Das Magazin der Ärztekammer Steiermark Mai 2022 Daumen. Unfallchirurg und Handspezialist Alois Tax hat auch den „grünen Daumen“. Doppel. Allgemeinmediziner Günter Polt vereint Palliativ- und Notfallmedizin in einem Projekt. Dauer. Ausstellungskuratorin Katharina Krenn vermittelt „Heilkunst“ über Jahrhunderte. Österreichische Post AG MZ 02Z033098 M Ärztekammer für Steiermark, Kaiserfeldgasse 29, 8010 Graz, Retouren an PF555, 1008 Wien STEIERMARK Foto: Adobe Stock Foto: Katharina Fröschl-Rossb th Welche funktionieren? Welche nicht? 16 Fachleute sind sich (fast) einig. Rezepte gegen den Ärztemangel
Bereich themen Ærzte Steiermark || 05|2022 3 BUCHTIPP Anders normal. Ein Transmann und eine Hormonspezialistin erzählen, wie man wird, wer man ist Von: Sam Vincent Schweiger und Katharina Maria Burkhardt Verlagshaus der Ärzte ISBN 978-3-99052-235-6 EUR 19,90 „Ich bin bei mir selber angekommen“, resümiert Sam Schweiger, der den Weg von Frau zu Mann gegangen ist. In seinem Ratgeber, den er gemeinsam mit der Heilpraktikerin und Supervisorin Katharina Burkhardt verfasst hat, erzählt er von seiner Entscheidung zum Geschlechtswechsel, den (teils operativen) Zwischenstationen und dem Ankommen im eigenen Körper. Das Themenspektrum reicht von (Neben-)Wirkungen von Sexualhormonen über den Einfluss der Erziehung bis hin zu organisatorischen Fragen wie jener nach der Wehrpflicht für Transmänner, Namensänderung und Heiratsmöglichkeiten. DATUM 14. Juni Der Weltblutspendetag am 14. Juni wird erst seit dem Jahr 2004 gefeiert, jeweils am Geburtstag von Karl Landsteiner, dem Entdecker der Blutgruppen. Der heurige Weltblutspendetag fällt in eine Zeit, in der das steirische Rote Kreuz wegen schwindender Reserven besonders eindringlich zur Blutspende aufruft. LINK: https://www.queermed.at/leitfaden/#3 Für Transpersonen gestaltet sich jeder Besuch bei einem/r neuen Ärzt*in zu einem neuerlichen Outing und fällt vielen schwer. Mit welchen – oft nur kleinen – Veränderungen Ärzt*innen einen sensiblen Umgang mit queeren oder TransPatient*innen pflegen und ein einladendes Umfeld für sie schaffen können, wird in diesem Leitfaden erklärt. Zahl 1.500 und mehr Notarzthubschrauber-Landungen pro Jahr gab es zuletzt am LKH-Uniklinikum Graz. Rund 10 % aller nötigen Einsätze unterblieben wegen schlechter Sicht. Abhilfe bringt nun das neue Point-in-Space-Verfahren. Foto: Verlagshaus der Ärzte Fortbildungstipp Vom 24. bis 26. Juni 2022 finden auf Schloss Seggauberg in der Südsteiermark die Sportärztetage statt, genauer gesagt die Module Leistungsphysiologisch-Internistisch-Pädiatrischer Grundkurs IV und II (in dieser Reihenfolge), begleitet von Ärztesport-Einheiten auf dem Rennrad. Details und Anmeldung unter: www.med.or.at/seggau IMPRESSUM: Medieninhaber (Verleger): Ärztekammer für Steiermark, Körperschaft öffentlichen Rechts | Redak- tionsadresse: 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 29, Tel. 0316 / 8044-0, Fax: 0316 / 81 56 71, E-Mail: presse@aekstmk. or.at | Chefredaktion: Martin Novak | Koordination: Mag. Ursula Scholz | Redaktionelle Betreuung und Produktion: CONCLUSIO PR Beratungs Gesellschaft mbH, Schmiedgasse 38, 8010 Graz | Gestaltung: Konrad Lindner | Anzeigen: Gernot Zerza, Tel.+43 664 2472673, E-Mail: Zerzagernot@gmail.com; Mit „Promotion“ gekennzeichnete Texte sind entgeltliche Veröffentlichungen im Sinne § 26, Mediengesetz. | Druck: Stmk. Landesdruckerei GmbH, 8020 Graz | Abonnements: Eva Gutmann, Ärztekammer Steiermark, Tel. 0316 / 804440, Fax: 0316 / 81 56 71. Jahresabonnement (11 Ausgaben) EUR 25,–. Gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse“ des Österreichischen Umweltzeichens, Medienfabrik Graz, UW-Nr. 812 Klimakompensierte Produktion www.climate-austria.at Ident-Nr Klimakompensierte Prod www.climate-austria Kennzeichnu für vorbildlic Waldwirtscha HCA-COC-100 Förderung nachhaltiger Waldwirtschaft PEFC/06-39-22 PEFC zertifiziert r ckt nach der Richtlin e „Druckerzeugnisse“ ster eichischen Umweltzeichens, ienfabrik Graz, UW-Nr. 812 Klimakompensierte Produktion www.climate-austria.at Ident-Nr. A Klimakompensierte Produk www.climate-austria.a Kennzeichnung für vorbildliche Waldwirtschaft HCA-COC-10029 Förderung c ltiger l i ft - PEFC zertifiziert update im Mai Schlagzeile „Seit heute gibt es keine Fraktionen mehr, nur mehr gemeinsame Anliegen (...) Das ist auch unser Angebot vor allem an das Land Steiermark, die Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft, die Medizinische Universität Graz und die Österreichische Gesundheitskasse“, skizzierte der designierte neue