AERZTE Steiermark | Oktober 2021

32 ÆRZTE Steiermark || 10|2021 GRAZER FORTBILDUNGSTAGE Foto: beigestellt Morgenvorlesung: Lachen – „Der Hoffnung letzte Waffe“ „Wer lacht, hat Macht“, lautet der Titel einer Morgenvorle- sung im Rahmen der Grazer Fortbildungstage. Erklärende Worte dazu wird der emeri- tierte Theologie- und Ethik- professor der Karl-Franzens- Universität Graz, Leopold Neuhold, finden. Aber so viel verrät er schon vorab: „Es geht dabei nicht um Macht, die man über andere Men- schen ausübt, sondern um eine besondere Art der Macht über sich selbst. Im Lachen gewinnt man Distanz zu sich selbst und die Fähigkeit, Zu- sammenhänge neu und ganz- heitlicher zu sehen.“ Unter dem genannten Titel hat Neuhold schon öfter refe- riert – und doch gleicht kein Termin dem anderen. „Was genau ich sagen werde, wird sich noch ergeben. Immer das Gleiche zu erzählen wäre ja humorlos.“ Neuhold schöpft ohnehin aus dem Vol len, schreibt er doch gerade an einem Buch über den Humor in der Ethik, in dem er seine Funktionen näher beleuchtet. Blick ins Jenseitige „Das Gelächter ist der Hoff- nung letzte Waffe“, zitiert Neuhold den Harvard-Theo­ logen Harvey Cox. Durch das Lachen kämen bisher vergessene, erlösende Stand- punkte zum Vorschein – und lösend wirke das Lachen auch physisch, im Sinne der Mus- kelrelaxation. Zudem befreie es von der zwanghaften Per- spektive der Machbarkeit. Neuhold zitiert auch den deutschen Schriftsteller Jean Paul, der bereits im 18. Jahr- hundert den Perspektiven- wechsel, aber auch die Re- dimensionierung von Pro- blemen durch das Lachen in Worte fasste: „Humor ist das umgekehrt Erhabene. Er erniedrigt das Große (…) und erhöht das Kleine (…).“ He- rausforderungen, die kleiner erscheinen, nehme man leich- ter an, interpretiert Neuhold. Und wo das Kleine groß da- stehen dürfe, würde es auch berücksichtigt. „Auch wenn alles ganz ernst erscheint, darf man es nicht so ganz ernst nehmen“, betont Neu- hold. „Ich bin Theologe – ich darf meinen Blick jenseits des ärztlichen Handelns richten, auch jenseits des Sterbens. Und ich kann mit Locker- heit die These aufstellen, dass, was heute state of the art ist, vielleicht morgen als Behand- lungsfehler gelten kann.“ Humor brauchen alle Weder bräuchten speziell Ärzt*innen Humor, noch be- nötigten sie einen speziellen Humor, so Neuhold. „Humor brauchen einfach alle. Ärzte brauchen den Humor beson- ders gegen die technokratische Verkürzung – also den Um- gang mit Themen, als seien bereits alle Fragen dazu beant- wortet.“ Er selbst sei ein starker Vertreter des Impfens gegen COVID-19, aber so zu tun, als löse die Impfung die Probleme der Pandemie zu hundert Pro- zent, sei eine dieser technokra- tischen Verkürzungen. Das Thema der Morgenvorle- sung sei zwar bereits vor der Pandemie vereinbart worden, aber in Zeiten wie diesen brauche es den Humor umso mehr. Lachen, meint Neuhold, würde auch so manchem Ver- schwörungstheoretiker gut tun. „Impfgegner sind sich sicher, dass es durch die Imp- fung zu keiner Eindämmung der Pandemie kommen kann. Aber gerade durch das Lachen über etwas Ernstes kann eine Öffnung der Gedanken gelin- gen. Bei einigen. Nicht bei al- len, denn manche Menschen sind gänzlich witzbefreit.“ Zugang zur Ganzheit Er selbst habe den Zugang zu Witzen und lustigen Ge- schichten gefunden, als er für Publikumszeitschriften Arti- kel über Ethik schreiben sollte und damit auch Menschen erreichen wol lte, die sich sonst nie mit dem Thema be- schäftigt hätten. Das jahrhun- dertelange christliche Verbot des Lachens über Heiliges sehe er nicht so eng, denn er verorte es nicht im Kontext von Lächerlichkeit: „Ich will im Lachen einen Zugang zur Ganzheit finden. Ich bin über- zeugt, dass es die Wahrheit gibt, aber ebenso überzeugt bin ich davon, dass ich nur ei- nen kleinen Teil davon kenne und nur eine Perspektive auf die Wahrheit habe.“ Wer nun befürchtet, auf Un- verständnis zu stoßen, wenn ihm bei Neuholds Morgen- vorlesung nicht zum Lachen zumute sei, der irrt. „Über Lustiges nicht zu lachen zeugt manchmal einfach von Nach- denken – und auch mit Vor- trägen über das Lachen kann und soll man nicht alle zum Lachen bringen.“ Noch vor Pandemie-Zeiten wurde Leopold Neuholds Vortrag „Wer lacht, hat Macht“ für die Grazer Fortbildungstage der Ärztekammer ge- bucht. Nun sind die Ausführungen des steirischen Theologen und Ethi- kers aktueller denn je. Was genau er am 9. Oktober sagen wird, werde er spontan beschließen, kündigte er im Interview mit AERZTE Steiermark an. „Es geht dabei nicht um Macht, die man über andere Menschen ausübt, sondern um eine besondere Art der Macht über sich selbst.“ Leopold Neuhold

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