AERZTE Steiermark | Oktober 2021
14 ÆRZTE Steiermark || 10|2021 URSULA SCHOLZ Was Gretchen lernt, kann Mar- garethe gut brauchen. Könnte man sagen. Zumindest auf Martina Lemmerer trifft diese veränderte Binsenweisheit zu. Sie sprühte schon als Kind vor Kreativität, saßmit zehn an der Nähmaschine, entwarf und gestaltete Mode und Schmuck. Ihre Eltern versuchten, ih- ren Wunsch, Künstlerin zu werden, in realistischere und finanziell abgesicherte Bahnen zu lenken, indem sie die Toch- ter aus dem Ennstal an die Höhere Lehranstalt für Mode & Bekleidungstechnik nach Hallein schickten. Dass sie die dort erworbenen Fähigkeiten einmal im OP anwenden wür- de, war zu diesem Zeitpunkt noch kein Thema. „Mit 17 war es, als sei in mir ein Schalter umgelegt worden. Da habe ich gewusst: Ich werde Chirur- gin, das ist meine Berufung“, erzählt Lemmerer. Bei ihren vielfältigen Interessen und Ta- lenten von der Segelfliegerei (mit 19 hat sie heimlich den Flugschein gemacht) bis hin zum Möbeldesign ist es ei- gentlich ein Wunder, dass es ihr so leicht fiel, sich auf eine berufliche Zukunftsvision festzulegen. Vom Berg geprägt Der Wechsel von der Mode zur Medizin war jedenfalls nicht mangelnden Erfolgen an der Schule für Modede- sign geschuldet, ganz im Gegenteil: Nicht nur, dass Lemmerer, die ihr Heimweh nach dem Ennstal mit einem kraftvol len Vorwärtsdrang bewältigte, gleich im ersten Jahrgang zur Schulsprecherin – und später zur jüngsten Lan- desschulsprecherin – avan- cierte. Sie schuf auch Kreati- onen, die bei den legendären Modenschauen ihrer Schule gezeigt wurden, moderierte diese Veranstaltungen und war bereits zu Schulzeiten für das Modelabel Gössl so- wie als Designerin für einen Film tätig. Auch der Spaß am Schneiderhandwerk ist ihr bis heute erhalten geblieben: „Ich habe mir mein gesamtes Stu- dium unter anderem damit finanziert, Dirndln und Hir- tenhemden zu nähen. Und vor kurzem habe ich einen neuen Überzug für meine Hol ly- wood-Schaukel gemacht.“ Die Affinität zur Tracht ist eine tief empfundene und hat sich „Kein Rüscherl nähen“ Martina Lemmerer hat in der Salzburger „Kaderschmiede“ Modedesign sowie Damen- und Herrenkleidermacher gelernt und näht noch heute mit Passion. Mit 17 aber fühlte es sich an, als hätte sich in ihr ein Schalter umge- legt und sie wusste: Ihre Berufung ist die Chirurgie. nicht nur aus der Kooperation mit der Firma Gössl erge- ben, sondern auch aus enger Heimatverbundenheit. „Zu Schulzeiten haben wir die historischen Vorlagen für die Irdninger Festtagstracht aus- gegraben und sie nachgenäht.“ Noch heute, nach langen Jah- ren in Graz, pflegt Lemmerer ihre Ennstaler Wurzeln. Dazu gehören die familiären Bande, aber auch die Verbundenheit mit dem Grimming, Europas höchstem freistehendem Berg. „Der Berg prägt. Vielleicht kommt daher die typische Ennstaler Sturheit“, merkt Lemmerer leicht ironisch an. Führt das Rudel Stur musste sie sein. Um überhaupt Medizin studieren zu können, holte sie die Bio- logie-Matura als Externistin nach und absolvierte das La- tinum. Während der Studien- zeit fokussierte sie sich auf die Chirurgie, knüpfte erste Kon- takte zur Klinik und ließ sich nie davon beirren, dass sie im Begriffe stand, eine Männer- domäne zu erobern. Aufge- wachsen als ältere Schwester zweier Brüder war es für sie immer selbstverständlich, das Rudel anzuführen, auch wenn der Rest der Gemeinschaft männlich war. „Ich hab eine gewisse autoritäre Ader, aber die braucht man in der Chi- rurgie“, lautet ihr Kommentar dazu. Bodenständig, hilfsbe- reit und strukturiert – so sieht sie sich überdies. Tatkräf- tig und wissbegierig zudem. Bei dem Programm, das die Mutter eines 14-Jährigen im Alltag absolviert, braucht sie all den Tatendrang. Kraft gibt ihr auch die Arbeit im Garten, der ihr Haus aus dem Jahr 1861 umgibt, und der die eigenhändig revita- lisierte Hollywood-Schaukel beherbergt. Lemmerer baut ihr eigenes Gemüse an – und erfreut sich zu jeder Jahreszeit am großen Kirschbaum. „An den Blüten, den Früchten und dem sich verfärbenden Laub. Und im Winter überlege ich, wie ich ihn nach der Ernte dann schneiden werde.“ Denn auch darin liegt ihr beson- deres Können: im Schneiden. „Schnitt muss sein“ Lemmerer beackert das weite Feld der Viszeralchirurgie, hat sich aber besondere Ex- pertise im Bereich der Co- lorectalchirurgie erworben. Ein bisschen, meint sie, sei ÄRZTIN IM BESONDEREN DIENST „Manchmal muss ein Schnitt gemacht werden, damit die Lebensqualität wieder steigt.“ Martina Lemmerer
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