steirische ÄK-Präsident Michael Sacherer seinen künftigen Kurs. Kleine Zeitung, 12. April 2022 FORTBILDUNG AKTUELL Kursort: Steiermarkhof Graz www.steiermarkhof.at 5 Termine immer FR/SA: 28./29. Okt., 11./12. Nov. 2022, 27./28.. Jänner, 3./4. März, 21./22. April 2023 jeweils FR (15.45-21.30 Uhr) & SA (08.30-13.45 Uhr) Anmeldung & Info www.med.or.at/forensik Auskünfte: Frau Michaela Hutter Telefon 0316/8044-37 Fax 0316/8044-132 E-Mail: fortbildung@aekstmk.or.at 7. ÖÄK-Diplomlehrgang Forensischpsychiatrische Gutachten 22/23 Zielgruppe: FachärztInnen für Psychiatrie..., die beabsichtigen als GutachterInnen tätig zu werden 25.FORTBILDUNGSMONAT FÜR ÄRZTINNEN UND ÄRZTE IN AUSBILDUNG DETAILPROGRAMM & ANMELDUNG WWW.MED.OR.AT/FBM Wir danken für die Unterstützung: FORTBILDUNG AKTUELL Anmeldung & Info: www.med.or.at/fbm Auskünfte: Christian Hohl Telefon 0316/8044-33 Fax-132 E-Mail: fortbildung@aekstmk.or.at MAI 2022 F IL LL Kursort: Steier arkhof Graz www.steier arkhof.at 5 Ter ine im er FR/SA: 28./29. Okt., 11./12. Nov. 2022, 27./28.. Jänner, 3./4. März, 21./22. April 2023 jeweils FR (15.45-21.30 Uhr) & SA (08.30-13.45 Uhr) An eldung & Info www.med.or.at/forensik Auskünfte: Frau Michaela Hutter Telefon 0316/8044-37 Fax 0316/8044-132 E-Mail: fortbildung@aekstmk.or.at 7. ÖÄK-Diplomlehrgang i i t i t t / Zielgruppe: FachärztInnen für Psychiatrie..., die beabsichtigen als GutachterInnen tätig zu werden 25.FORTBILDUN ONAT FÜR ÄRZTINNEN UND ÄRZTE IN AUSBILDUNG DETAILPROGRA & AN ELDUNG WWW.MED.OR.AT/FBM Wir danken für die Unterstützung: F IL LL Anmeldung & Info: .med.or.at/fb Auskünfte: Christian Hohl Telefon 0316/8044-33 Fax-132 E-Mail: fortbildung@aekstmk.or.at 2 A8_05_22.indd 1 12.04.22 11:08
Ærzte Steiermark || 05|2022 5 Bereich Bereich themen themen 4 Ærzte Steiermark || 03|2022 Der Ärztenotdienst und der Kinder- und jugendärztliche Notdienst in Graz werden wie die ärztlichen Bereitschaftsdienste überall in der Steiermark gekürzt. Die Folgen? Eindeutige Antwort auf die „Frage des Monats“ vom April: „Die Spitalsambul anzen w e r d e n stärker frequent ier t w e r d e n“, befürchten 8 von 10 Antwortenden. Vergleichsweise wenige, nämlich 8,5 %, befürchten öfter dramatische Krankheitsverläufe. Und 7 Prozent hoffen, dass weniger Bereitschaftsdienst die Work-Life-Balance von Ärztinnen und Ärzten verbessert. Ergänzung: nicht die jener Ärztinnen und Ärzte in den Notaufnahmen. „Keine gravierenden Auswirkungen“ erwarten weniger als 4 %. Fotos: beigestellt, Stieber/KAGes Themen Cover. Rezepte gegen den Ärztemangel 8 Arzt im besonderen Dienst. Luis Tax: Wandelnder im Seelenraum zwischen Zypressen und Zirben 14 Ärztekammer-Wahl. Besser wählen 16 Michael-Hasiba-Preis: Drei ausgezeichnete Projekte 18 Versorgung. Substitutionstherapie funktioniert und wirkt 20 Kunst & Medizin. „Heilkunst“ – Ausstellung zur Geschichte der Medizin 22 Geschichte. „Vieles ist noch ungeklärt“ 24 Zero Tolerance 26 Initiative. Impfwoche als Erinnerung 28 Recht. Abschied von Dieter Müller 29 Projekt. Palliativmedizin trifft Notfallmedizin 30 Gesunder Genuss. Stangen zum Anbeißen 32 Psychoonkologie. Die Seele bestmöglich schützen 34 Wirtschaft&Erfolg. Vermögensveranlagung des Wohlfahrtsfonds 36 Wirtschaft&Erfolg. Teambuilding für Ärzt*innen 38 Rat&Daten. Termine online fixieren 39 Expertinnentipp. Karenz und Co: Ausnahmen vom Erlöschen der Berechtigung zur Berufsausübung 41 CIRS. Raumluft statt O2 bei Reanimation 41 Mikrochimärismus beim Menschen: den fremden Zellen in uns auf der Spur 42 Angestellte Ärztinnen und Ärzte Notärzte-Not droht 44 Gem.Einsam. Ticks, Marotten und Eigenarten 46 Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte Amtlich. Prävention ja, aber warum jetzt ein Konzept? 47 Serie. Praktisch Täglich. Bei Risiken und Nebenwirkungen 49 Debatte 6 News 43 Referate 50 Kleinanzeigen 51 Personalia 54 Karikatur 57 Ad Personam 58 epikrise Kurze Nachrichten aus der Redaktion Soziale Medien: Twitter: www.twitter.com/ AERZTE_NEWS Facebook: www.facebook. com/aerztekammer.stmk/ und Facebook-Gruppe für steirische Ärztinnen und Ärzte Youtube: AERZTE_NEWS „Notdienst“-Kürzungen belastenAmbulanzen stark Toleranz. Arzt, Dichter, aber auch Hitler-Anhänger. Hans Kloepfer ist umstritten. Medizinhistoriker und Arzt Harald Salfellner verlangt Auseinandersetzung statt Ausradieren. Seite 24 Keine TOleranz. Sexuelle Belästigung ist kein Kavaliersdelikt. Die Berliner Charité lebt eine Null-Toleranz-Strategie. Steirische Spitalsträger haben Anlaufstellen. Seite 26 Foto: Schiffer bild des monats. Mitte April präsentierte sich das Team, das