AERZTE Steiermark | November 2021

ÆRZTE Steiermark || 11|2021 27 Illu: Shutterstock STUDIE Salonfähige Verschwörungsmythen Prozentuell gesehen sind sie ein bisschen stärker in der Gesel lschaf t vertreten als die Grünen bei der jüngsten Gemeinderatswahl in Graz; verglichen mit der Natio- nalratswahl 2019 liegen sie mit 18 Prozent zwischen den Wahlergebnissen von FPÖ und SPÖ: jene deutschen Erwerbstätigen, die in einer Befragung der Hans-Böck- ler-Stiftung Corona-Zweifeln und diesbezügl ichen Ver- schwörungstheorien zustim- men. Es handelt sich also nicht um vereinzelte Men- schen, sondern um eine ernst zu nehmende Gruppe. In regelmäßigen Befragungen eines für die deutschen Er- werbstätigen repräsentativen Samples von mehr als 5.000 Personen wurde erhoben, wie groß die Teilnehmenden die Gefahr der Corona- Maßnahmen für die Demo- kratie einschätzen, ob sie das Virus für weniger gefährlich halten als behauptet und ob sie daran glauben, dass hin- ter der Pandemie eine Elite steckt. Jung, wenig gebildet, finanziell benachteiligt Die Auswertung der jüngsten Daten aus der ersten Juli- Hälfte 2021 hat ergeben, dass 57 Prozent ein geringes Maß an Zustimmung sowohl zu Corona-Zweifeln als auch zu Verschwörungsmythen zei- gen, 24 Prozent ein mittleres und 18 Prozent ein hohes Ausmaß. Wer glaubt, dass die Demokratie durch die derzeitigen Einschränkungen gefährdet ist, stimmt zu mehr als 90 Prozent auch Aussa- gen zu, hinter der Pandemie stecke eine Elite, die eine neue Weltordnung schaffen wolle oder die Pandemie wür- de von Eliten benutzt, um die Interessen von Reichen und Mächtigen durchzusetzen – klassischen Verschwörungsmythen also. Überdurchschnittlich um die Demokratie besorgt zeigen sich Menschen mit niedrigem Schulabschluss, geringem Einkommen, im Alter zwi- schen 26 und 45 Jahren sowie jene, die in ihrem Umfeld keine Coronainfektion erlebt haben. Spezifisch deutsch ist die höhere Zustimmungsra- te in den östlichen Bundes- ländern. Wer an Verschwö- rungsmythen glaubt und die Gefährlichkeit des Virus für überschätzt hält, wählt häufig AfD, ungültig oder gar nicht. Ein signifikanter Unterschied zwischen den Geschlechtern wurde nicht beobachtet. Misstrauen beeinflusst Impfentscheidung Die Erhebung unter Er- werbstätigen wird in kurzen Abständen wiederholt (bei denselben Personen) und zeigt daher auch Entwick- lungen auf: Zweifel an den offiziellen Corona-Zahlen ha- ben mittlerweile 43 Prozent (im vorigen November 41 %), Sorge um die Demokratie 36 Prozent (November 2020 30 %), die Befürchtung, die Einschränkungen könnten zum Teil auch nach der Krise weiterbestehen, teilen 43 Pro- zent (November 36 %). Vor ei- ner Instrumentalisierung der Krise zugunsten von Reichen und Mächtigen fürchten sich laut letzter Erhebung 32 Pro- zent, wobei der Wert im Juni 2020 noch bei 40 Prozent lag. Dafür sind die Zahlen jener, welche die Angst vor dem Virus für übertrieben hal- ten, innerhalb eines Jahres von 36 auf 27 Prozent ge- sunken. Der Glaube an eine Verschwörung zugunsten einer neuen Weltordnung blieb mit 19 bis 20 Prozent relativ konstant. Der Faktor Misstrauen gegenüber In- stitutionen beeinflusst nicht nur Impfentscheidungen, sondern auch das alltägliche Verhalten der Menschen: Wer die Maßnahmen als über- trieben einschätzt, hält sich seltener daran. 48 Prozent der Ungeimpften stimmen Corona-Verharmlosung und Verschwörungsmythen zu. Je expliziter die Impfablehnung, desto mehr Nähe besteht zu den Verschwörungstheorien. Mit Empathie, ohne Spott Der Studienautor Andreas Hö- vermann, Soziologe in der Hans-Böckler-Stiftung, emp- fiehlt, den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Be- nachteiligung und Zustim- mung zu Verschwörungsmy- then „ernst zu nehmen“ und weiterhin für staatliche finan- zielle Abfederung zu sorgen. Gleichzeitig sollten die Be- mühungen, Desinformation zum Thema Gefährlichkeit des Virus und vermeintliche Gefahr durch die Impfung zu widerlegen, unermüdlich fort- geführt werden. Mit Empathie, nicht mit Spott, wie er betont. Knapp ein Fünftel der im Auftrag der deutschen gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung Befragten teilt Corona-Zweifel und stimmt Ver- schwörungsmythen zu. Bevorzugt bei niedrigen Inzidenzen.

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