AERZTE Steiermark | November 2021
12 ÆRZTE Steiermark || 11|2021 Foto: beigestellt GESCHICHTE HARALD SALFELLNER Gleich der erste Band war ein voller Erfolg. Vor Weih- nachten 1912 erschien das schmale Bändchen Vom Kai- nachboden , eine Sammlung von Stimmungsbildern aus Kloepfers unmittelbarer west- steirischer Wahlheimat. Schon zuvor waren die kulturhisto- rischen Skizzen im Grazer Tagblatt veröffentlicht worden. Dem waren Forschungen und Studien im Steiermärkischen Landesarchiv vorausgegangen, zu denen ihn der Kärntner Landesarchivar August Ritter von Jaksch motiviert hatte, der Bruder des berühmten Prager Internisten. Kloepfer sah seine Archivarbeiten als die Muße- stunden eines Landarztes und maß ihnen zunächst keine allzu große Bedeutung bei. Dessen ungeachtet sollten die Aufsätze mit Unterstützung des Vereins für Heimatschutz in Buchform herausgegeben werden, versehen mit liebe- vollem Buchschmuck der jun- gen Künstlerin Emmy Singer. In seinem Erzählbogen vom Bauerntum bis zum Winter- sport auf der Stubalm tangiert Kloepfer auch ärztliche The- men. In der Erzählung Fa- sching etwa folgt der Leser dem Landarzt im Schlittengespann zu einer kreißenden Bäuerin, während man im Wirtshaus und im Brauhaussaal zum Tanz rüstet. Kloepfer schildert eine unverbrauchte Landschaft voller Schönheit und Poesie. Kritiker haben ihm später die- se liebevolle Innenschau zum Vorwurf gemacht und das gan- ze Genre der Heimatkunst als bieder, rückständig und dumpf abgetan. Genau diese kleine, meist ärmliche Welt im Kainachtal, im Sulmtal und auf den umliegenden Hö- hen, umkreisten Kloepfer und seine Leser ein ums andere Mal. Was die Literaten in den Steinwüsten der Metropolen schufen, das interessierte Kloe- pfer und sein Publikum wenig. Die meisten modernen Au- toren, darunter weltbekannte Meister, waren ihnen kaum dem Namen nach bekannt. In seinem Gedicht Drei Welten hat Kloepfer die provinziellen Quellen seiner Dichtung be- nannt – die trauten Gassen im gelben Lampenschein des Marktes, die Einschichthöfe auf den umliegenden Almen, und das Dröhnen der Hämmer und das Lied der Arbeit in den Eisenhütten und Fabriken. Groß war die Überraschung, als innerhalb von sechs Wo- chen 1100 Stück des Hei- matbuches über die Pulte der steirischen Buchhändler gingen und schon übers Jahr nachgedruckt werden muss- ten. Die Rezensenten lobten die gelungene Mischung aus Dichtung und heimatlichen Realien. Auch der namhafte Max Mell war begeistert und Kloepfers Freund und Bun- desbruder bei der Gothia, der Volkskundler Viktor von Ge- ramb, lobte nicht nur die wissenschaftliche Güte der Arbeiten, sondern auch den medizinischen Blick auf den volkskundlichen Stoff. Ange- tan war auch Altmeister Peter Rosegger, dem der Debütant ein Exemplar des Buches zugeschickt hatte und der im Heimgarten befand: „Solche Bücher sollten mehr geschrie- ben werden!“ beit eingesetzten russischen Kriegsgefangenen, der sich von seinem sechsjährigen „Wochta“ beaufsichtigt auf den Weg nach Eibiswald zum „Zähntreißn“ aufmacht. Das Gedicht ist nicht nur wegen seiner unbestreitbaren Qua- lität einzigartig, sondern vor allem wegen Kloepfers ergrei- fender Beschwörung gütigen Menschentums. Eigent lich war es eine Sensation, die freilich wenige erkannten: Die k.u.k. Armee blutete in einem verzweifelten Kampf mit dem russischen Gegner, an den östlichen Frontabschnitten hatten schon mehr als zwei Millionen Österreicher den Tod gefunden. Da steckte man den steirischen Soldaten in ihren Unterständen klei- ne Heftchen zur Erbauung zu, in denen sie von einem gutmütigen, warmherzigen Russen lesen konnten, der in der fernen südweststeirischen Heimat behutsam über einen kleinen Knaben wacht. Was dachten sich wohl die unifor- mierten Leser, als sie wieder ihre Karabiner anlegten – und was wollte ihnen Kloepfer mit diesem Gedicht sagen? Über die steirischen Grenzen hinaus bekannt machten Kloe pfer erst seine hochdeutschen Gedichte, die aber in ihrem poetischen Wert weit hinter den Mundartgedichten zurück- blieben. Er schätzte Rainer Ma- ria Rilke, widmete ihm sogar ein Poem, blieb jedoch weit hinter dieser Messlatte zurück. Mit wenigen bemerkenswerten Ausnahmen: Das Gedicht Stei- rischer Herbst 1916 etwa, in dem unheimlich das Grollen der Weltkriegsschlachten vom Das schlanke Heimatbüchlein hatte den Köflacher mit einem Schlag bekannt gemacht , wenn auch nur in der Stei- ermark. So nahm der rund- liche Mitfünfziger nach dem Weltkrieg das Erfolgsrezept der heimatkundlichen Erzäh- lung wieder auf und kehrte 1922 mit Aus dem Sulmtale in den „köstlichen Garten seiner Kinderzeit“ zurück. In diesem Zweiten Buch der Heimat be- kannte sich Kloepfer einmal mehr zur Mundart, nannte sie einen „letzten frischen Zweig am Stamm unserer Sprache“. Und dass Kloepfer, wiewohl Sohn eines schwäbischen Zu- wanderers, diese Mundart in ihren letzten Schönheiten und Geheimnissen verinnerlicht hatte, bewies er 1924 mit dem Bändchen Gedichte in Stei- rischer Mundart . Mit Minia- turen wie Joahrlauf , Bauern- hausen oder Bol i’n Stodl deckt hon, rost i aus wurde Kloepfer nicht nur quasi über Nacht zum Heimatdichter, sondern auch zum Meister und Klas- siker dieses Genres. Kein stei- rischer Dichter, auch nicht Rosegger, hat es in der „Bau- ernsprach“ mit Kloepfer auf- nehmen können. Der Feuil- letonredakteur beim Grazer Tagblatt Franz Nabl sprach sogar vom „unbestritten be- deutendsten Mundartdichter innerhalb des gesamten süd- deutschen Sprachgebietes“. In den Gedichten in stei- rischer Mundart wurde auch ein Poem abgedruckt, das Kloepfer inmitten des Ersten Weltkriegs verfasst hatte – Da Ruß . Es handelt von einem gutmütigen, beim Bergbauern Zenz in der Wial zur Ar- Über das dichterisches Werk des Arztes Hans Kloepfer. Teil 2 der Serie. Der schreibende Doktor
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