die Ärztekammer Steiermark in den kommenden Jahren lenken soll, der Öffentlichkeit. Von links nach rechts: Präsident Herwig Lindner, designierter Wahlärztereferent Martin Millauer, und designierter Präsident Michael Sacherer, Sektionsobmann Allgemeinmedizin Alexander Moussa, designierter Kurienobmann Niedergelassene Dietmar Bayer, designierter Vizepräsident Peter Schmidt und der designierte Kurienobmann Angestellte Gerhard Posch. Nicht im Bild sind Finanzreferentin Doris Kriegl (krankheitsbedingt) und die designierte Niedergelassenen-Obmannstellvertreterin Gudrun Zweiker. Die Allianz repräsentiert drei Viertel der Vollversammlungs-Mandate. n=200 AERZTE Steiermark Frage des Monats Bereitschafts- und Notdienste: Was bewirken Kürzungen ? Spitalsambulanzen werden noch stärker frequentiert. Es wird häufiger zu dramatischen Krankheits- verläufen kommen. Keine dramatischen Auswirkungen. Weniger Dienste – bessere Work-Life-Balance von Ärzt*innen. Weiß nicht/Anderes. 0,5% 7,0 % 8,5 % 80,5 % 3,5 %
6 Ærzte Steiermark || 05|2022 Bereich Bereich Ærzte Steiermark || 05|2022 7 Das Gesundheitssystem lässt sich nur gemeinsam gut gestalten. Das klingt nach einer Selbstverständlichkeit. Nur leider werden gut funktionierende, bewährte Strukturen von Planenden in vielen Bereichen zerschlagen und neue Strukturen geschaffen, ohne die negativen Folgen zu bedenken, ohne die Realität wirklich im Auge zu haben. Beispiele der jüngsten Zeit: Der Ärztenotdienst und der Kinder- und Jugendärztliche Notdienst für Graz sollen in den Allgemeinen Bereitschaftsdienst mit geringen Abweichungen aufgehen. Das kann man wollen, man kann es aber nicht ehrlichen Herzens als Verbesserung verkaufen. Seit einigen Wochen organisiert die Gesundheits-VersorgungsGesellschaft des Landes diese Not- und Bereitschaftsdienste. Was dazu geführt hat, dass der Kinder- und Jugendärztliche Notdienst gleich ausfiel und es vorerst auch nicht gelungen ist, das eigene Kinderärztliche Telefon, wie es laut Gesundheitsplattform-Beschluss „angestrebt“ wird, auch zu realisieren. Es fehlt nun auch an konkreten Informationen für die Bevölkerung, etwas das selbstverständlich war, solange Ärztekammer und Ärzteschaft die praktische Umsetzung in Händen hatten – also bis Ende März. Das gilt ähnlich auch für den Ärztenotdienst Graz. Wobei die Probleme gar nicht so sehr die Ärztinnen und Ärzte direkt betreffen, sondern die Bevölkerung. Die muss damit leben, dass offenbar keiner so genau weiß, wie viele sinnvolle Hausbesuche nicht stattfinden, weil am Telefon 1450 Dienst nach Vorschrift gemacht wird. Wenn dann ab Juni der notärztliche Dienst zum Teil in der Freizeit der Notdienst machenden Spitalsärztinnen und -ärzte (ein Kniff zur Umgehung des Krankenanstaltenarbeitszeitgesetzes (KA-AZG)) gemacht werden soll, droht neuer Druck. Schon jetzt kündigen noch aktive Notärztinnen und -ärzte an, in der neuen Struktur nicht mehr mitmachen zu wollen. Ärztinnen und Ärzte in Ausbildung dürfen das außerhalb ihrer KAGes-Tätigkeit gar nicht. Ärger und Verwirrung sind groß. Wie ließe sich das lösen? Durch Zuhören, durch Dialog. Das ist anfangs zwar anstrengend. Führt aber zu klugen Ergebnissen für die Steirerinnen und Steirer. Dr. Herwig Lindner ist Präsident der Ärztekammer Steiermark. Seit Beginn der Pandemie, also seit gut zwei Jahren, haben die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte alles getan, um die eigene Sicherheit, die Sicherheit des Ordinationspersonals und die Sicherheit ihrer Patient*innen zu gewährleisten. Durch Hygienemaßnahmen, durch Schutzmaßnahmen und selbstverständlich durch das Impfen. Das alles aus einem mehr als triftigen Grund: Nur funktionierende, sichere Ordinationen können die so wichtige medizinische Grundversorgung der Menschen in diesem Land sichern. Das wird auch dankbar anerkannt, täglich von den versorgten Patientinnen und Patienten, auch von den meisten Gemeinden. Leider vorwiegend in Sonntagsreden von der großen Politik. Die hat uns dafür jetzt – wir reden vom April 2022 – eine Verordnung beschert, die Arztpraxen ein COVID-19-Präventionskonzept vorschreibt. Etwas, das längst gelebt wird. Etwas, das deshalb auch keinen Riesenaufwand verursacht. Das Muster-Präventionskonzept für Arztpraxen, das die Österreichische Ärztekammer unmittelbar nach Bekanntwerden der Verordnung verbreitet hat, greift ja – zu Recht – weitestgehend Bekanntes und Gelebtes auf. Keine Praxis wird also ein Problem damit haben. Nur zeigt der Zeitpunkt, an dem diese „neue“ Verordnung ausgegeben wurde, die Ahnungslosigkeit, die offenbar im