AERZTE Steiermark | Dezember 2021

BEREICH GESCHI TE Wehrmacht als Befreiung. Über Nacht wandelten sich die steirischen und österrei- chischen Dollfuß-Plätze zu Adolf-Hitler-Plätzen. Im Dienste des Hakenkreuzes Nun gab es für Kloepfer kei- nen Grund mehr, zu schwei- gen. Am 19. März 1938 trat der Dichterarzt in der Voits- berg-Köflacher Volkszeitung mit einem Bekenntnis für Volk und Führer vor die Öf- fentlichkeit. Der Staat, den er seit Studen- tentagen vor Augen hatte, war jetzt zum Greifen nah: „Ein einziges, freies, glückliches und ewiges Deutschland, ein Deutschland, das alle umfaßt, die desselben Blutes und der- selben Sprache sind“ . Das provinziell-bürgerliche Umfeld von Eibiswald und um Köflach, woraus er zahl- reiche Motive seines Schaf- fens bezog, seine national- konservative Weltsicht, ge- festigt im verbindungsstu- dentischen Umfeld, der von großdeutschen Sehnsüchten erfüllte Freundeskreis, sein langjähriger Umgang mit spä- teren Aushängeschildern des NS-Kulturlebens wie Josef Papesch oder Switbert Lo- bisser und nicht zuletzt die dynamische Entwicklung in Hitlers Reich – all das hatte sich zu einer latenten Unter- strömung gefunden, die den behäbigen, gichtkranken und schon recht vergreist wir- kenden Dichterarzt jetzt in das Fahrwasser Hitlers spülte. Die Verbitterung über die schrille Not und das Elend der Zwischenkriegszeit, „die Jahre der Bedrückung“, tru- gen das Ihre bei zu seiner Haltung, und zu alldem kam die Genugtuung, dass nun endlich die Schmach von 1919 getilgt werde. Ein Dichter, aus dessen Werken hundertfach der milde Menschenfreund spricht, ein Arzt, der sein Leben lang gegen die Untiefen des Daseins ankämpfte – über Nacht schrieb er Huldigungs- gedichte, denen wir Nach- geborene rat los gegenüber stehen: „Schreibm tuat er si’ Hitler, und uns so guat g’sinnt, wie ma weit in da Welt net an liabern wo findt.“ Weitere Lobeshymnen auf den „geliebten“ Führer folgten, etwa am 9. April mit „Warum der Leitnerbauer Ja sagt“ , ehe die umworbenen Bergbauern ins Tal pilgerten und für den Anschluss stimmten. Das offizielle Ergebnis ist be- kannt: 99,97 Prozent aller Wahlberechtigten des Bezirks Voitsberg bejahten die poli- tische Verbindung mit dem nunmehrigen Großdeutschen Reich, von den 62 Gemeinden verzeichneten 51 ein hundert- prozent iges Wahlergebnis. Die Euphorie der Anschluss­ tage fand ihren Ausdruck in weiteren Huldigungsge- dichten wie dem Steirischen Bergbauerngruß , Frühling in Österreich oder Dem Führer . In ihrer schlichten Einfalt sind sie erschütternde Zeug- nisse einer politischen Kon- sekration, die man dem ge- reiften Landarzt nicht zuge- traut hätte. Was folgte, waren Publika- t ionsangebote, Tant iemen, Einladungen, Preise, Aus- zeichnungen – und irgend- wann wohl auch Ernüchte- rung, führte der politische Festrausch doch schnur- stracks in die Katerstimmung des Weltkriegs. Von den Bil- dern dieser Tage blickt uns ein skeptischer Greis ent- gegen, vor hakenkreuzge- schmücktem Vortragspult. Es ist ein müder Mann, den der stramme Reichsgauleiter da in seiner Wohnung besuchte. Siegfried Uiberreither machte dem alten Arzt und Dich- ter die Honneurs und weilte wiederholt im Doktorhaus zu Gast. Reichsleiter Philipp Bouhler dagegen, Hitlers Sonderbe- auftragter für die Aktion T4, interessierte sich nicht für den betagten Landbader, als er den Voitsberger Primar und Gesundheitsfunktionär Ernst Bouvier aufsuchte. Über die einschlägigen Be- stimmungen und Gesetze im Zusammenhang mit Fragen der Rassenhygiene, Eugenik oder Euthanasie, die nach Splitternde Fensterscheiben und Sprengstof fanschläge kündigten 1934 den Bürger- krieg an. Wie Kloepfer über den gescheiterten Juliputsch der Nationalsozialisten dach- te, ist nicht bekannt. Der Doktor vermied es, sich in der Öffentlichkeit zu tagespoli- tischen Fragen zu äußern. Mit dem Ständestaat suchte sich Kloepfer zu arrangieren, der rollte dem Dichter denn auch bereitwillig den roten Teppich aus. So überreichte ihm etwa Bundespräsident Wilhelm Miklas 1937 auf An- trag des steirischen Landes- hauptmannes das Ritterkreuz erster Klasse des österreichi- schen Verdienstordens. Nach der Niederschlagung des Juliputsches lebte die NS- freundliche Stimmung in wei- ten Teilen der Bevölkerung dennoch fort. Kloepfers Ar- beitgeber, die ÖAMG, konnte in den späten 1930er Jahren vom deutschen Wirtschafts- aufschwung profitieren, so dass die Montangesellschaft schon lange vor dem An- schluss zu einer wichtigen Keimzelle des Nationalsozia- lismus wurde. Der Einmarsch deutscher Truppen und die Annexion Österreichs im März 1938 stießen in der Weststeiermark auf begeisterte Zustimmung. Nach fünf Jahren Ständestaat empfanden auch viele einfache Arbeiter aus dem Kohlerevier den Einmarsch der deutschen 18 ÆRZTE Steiermark || 12|2021 Soziale und politische Konflikte: Beim großen Bergarbeiterstreik in Köflach 1933 harrten die Männer wochenlang unter Tag aus. Kloep- fer betreute sie (Bild links). Reichs- gauleiter Siegfried Uiberreither besuchte den altgewordenen Arzt wiederholt privat (Foto rechts).

RkJQdWJsaXNoZXIy NDYwNjU=