AERZTE Steiermark | Dezember 2021
44 ÆRZTE Steiermark || 12|2021 NIEDERGELASSENE ÄRZTINNEN UND ÄRZTE Fotos: Stelzl, Adobe Stock Der ganz normale Praxiswahnsinn PRAKTISCH TÄGLICH Von Ulrike Stelzl Wer nicht genießt, wird ungenießbar Zum ersten Mal; seit ich für AERZTE Steiermark schreibe, überlege ich, ob ich es einfach fürs Dezemberheft bleiben lasse. Zum einen bin ich extrem spät dran. Ich erwarte jede Minute ein E-Mail in meiner Inbox zu finden. Lieb formuliert so in der Art: „Sicher haben wir die Kolumne irgendwo verlegt, könnten Sie die bitte noch mal schicken?“ – wohl wissend, dass keiner dort etwas verschustert hat. Zum anderen fällt mir nichts ein. Mein Leben besteht seit viel zu langer Zeit aus Arbeiten bis zum Beinahe-Umfallen, ir- gendetwas essen und dann ins Bett kriechen – um dort dann hellwach nicht die Schäfchen, sondern die Patienten zu zählen. Und von all dem Wahnsinn einfach erdrückt zu werden, den ich leider, wenn es still und finster ist, nicht ausblenden kann. Gestern war ich beim Kardiologen. Mein Herz ist ok, meine Carotiden laut dem Doc wie die einer Siebzehnjährigen. Dank der Covid-Regelungen ist er einer Umarmung gerade noch mal ausgekommen. Also kann ich noch einige Zeit viel zu viel Stress und viel zu viel Frust haben. Ich scheine das gut zu vertragen. Heute fällt der erste Schnee. Eigentlich etwas, das mich immer dazu bringt, jubelnd durch die Gegend zu hüpfen. Heuer ist es mir wurscht. Zu erschöpft zum Freuen. Ab 8. Dezember habe ich Urlaub. „Schönen Urlaub, erholen Sie sich gut!“, wünschen mir die Patienten. Irgendwann ist mir dann rausgerutscht: „Danke, aber was soll ich im Lockdown?“ „Ja einfach die Füße hochlagern und nichts tun.“ Jetzt ist Nichtstun sowieso nicht meine Königsdisziplin und heuer schon gar nicht. Niederge- lassener Kassenallgemeinmediziner zu sein ist Hochleistungs- sport. Und wie im Sport kann man nicht einfach plötzlich auf null gehen. Man muss langsam abtrainieren. Ich kann mich nicht einfach hinsetzen und alles wird gut und das Hirn ist ruhig (Komasaufen liegt mir nun mal nicht). Außerdem merke ich, dass ich dringend auch mal einen positiven Input brauchen würde. Was Neues, was Schönes. Ein anderes Panorama, Berge, frische Luft, endlich wieder einmal Schifahren. Auch einmal essen gehen. Käptn Iglo und der Pizzatürke am Eck sind nette Kerle und drei Gerichte kann ich sogar selber kochen. Aber manchmal würde ich gern ein Glas Wein mit einer Freundin trinken oder mich an einen gedeckten Tisch setzen. Wer nicht genießt, wird ungenießbar. Und das will ich nicht. Denn meine Patienten können nichts dafür. Dr. Ulrike Stelzl ist niedergelassene Ärztin für Allgemein medizin. Mehr von ihr gibt es im Buch „Hallo Doc! 2 Der ganz normale Praxiswahnsinn“ (erhältlich bei Amazon) für die Versorgung durch niedergelassene Ärztinnen zu attraktivieren. Dabei gehe es nicht vorrangig um die medi- zinische, sondern noch mehr um die menschliche Qualität, die die Menschen erwarten und brauchen. Def izite bei ambulanten Spitalsstrukturen orten die Betroffenen vor al lem bei den Wartezeiten auf Termine und der zügigen Behandlung. Auch wäre den Menschen die „Arztkonstanz“ wichtig (also die Sicherheit, immer von derselben Ärztin/demselben Arzt behandelt zu werden). In den meisten Fächern gilt das für Frauen noch viel mehr als für Männer. Generell ist Frauen und Män- nern eine gute und vertrau- ensvolle Beziehung zu Ärztin oder Arzt (siehe Grafik S. 47) „Es ist ein Irrglaube, man könne mit ambulanten Spitalsstrukturen den Patientinnen eine für sie attraktive Alternative zur Betreuung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte anbieten.“ Christoph Schweighofer sehr wichtig. Die höchsten Werte gibt es dabei für die Allgemeinmedizin und die Gynäkologie, gefolgt von der Inneren Medizin und der Kinder- und Jugendheilkun- de (Pädiatrie). Sehr signifi- kant wichtiger ist diese Bezie- hung für Frauen (außer der Gynäkologie, was ja klar ist) bei Orthopädie und Psychiat- rie/Neurologie. Es geht nicht um das Fachliche Schweighofer stellt klar, dass es keineswegs darum gehe, die fachliche Qualität der Kol- leginnen und Kollegen aus der Spitalsärzteschaft in Frage zu stellen. „Aber natürlich haben Spitäler nicht die Möglichkeit, die Behandlungs- und per- sönliche Informationsqualität so zu bieten, wie das niederge- lassene Ärztinnen und Ärzte ganz selbstverständlich tun.“
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