Gesundheitsministerium herrscht. Manche sagen, man habe dort schlicht und einfach darauf vergessen, dieses Präventionskonzept rechtzeitig zu verordnen. Aber: Auch wenn es keiner Ärztin, keinem Arzt inhaltlich etwas abverlangt, dieses Konzept zu erstellen (bitte die Vorlage benutzen), es ist doch Papierkram und kostet Zeit. Aber es ist ja nur die Zeit der Ärztinnen und Ärzte sowie des Ordinationspersonals. Die kann ja den Ministeriumsbeamt*innen egal sein. Vizepräsident Dr. Christoph Schweighofer ist Obmann der Kurie Niedergelassene Ärzte. extra Christoph Schweighofer Das sinnentleerte Präventionskonzept Eiko Meister Immer genug zu tun Die Kammerwahl ist geschlagen. Koalitionen haben sich gebildet. Positionen werden neu besetzt. Ein völlig normaler Ablauf innerhalb einer Demokratie. Das Leben hält sich aber nur bedingt an Wahlzyklen. Auch weil sich der Mainstream laufend verändert. Momentan ist aber die ärztliche Standesvertretung, organisiert in der Ärztekammer, weitab vom politischen Mainstream. Gleichzeitig kumulieren die Probleme im Gesundheitswesen. Die restriktive Personalpolitik der vergangenen Jahre wurde durch die COVIDPandemie weiter eskaliert und führt mittlerweile zu einer völligen Erosion des Spitalswesens. Die sprichwörtliche Hangrutschung steht unmittelbar bevor. Die Abrisskante ist deutlich sichtbar. Alleine schon aus der Verantwortung für die Versorgung der Bevölkerung heraus wäre es ein Zeichen, auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen zuzugehen. Themen wie Arbeitszeit, Gehalt und Mitarbeiterzufriedenheit müssen in den Vordergrund gerückt werden, will man nicht in zehn Jahren einen Zustand vorfinden, der bestenfalls ein Torso dessen ist, was wir heute als Gesundheitswesen verstehen. Ein wesentlicher Bestandteil ist auch die Ausbildung der jungen Kolleginnen und Kollegen. Soferne an den aktuellen Plänen festgehalten wird, wird mit Jahreswechsel die Anerkennung von Ausbildungsstätten inklusive der qualitativen Überprüfung der Abteilungen an das Land übergehen. Es bleibt die Hoffnung, dass die aktuellen Qualitätsstandards in der ärztlichen Ausbildung zumindest ansatzweise beibehalten werden. Die Aufgaben, die auf die neue Kurienführung zukommen, werden nicht weniger. Denn es gilt die Hangrutschung zu verhindern. Dazu bedarf es der ehrlichen Anstrengung aller Systempartner, soferne der Wille vorhanden ist, ein finanzierbares und für die Gesundheitsberufe weiterhin attraktives Gesundheitswesen erhalten zu wollen. Bekanntlich gibt es immer einen Weg, soferne der Wille vorhanden ist. Vizepräsident Dr. Eiko Meister ist Obmann der Kurie Angestellte Ärzte. intra Standortbestimmung Herwig Lindner Dialog ist anstrengend – führt dafür zu guten Ergebnissen kont a Jährlich schließen in Österreich rund 2.000 Jungmediziner*innen ihr Studium ab. Etwa 1.400 werden jährlich gebraucht, um den natürlichen Abgang zu kompensieren und die ärztliche Versorgung in allen Bereichen in Österreich sicherzustellen. Dies sieht auf den ersten Blick sogar nach einem „Überschuss“ aus, ist es aber leider nicht. Gemäß Rechnungshofbericht (Ärzteausbildung, Bericht des Rechnungshofes, Reihe BUND 2021/42) entscheiden sich insgesamt ca. 30 % der Absolvent*innen entweder dazu, das Land zu verlassen und im Ausland zu arbeiten, oder nehmen den ärztlichen Beruf nach dem Studium gar nicht oder nur verzögert auf. Die nunmehr (auf politischen Druck hin) schrittweise (moderate) Erhöhung der Studienplätze an den öffentlich-rechtlichen Universitäten löst die bestehenden Grundprobleme nicht. Gerade im niedergelassenen Bereich – und hier insbesondere im ländlichen Raum – fehlt es an attraktiven Rahmenbedingungen. Dadurch ziehen es viele Jungärzt*innen vor, im urbanen Raum – und hier vorzugsweise im Spitalsbereich – tätig zu werden bzw. sich im Ausland beruflich niederzulassen. Die überbordenden Dokumentations- und Administrationsaufgaben, die den Mediziner*innen abverlangt werden, reduzieren die Attraktivität des Ärzt*innenberufs maßgeblich. So bleibt real immer weniger Zeit für Patient*innen, was die Berufsausübung in Österreich im Vergleich zum Ausland, in welchem derartige Aufgaben zunehmend von einer gesonderten Berufsgruppe übernommen werden, zusätzlich erschwert. Ein weiteres ,wohl auch in den nächsten Jahren bestehendes gravierendes Problem, welches sich unvermeidbar auch belastend auf die ärztliche Tätigkeit auswirkt, ist der ausgeprägte Mangel an Pflegekräften. Vielfältige Themen rund um Arbeitszeitregelungen und Entlohnung tragen ihr Übriges bei. Daher kann die Lösung nicht darin liegen mehr Ärzt*innen zu „produzieren“, sondern die vorhandenen und exzellent ausgebildeten Kolleg*innen durch rasche, umfassende und kreative Maßnahmen im Land zu behalten und für eine Tätigkeit in „Mangelfächern“ zu begeistern und zu gewinnen. Die Verantwortung liegt hierbei klar bei den politischen Entscheidungsträger*innen, wobei sich die Med Uni Graz auch weiterhin konstruktiv an den Problemlösungen beteiligen wird. Univ.