AERZTE Steiermark | April 2022

Bereich Ærzte Steiermark || 04|2022 7 Wie geht es Ihnen? Oft ist ein reflexhaftes ‚gut‘ die Antwort. Auch wenn es gar nicht so ist. Ärztinnen und Ärzte können ein Lied da- von singen. Aber reden wir jetzt von den (kranken) Menschen, reden wir von unserem Gesundheitssystem. Das – respektive die Menschen, die es planen und weiterentwickeln sollen – antwortet nämlich auch gerne reflexhaft mit ‚gut‘. Und auch das stimmt gar nicht. Warum nicht? Weil sie – die Planerinnen und Planer – bei der angestrebten Verbesserung viel Gutes zerstören und über Bord werfen. So wird nicht verbessert, sondern kaputt gemacht. Ein ganz konkretes Beispiel: Zentralisierung vs. Wohnortnahe Versorgung: Manches ist in Zentren gut aufgehoben, keine Frage. Aber Zentralisierung bedeutet immer, sich von den Menschen zu entfernen, es bedeutet den Verlust von Nähe. Diese Nähe hat aber einen hohen Wert. Sie bedeutet Vertrautheit, kurze Wege, persönliche Beziehungen. Das Zentralspital oder das Gesundheitszentrum können mit hoher Verfügbarkeit punkten. In einer ‚Ich-will-alles-und-das-sofort‘-Gesellschaft, ist Verfügbarkeit von Bedeutung. Aber leider (oder gottseidank) wollen die meisten Patientinnen und Patienten nicht irgendeinen Arzt, irgendeine Ärztin. Sie wollen ‚ihre‘ Ärztin, ‚ihren‘ Arzt. Die sind aber nicht immer verfügbar. Weil jede und jeder Zeit für Erholung braucht. Und deshalb nicht immer verfügbar sein kann. Eine ehrliche Gesundheitsplanung sagt das den Menschen auch. Sie verändert zwar. Aber sie tut das behutsam, immer im Einvernehmen mit denen, die diese Planung in die Praxis umsetzen müssen, es immer wollen, es aber nicht können, wenn sie Fehlplanungen auszubaden haben. Aus Goethes Faust kommt das geflügelte Wort ‚von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft‘. Für die Gesundheitsplanung muss man es umdrehen: Diese Kraft will oft das Gute und schafft meist das Böse, indem sie das Gute über Bord wirft. Nicht aus bösem Willen, sondern weil sie es nicht besser versteht. Weil sie eines nicht kann: zuhören und sich das Gehörte zu Herzen nehmen. Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark. Der Ärztenotdienst sowie der Kinder- und Jugendärztliche Notdienst für die Bevölkerung von Graz und mehreren Umlandgemeinden werden nach dem Willen des Landes Steiermark, der Stadt Graz und der ÖGK empfindlich eingeschränkt und sollen im allgemeinen Bereitschaftsdienst aufgehen. Argumentiert wird hauptsächlich damit, dass die Inanspruchnahme im Jahr 2020 deutlich zurückgegangen ist. Nur: Im Jahr 2020 ist vieles zurückgegangen, da hat nämlich die Corona-Pandemie begonnen. Davon waren die Krankenhäuser stark betroffen – die könnte man also auch einschränken. Man könnte auch die touristische Infrastruktur stark zurückfahren. Schließlich gab es 2020 um gut 53 Prozent weniger Nächtigungen als 2019. Die Zahlen lagen plötzlich auf dem Niveau von 1999. Aber kein vernünftiger Mensch würde so etwas verlangen. Schließlich soll ja wieder Normalität Einzug halten. Zur Normalität gehört aber auch eine normale medizinische Notfallversorgung, wie es sie vor der Pandemie gab. Die Beanspruchung des Ärztenotdienstes wird übrigens über die „Call-Taker“ des Telefons 1450 gesteuert. Nicht Patientinnen und Patienten entscheiden (die hängen vielfach nur in der Warteschleife) und schon gar nicht Ärztinnen und Ärzte. Dass diese Checklisten-Entscheidungen auch auf kinderärztliche Notfälle ausgedehnt werden, ist eine mehr als gefährliche Entwicklung. Alles wird also schwieriger für die Patientinnen und Patienten. Wie werden die darauf reagieren? Ganz einfach: indem sie gleich auf die Notfallambulanzen der Krankenhäuser zurückgreifen. Dort können sie nämlich einfach hinfahren, auch wenn das medizinisch gar nicht sinnvoll ist, die Mitarbeiterinnern und Mitarbeiter noch mehr belastet und die Ressourcen verstopft. Aber Hauptsache die Planer*innen bekommen Recht. Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzte können ruhig leiden. Hauptsache, das Prinzip stimmt. Mag es auch noch so unsinnig sein. Vizepräsident Dr. Christoph Schweighofer ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte. extra Christoph Schweighofer Ärztenotdienst: Unsinn aus Prinzip? Standortbestimmung Herwig Lindner Unsere Gesundheitsversorgung erhalten und verbessern d batte Fotos: beigestellt, Oliver Wolf, Elke Meister, Schiffer, Grafik: Konrad Lindner

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