin brauchen, um die flächendeckende Versorgung ländlicher Regionen in guter Quantität überall sicherzustellen. Das gelingt nicht durch Gesund- heitspolitik mit dem Rasenmäher. In letzter Zeit wird an Verbesserungen gearbei- tet. Aber vielleicht nicht entschlossen genug? Vielleicht auch nicht praxisadäquat genug? Allen, die wahlärztlich tätig sind, einen Kassenvertrag anzubieten, klingt auf den ersten Blick verlo- ckend. Aber den kleinen Landgemeinden, deren Bürgerinnen und Bürger das Recht auf wohnort- nahe ärztliche Versorgung haben, hilft das wenig. Ohne entsprechende Begleitmaßnahmen wären „Kassenpraxen light“ dort wohl kaum lebensfähig. Statt also auf Beliebigkeit müssen die Kassen im Interesse ihrer Versicherten auf Verlässlichkeit setzen. Verlässlichkeit heißt: Kassenpraxen in unterschiedlichen Formen ermöglichen. Und Anreize schaffen, damit es sie überall, wo sie ge- braucht werden, geben kann. Und: Wahlärztinnen und Wahlärzte nicht ver- grämen, sondern ihre Bedeutung respektvoll als wichtigen Teil der Grundversorgung anerkennen. Vizepräsident Dr. Christoph Schweighofer ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte. EXTRA Christoph Schweighofer Kassenmedizin respektieren STANDORTBESTIMMUNG Herwig Lindner Ärztinnen und Ärzte überzeugen die Menschen D BATTE Fotos: Klaus Pichler, Oliver Wolf, Elke Meister, Schiffer, Grafik: Konrad Lindner

RkJQdWJsaXNoZXIy NDYwNjU=