-Prof. Dr. Hellmut Samonigg ist Facharzt für Innere Medizin und seit 2016 Rektor der Medizinischen Universität Graz. 2 d batte d batte Hellmut Samonigg Ärzt*innen im Land behalten, nicht mehr produzieren Fotos: Pachernegg, Oliver Wolf, Elke Meister, Schiffer, Grafik: Konrad Lindner
Ærzte Steiermark || 05|2022 9 8 Ærzte Steiermark || 05|2022 Cover Die Ankündigung, an der privaten Wiener Sigmund-FreudUniversität im Rahmen eines speziel len St ipendienprogramms 20 Studienplätze für Mediziner*innen zu reservieren, die nach Studienabschluss bereit sind, zehn Jahre an einem steirischen Landeskrankenhaus zu arbeiten, löst bei ärztlichen Fachleuten Irritationen aus. Erstens kostet die Kooperation 150.000 Euro pro Absolvent*in. Zweitens werden die ersten fertigen Mediziner*innen frühestens in sechs Jahren zur Verfügung stehen. Und es sind nur 20, was angesichts von – jetzt – der KAGes jedenfalls mehr als 150 fehlenden Ärzt*innen ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Und diesen Tropfen wird es eben erst 2028 geben können. Die Kleine Zeitung sprach von einer „merkwürdigen Initiative“. „Es ist die teuerste Art, zusätzliche Ärzte zu requirieren“, kommentierte Redakteur Norbert Swoboda. Für Gesundheitslandesrätin Juliane Bogner-Strauß ist es hingegen „sehr erfreulich, dass wir neben den steirischen Ausbi ldungsmögl ichkeiten nun auch mit dem Stipendienprogramm an der SigmundFreud-Privatuniversität Wien einen weiteren starken Partner gewonnen haben“. „Wir bilden nicht zu wenige Ärzte aus, sondern wir behalten zu wenige im System. Es muss also attraktiver werden, in der Steiermark eine signierte Ärztekammerpräsident Michael Sacherer als wichtigstes Ziel. Zusammengefasst: Die Erhöhung der Zahl der Studienplätze zur Linderung des Ärztemangels ist vor allem eine Maßnahme, der Landespolitiker*innen einiges abgewinnen können (dass der Bund die Kosten dafür zu tragen hat, sei der Ordnung halber angemerkt). Aber sie wird in Maßen kommen – aktuell gibt es knapp 1.600 Startplätze an den Medizin-Unis von Graz, Wien und Innsbruck sowie der Linzer Fakultät; 2028 sollen es 2.000 sein. Ob das hilft? Dass die Vorgangsweise ein wenig daran erinnert, Wassermangel dadurch entgegenzutreten, indem man immer mehr Wasser durch ein marodes Leitungsnetz pumpt statt die Lecks zu schließen, können auch wohlmeinende Expert*innen kaum negieren. Und: Lecks im Ärztesystem gibt es genug. Manche sind gesellschaftlich und nicht durch die Medizin bedingt, wie etwa die gesunkene Bereitschaft, ohne Rücksicht auf das Privatleben in der Arbeit aufzugehen. Manche Probleme sind aber sehr wohl Medizinsystem-bedingt. Wenn fast vier von zehn Medizin-Absolvent*innen nie in der österreichischen GeAusbildung zum Arzt für Al lgemeinmedizin oder zum Facharzt zu machen und danach eine Ordination mit Kassenvertrag zu übernehmen“, gibt die Stradener Allgemeinmedizinerin und designierte NiedergelassenenKurienobmannstellvertreterin in der Ärztekammer Steiermark, Gudrun Zweiker, zu bedenken. „Das Problem sind die unattraktiven Arbeitsumfelder im Spital und den Kassenordinationen. Mehr Absolvent*innen führen daher zu keiner Abhilfe“, sekundiert auch Angestellten-Kurienversammlungsmitglied Gerhard Posch (seines Zeichens Assistenzarzt an der Urologie des LKH-Standorts Leoben und designierter Kurienobmann). Selbst ÖVP-Nationalratsabgeordneter Josef Smolle – selbst Arzt und früherer Medunisundheitsversorgung ankommen (so eine Statistik des Bundesr e c h nu ng s - hofs), wenn Är z t *i nnen in Ausbildung laut einer Ärztekammerumfrage sich mehr als ein Drittel ihrer Arbeitszeit mit Verwaltungsaufgaben herumschlagen müssen statt Patient*innen zu betreuen, zeigt sich das Kernproblem: Es mangelt nicht an ärztlichen Köpfen, es mangelt an ärztlicher Arbeitszeit, die erkennbar der Bevölkerung zugutekommt. Susanne Rabady und Stephanie Poggenburg (Österreichische Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin, ÖGAM) formulieren es so: „Das Problem besteht nicht darin, dass es zu wenig Interesse am Medizinstudium gibt, immerhin bewerben sich zwölf Personen auf einen Studienplatz. Daher ist damit zu rechnen, dass bei weiterer