AERZTE Steiermark | November 2021
BEREICH ÆRZTE Steiermark || 11|2021 7 Verfolgt man die öffentliche Debatte, könnte der Eindruck ent- stehen, Corona sei vor allem ein Politikum. Menschen verwei- gern sich dem Impfen, Lockdowns oder dem Masketragen nicht deshalb, weil sie die Maßnahmen ablehnen, sondern weil sie damit ihrem Missfallen gegenüber politischen Entscheidungs- trägern oder politischen Institutionen Ausdruck geben können. Dass sie damit sich selbst und Menschen, die ihnen wichtig sind, in Gefahr bringen, spielt keine Rolle, wird nicht einmal wahrge- nommen. Tatsächlich ist es anders. Alles, was Menschen tun, tun sie in erster Linie zum eigenen Nut- zen oder Schaden. Das Bewusstsein, dass das so ist, gehört wieder- hergestellt. Das können Ärztinnen und Ärzte im Gespräch mit ihren Patientinnen und Pati- enten immer tun. „Was immer Sie machen, Sie tun es in erster Linie für oder gegen sich selbst, nicht für oder gegen eine politische Partei, einen Minister, Landeshauptmann oder den Bundeskanzler.“ In elf Sekunden ist das gesagt. Und wird einer Ärztin, einem Arzt auch von der überwältigenden Mehrheit geglaubt. Persönlich halte ich es auch für bedrohlich, dass über die Impf- und Impfpflichtdebatte oder die Lockdown-Erregung „ganz normale“ Maßnahmen gar nicht mehr wahrgenommen werden. Wer spricht noch über das Lüften, über Handhygiene oder das Abstandhalten? Das hilft erstens gegen sehr viele Infektionen – auch den simplen Schnupfen. Und selbst jene, die nicht nur Corona, sondern pauschal Infektionen leugnen, können es unter dem Motto „Hilft‘s nichts, so schad‘s nichts“ tun. Ich wüsste nämlich keinen Verschwörungsmythos, der das Abstandhalten, das Händewaschen oder das Stoßlüften zum Thema hat. Es mag sein, dass diese Maßnahmen deshalb für die Politik und auch die Medien nicht so wichtig sind. Dazu sind sie zu wenig kontroversiell. Aber sie sind wichtig für die Menschen in diesem Land. Deswegen dürfen sie auf keinen Fall in Verges- senheit geraten. Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark. Wie genau die wenig durchdachten Ideen des Landes zur Weiterführung des ärztlichen Bereit- schaftsdienstes an die Öffentlichkeit gelangt sind, wollen wir gar nicht hinterfragen. Aber es ist leider geschehen. Tatsache ist jedenfalls, dass dieses „Modell“ den Bereitschafsdienst billiger machen würde, aber um einen hohen Preis. Die Bevölkerung bleibt im wahrsten Sinne des Wortes übrig, denn ihr Bedürfnis nach gesicher- ter ärztlicher Versorgung wird in keiner Weise erfüllt. Zusätzlich werden die Ärztinnen und Ärzte frus triert, die Patientinnen und Patienten betreuen und nicht Spielball der Bürokratie sein wollen. Ob diese Panne noch repariert werden kann? Das Konzept „fehlerhaftes Konzept ausprobieren, ohne auf die praxiserprobten Fachleute zu hören, dann in der Evaluierung feststellen, dass es nicht funktioniert, und den Fachleuten die Schuld da- für geben, obwohl die es vorher schon wussten“ scheint – nicht nur hier – zunehmend Platz zu greifen. Medial Stroh für Gold zu verkaufen ist das Eine. Das richtet nur äußerlichen Schaden an. Aber das Schlimme ist, dass es hier um eine reale Be- schädigung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes geht. Und die verzeihen die Menschen nicht. Nur, dass sie dabei leider nicht die unmittelbar Ver- antwortlichen in die Pflicht nehmen. Der Zorn richtet sich ganz allgemein gegen die Politik. Obwohl die wohl nicht einmal genau weiß, was da vorgeht. Nicht erkennen kann, dass die Bevölkerung dabei „übrig bleibt“. Dennoch bekommt sie die Rechnung präsentiert. Und muss für etwas bezahlen, das sie in Wirklichkeit gar nicht verursacht hat. Was aber verhindert werden könnte. Und zwar, wenn alle Beteiligten sich wieder am Verhandlungstisch treffen – ein- seitige Entscheidungen sind keine Lösung. Vizepräsident Dr. Christoph Schweighofer ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte. EXTRA Christoph Schweighofer So bleibt die Bevölkerung übrig STANDORTBESTIMMUNG Herwig Lindner Corona ist kein Politikum – das Normale zu tun bleibt wichtig D BATTE Fotos: beigestellt, Oliver Wolf, Elke Meister, Schiffer, Grafik: Konrad Lindner
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