AERZTE Steiermark | November 2021

18 ÆRZTE Steiermark || 11|2021 MEDIZIN Kleinkinder mit Lippen-, Kie- fer-, Gaumenspalte (LKGS) sind damit beim Spracher- werb weniger benachteiligt; aber auch bei jugendlichen und erwachsenen Patienten verbessert diese Methode das Sprachergebnis noch deutlich. Sie zählt zu den häufigsten Fehlbi ldungen bei Neuge- borenen in Österreich: die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte. In Mitteleuropa trifft es im Schnitt ein Kind pro 600 Geburten, in Japan und Finn- land deutlich mehr. Die Aus- prägung der Fehlbildung va- riiert stark und hängt unter anderem vom Zeitpunkt der aufgetretenen Störung der Gesichtsentwicklung, früh in der Schwangerschaft, ab. Am häufigsten ist die einseitige LKGS mit 40 Prozent, dann folgt die isolierte Gaumen- spalte (30 %) vor der isolierten Lippenspalte (20 %) und den doppelseitigen LKG-Spalten. Noch ist die Ursache nicht vol lständig geklärt, vieles spricht für das Zusammen- wirken mehrerer Faktoren. „Die regionalen Unterschiede sind noch nicht entschlüs- selt, genetische Komponenten spielen wohl ebenso eine Rol- le wie Umwelteinflüsse und andere externe Parameter“, erklärt Michael Schwaiger, 2. stellvertretender Abteilungs- leiter der Klinischen Abtei- lung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG) am Grazer Universitätsklinikum. Feiner arbeiten An der Grazer Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie hat die Behandlung von Patienten mit LKG-Spalte lange Traditi- on. Gegen Ende seiner Assis­ tenzarztzeit ging Schwaiger an das Guy´s and St. Tho- mas´ Hospital in London, um weitere Erfahrung in diesem Spezialbereich zu sammeln. Die von Brian Sommerlad entwickelte Technik des Gau- menverschlusses unter dem Mikroskop wird dort in sehr hoher Fal lzahl praktiziert und gehört in Großbritannien mittlerweile zu den Standard- Behandlungen. In Österreich zählt Schwaiger, der nun schon seit zwei Jahren unterm Mikroskop operiert, zu den Pionieren. „Dabei sitzt der Operateur neben dem Kind, sieht durch das Okular und muss sich nicht so verbiegen. Er hat deutlich mehr Über- sicht über das doch sehr klei- ne Operationsgebiet. Dadurch und durch die Vergrößerung kann die Muskulatur, die das Velum bewegt, viel feiner herauspräpariert und neu po- sitioniert werden.“ Der Verschluss der LKG- Spalte verhindert, dass Essen und Getränke über die Nase austreten und ermöglicht im Rahmen des Spracherwerbs erst die Lautbildung der Plo- sive p, t und k. Operiert wird je nach Fehlbildung in zwei Stufen und von vorne nach hinten: „Wir beginnen im Al- ter von drei bis fünf Monaten mit dem Verschluss der Lippe; der Gaumen ist mit acht bis zwölf Monaten dran.“ Persönliches Gespräch hilft Viele kleine Patient*innen von Schwaiger sind noch zu jung, um festzustellen, wie sich die verfeinerte OP-Tech- nik auf ihre Sprachentwick- lung auswirken wird. Was sich jedoch relativ rasch fest- stellen hat lassen, war der Rückgang an postoperativ auftretenden Restlöchern im Gaumen. „In der Literatur ist bei der herkömmlichen OP- Methode von zehn bis zwan- zig Prozent die Rede, nach einer OP unterm Mikroskop sind es nur halb so viele“, be- tont Schwaiger. Die Grazer Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ist auf LKG-Spaltenoperationen im Kindesalter fokussiert, aber auch in höherem Lebens- alter erreichen die Grazer Gesichtschirurgen noch viel Positives. „Die meisten Pa- tienten führen ein normales Leben, aber ihre Narbe an der Lippe und eventuell eine schiefe Nase sind für sie oft störend. Hier können Revi- sionsoperationen wie Lippen- und Nasenkorrekturen eine deutliche Steigerung der Le- bensqualität erwirken. Auch in puncto Sprachprobleme lassen sich auch bei jungen Erwachsenen noch Verbes- serungen erzielen“, erläutert Schwaiger. Bewährt hat sich, wenn die werdenden Eltern nach der vorgeburt l ichen Diagnose Kontakt mit dem Spalt-Team aufnehmen. „So eine Dia- gnose ist ein Schock für die Fami lie. Ein persönliches Gespräch kann dann doch einige Ängste nehmen“, weiß Schwaiger aus Erfahrung. In den ersten Lebenstagen und Der Grazer Gesichtschirurg Michael Schwaiger hat die Technik des Gaumenverschlusses unterm Mikroskop in Lon- don gelernt – und damit bereits 50 Menschen geholfen. LKGS: OP-Technik aus London Fotos: beigestellt

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