Erhöhung der Studienplätze Graz Rektor – ist skept i sch: „Für Ä r z t * i n n e n besteht ein europaweiter Arbeitsmarkt und Österreich ist bereits jetzt ‚Netto-Exporteur‘ ausgebildeter Mediziner*innen. Daher brauchen wir in erster Linie Maßnahmen, um die Absolvent*innen im Land zu halten“, sagt er. Stipendien, verbunden mit der Selbstverpf lichtung der Absolvent*innen, etwa in einem öffentlichen Spital oder an einer kassenärztlichen Stelle anzudocken, lehnt er zwar nicht ab, betont aber, dass diese vorzugsweise über „Incentives für die Studierenden an öffentlichen Universitäten“ geregelt werden sollten. Auch Eiko Meister, der amtierende steirische Angestel lten-Kurienobmann und Ärztekammer-Vizepräsident bis zum 18. Mai 2022, ist zurückhaltend: Ob „der Stipendienweg wirklich erfolgreich ist, bleibt offen. Was dagegen spricht, ist eine flexible Lebensplanung und -führung“, wendet er ein. „Die Absolvent*innen im Land halten“ nennt auch der Betriebsratsvorsitzende an der Medizinischen Universität Graz, Internist und deder gleiche p r o z e n t u a - le Anteil der Studierenden nach dem S t u d i u m auch nicht im österreichischen Gesundheitssystem bleibt. Dies erzeugt nur weitere immense Kosten, wenn man bedenkt, dass ein Medizinstudium ungefähr Kosten von einer halben Million Euro verursacht.“ Auch Vinzenz Harrer und Josef Harb, die steirischen ÖGKLandesstellenausschuss-Vorsitzenden, sehen das Problem: „Grundsätzlich haben wir nicht zu wenige Ärzte in Österreich, sondern zu wenige Ärzte, die im öffentlichen Gesundheitssystem arbeiten. Unsere Bemühungen müssen in diese Richtung gehen, dass diese versorgungswirksam werden.“ Dennoch wollen sie mehr Studienplätze: „Die Anzahl … zu erhöhen wäre aber jedenfalls wünschenswert, um den gesunden ‚Wettbewerb‘ um Kassenstellen wieder anzuregen.“ Richard Brodnik, der Obmann der Jungen Allgemeinmedizin, bezeichnet die Erhöhung der Studienplatz-Zahl als „extrem ineffizient“. Es müssten Ausbildungsqualität und die Arbeitsbedingungen in der Niederlassung attraktiviert werden, „damit diese Personen auch versorgungswirksam tätig werden und nicht ins Ausland oder in die Privatmedizin flüchten“. Die ebenfalls in der Jungen Al lgemeinmedizin akt ive Har tberger Kassenärzt in Reingard Glehr hält nur eine Erhöhung um zehn Prozent für „sinnvoll“. Darüber hinaus würde „die Ausbildungsqualität durch eine notwendige Studierenden-Gruppenvergrößerung bei Lehreinheiten wahrscheinlich sinken“. Außerdem löse die Erhöhung der Zahl der Studienplätze keines der Strukturprobleme (z. B. Überversorgung in Ballungsgebieten, zu wenig Ärzt*innen im ländlichen Bereich, viele Fach- und zu wenige Allgemeinärzt*innen), gibt sie zu bedenken. Einen wichtigen Aspekt bringt Allgemeinmedizin-Obmann Alexander Moussa ein. Mehr Studienplätze lehnt er zwar strikt ab, „aber die Selektionsmechanismen zu Beginn des Fotos: Bergmann, Grabner, Schiffer, Meduni Graz, Meister, Privat, Schmickl, Ranger Rezepte gegen den Ärztemangel Hellmut Samonigg St. Poggenburg S. Rabady Michael Sacherer Herwig Lindner Eiko Meister Christoph Schweighofer Alexander Moussa Vinzenz Harrer Josef Harb Gudrun Zweiker Gerhard Posch Josef Smolle Reingard Glehr Andrea SiebenhoferKroitzsch Rezepte gegen den Ärztemangel gibt es viele. Aber welche funktionieren und welche nicht? Wir haben Expertinnen und Experten um ihre Einschätzung gebeten. Foto: Adobe Stock Welche Rezepte gegen den Ärztemangel halten Expertinnen und Experten, InstitutionenVertreter*innen und Betroffene für die richtigen? Und welche erscheinen ihnen nicht hilfreich? Die Antworten sind im Text zu finden. Richard Brodnig Cover
Ærzte Steiermark || 05|2022 11 10 Ærzte Steiermark || 05|2022 cover cover S t u d i - ums , s o l l t e n mo d i - fiziert werden, um den Kadergedanken zu reduzieren und die intrinsisch humanistischärztliche Grundhaltung sowie Motivation zum ärztlichen Beruf wieder zu schärfen!“ Und Stipendien? Hier will das Land Steiermark über den Gesundheitsfonds ja neun Millionen Euro bereitstellen. Die ärztlichen Fachleute halten das weitgehend für eine Fehlinvestition: „Die wirkliche h o c h wie frühe r . I n s b e - sondere die finanzielle Abwicklung ist deutlich weniger aufwändig als in einer Wahlarzt-Ordination. Interessant ist auch, dass die Personen in Kassenarztordinationen, die diese so überbordend dargestellte Bürokratie erledigen – das sind aber meist nicht die Ärztinnen und Ärzte! –, diese gar nicht so überbordend wahrnehmen, wie wir aus persönlichen Gesprächen wissen“, sagen sie. Auch für Kassenallgemeinmedizinerin Glehr ist die Bürokratie nicht der „Kern des Problems des Ärztemangels“. Richard Brodnig meint dagegen, der Bürokratieabbau attraktiviere die Arbeitsbedingungen „grundsätzlich“. Ganz klar ist die Position von Arzt und Politiker Smolle. Für ihn ist der Bürokratieabbau „einer der wichtigsten Punkte“. „Wenn Organisation, Dokumentation und Qualitätssicherung einer medizinischen Tätigkeit mehr Zeit in Anspruch nehmen als die Tätigkeit selbst, dann ist das nicht nur eine Vergeudung von Personalressourcen. Es macht auch die Arbeit weniger attraktiv und befriedigend, als wenn sich Ärztinnen und Ärzte den Großteil ihrer Arbeitszeit ihrer ureigensten Tätigkeit für Problematik besteht darin, dass die Arbeit im öffentlichen Gesundheitssystem (Krankenhaus, Kassenstel le) so unattraktiv (gemacht) worden ist, dass junge Kolleg*innen andere Arbeitsmöglichkeiten bzw. die Arbeit in anderen Ländern bevorzugen“, warnen ÖGAM-Präsidentin Rabady und Präsidiumsmitglied Poggenburg. Harb und Harrer befürworten dagegen Stipendien, „insbesondere auch die Schaffung von bevorzugten Studienplätzen für jene Studierenden, die sich verpflichten, eine bestimmte Zeit im öffentlichen Gesundheitswesen zu arbeiten, insbesondere eine Kassenstelle anzunehmen“. Eine klare Ablehnung kommt von JAMÖObmann Brodnig: „Solche Verpflichtungen haben immer Möglichkeiten zum Ausstieg und das würden Personen ausnutzen. Außerdem kann ein*e Studienanf änger*in oft einfach noch nicht sagen, welches Fachgebiet ihn/sie interessiert.“ „Was geschieht mit denen, die sich statt zur Erfüllung der Stipendienkriterien doch für ein Leben in der Stadt oder im Ausland entscheiden?“, fragt Glehr und schließt an: „Mehr Landärzt*innen wird es erst geben, wenn diese für ihre Arbeit bessere Bedingungen bekommen.“ Der amtierende steirische Ärztekammerpräsident Herwig Lindner bezeichnet die aktuelle Stipendienübereinkunft mit einer Wiener Privatuniversität als „Panikvereinbarung“. Besser wäre es gewesen, die Kooperation mit der Medizinischen Universität Graz zu vereinbaren und dafür zu sorgen, dass das Steuergeld in Graz bleibt. Bürokratie Wie aber kann man die Attraktivität der Arbeit im öffentlichen Gesundheitssystem wieder steigern? Der Schlüssel scheint für nicht wenige die Bürokratie zu sein. Der Abbau ist für Zweiker „definitiv ein besonders wichtiges Ziel“. Die Allgemeinmedizinerin hat auch konkrete Vorschläge: „Anzustreben wäre eine diesbezügliche Servicefunktion der Ärztekammer, aber auch der Partner im Gesundheitssystem – Krankenhäuser, Kassen –, die im Allgemeinen einen großen bürokratischen Staff haben, der große Anforderungen stellt, aber für die Niedergelassenen mehr Hilfestellungen bieten könnte.“ Ähnlich Rabady und Poggenburg: „Die zunehmende Bürokratisierung ist sicher einer Herausforderung, sicher aber zu Teilen auch notwendig. Wünschenswert wäre eine Unterstützung bei bürokratischen Arbeiten, auch im Hinblick auf die Kommunikation mit den Sozialversicherungsträgern. Unterstützung, wie dies in den PVEs durch Manager erfolgt, sind sicher für alle Praxisformen wünschenswert“, sagen sie. Posch andererseits kritisiert Infrastrukturmängel, „zum Beispiel fehlende Stationssekretariate“. Anders sehen das die ÖGKLandesstellenausschuss-Vorsitzenden Josef Harb und Vinzenz Harrer: „Die Bürokratie in einer Kassenpraxis wird gemeinhin überschätzt. Durch e-card, elektronische Krankschreibung und die automatisierte Abrechnung ist die Verwaltungstätigkeit in einer Kassenpraxis längst nicht so die Patientinnen und P a t i e n t e n w i d m e n könnten“, argumentiert er. „Die überbordenden Dokumentations- und Administrationsaufgaben, die den Mediziner*innen abverlangt werden, reduzieren die Attraktivität des Ärzt*innenberufs maßgeblich“, warnt auch der Rektor der Medizinischen Universität Graz, Hellmut Samonigg (siehe Kommentar KONTRA auf Seite 6). So bliebe real immer weniger Zeit für Patient*innen, „was die Berufsausübung in Österreich im Vergleich zum Ausland, in welchem derartige Aufgaben zunehmend von einer gesonderten Berufsgruppe übernommen werden, zusätzlich erschwert“. Niemand habe etwas gegen notwendige Dokumentation und sinnvolle Verwaltung, betont auch Lindner. Aber: „Was zu viel ist, ist zu viel. Bürokratie verursacht Bürokratie – das besagt das Parkinson’sche Theorem“, sagt er. Und weiter: „Sinnlose Bürokratie gehört weg. Patientenferne Schreibtischtäter*innen wissen nicht, was notwendig ist und was nicht.“ Das Übermaß an Bürokratie sollte durch „mehr Service der Ärztekammer“ abgefedert werden, nimmt der künftige Ärztekammerpräsident Sacherer auch die eigene Institution in die Pflicht. Bezahlung „Zumindest sol lte sichergestel lt sein, dass Ärzt*innen aller Fachrichtungen gleiche Einkommensverhältnisse haben“, verlangen Rabady und Poggenburg. Solange Arbeitsfelder außerhalb des öffentlichen Gesundheitssystems so viel attraktiver seien (und auch gemacht würden), werde das Problem weiter existieren. Meister ergänzt: „Zumindest innerhalb Österreichs sollten die Gehaltsansätze nahe beieinander liegen. Momentan geht die Schere aber weiter auf. Das Gehalt spielt immer eine Rolle bei Fragen der Attraktivität.“ Zweiker spricht sich für eine „bessere und treffsicherere Korrelation zur vorhandenen Qualifikation – Ultraschall, Zusatzausbildungen, DMP … – und zur erbrachten Leistung“ aus. Kein Problem können die steirischen ÖGK-Spitzen Harb und Harrer orten: „Die Verdienstmöglichkeiten durch einen Kassenvertrag sind gut. Beispielsweise erwirtschaftet eine Hausarztpraxis mit allen Kassenverträgen in der Steiermark im Durchschnitt einen Umsatz von ca. EUR 300.000,–, sodass nach Abzug von Sozialversicherung und (Personal-)aufwendungen von einem Einkommen vor Steuern in der Höhe von rund 140.000 Euro bei einer Vollzeittätigkeit ausgegangen werden kann. Dies geht leider immer wieder in der Diskussion um Einzeltarife unter. Abhilfe könnten pauschale Honorierungssysteme mit Grund- und Fallpauschalen schaffen.“ Ein Ja zu besserer Bezahlung kommt von Smolle, „allerdings“ – so schränkt er ein – „in erster Linie mit dem Ziel der Ausgewogenheit der Verdienstmöglichkeiten im öffentlichen Krankenhaus und im kassenärztlichen Bereich im Vergleich zur Privatmedizin“. Die sei „einer der wesentlichen Hebel, um der Entwicklung einer ZweiklassenMedizin entgegenzusteuern“. Ein uneingeschränktes Ja zu besserer Bezahlung kommt hingegen von Spitalsarzt Posch. Konkret wird der Allgemeinmediziner und amtierende steirische Kurienobmann der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, Christoph Schweighofer: Die Honorare von Kinderärzt*innen müssten denen der Internist*innen angepasst werden; Kassengynäkolog*innen müssten so gut honoriert werden, dass sie locker das Einkommen wahlärztlich tätiger Kolleg*innen erreichen. Kassenärztlich tätigen Al lgemeinmediziner*innen müssten die gleichen finanziellen Zuschüsse gewährt werden, wie sie für eine PVE vorgesehen sind. Die Fortzahlung eines Basisbetrages im Krankheitsfall oder Urlaub müssen Mehr Studienplätze Stipendien mit Selbstverpflichtung Gezielte postpromotionelle Ausbildung Bessere Bezahlung „Die überbordenden Dokumentations- und Administrationsaufgaben, die den Mediziner*innen abverlangt werden, reduzieren die Attraktivität des Ärzt*innenberufs maßgeblich.“ Hellmut Samonigg Wie bekämpft man den Ärztemangel? Andrea Siebenhofer-Kroitzsch hat gemeinsam mi Florian L. Stigler, Carolin R. Zipp, Klaus Jeitler und Thomas Semlitsch erforscht, welche Methoden zur Bekämpfung des Ärztemangels international diskutiert werden. Das Ergebnis wurde 2021 im Journal Family Practice veröffentlicht. Es ging – angesichts des Autor*innen-Teams und des Journals nicht überraschend – nur um den Mangel an niedergelassenen Allgemeinmediziner*innen. Die Studie bewertete die Maßnahmen nicht, sondern ging der Frage nach, welche in der wissenschaftlichen Literatur behandelt wurden. Zehn Maßnahmenkataloge (Policy Documents) und 32 Überblicksarbeiten wurden herangezogen. 12 (11,8 Prozent) der Maßnahmen widmeten sich dem Universitätszugang, 11 (10,8 Prozent) der unversitären Ausbildung, 17 (16,7 Prozent) der postpromotionellen AllgemeinmedizinAusbildung, 25 (25,5 Prozent) der Arbeitserfahrung in der Allgemeinmedizin, 12 (11,8 Prozent) der Funktion der Politik, 8 (7,8 Prozent) den Rekrutierungsproblemen, 10 (9,8 Prozent) der Produktivitätssteigerung und 6 (5,9 Prozent) der Erhöhung der Zahl der Allgemeinmediziner*innen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Thema in vielen Staaten auf der Agenda steht und es ganz offensichtlich die eine alle Probleme lösende Maßnahme nicht gibt.
Ærzte Steiermark || 05|2022 13 12 Ærzte Steiermark || 05|2022 cover cover ebenfalls umgesetzt werden. Mou s s a nennt die „Attraktivierung der Al lgemeinmedizin/ PV („Fach“-Ärztin/-Arzt für Allgemeinmedizin), Zusammenarbeitsformen und Honorarmodelle ohne Limite und Degressionen, Definition des Leistungsspektrums sowie moderne medizinische Leistungen – etwa Sonographie und POC-Diagnostik – als notwendige Schritte in der Al lgemeinmedizin. Zudem verlangt er „Schwerpunktmaßnahmen bei den primärversorgenden Fächern Gynäkologie und Kinder- und Jugendheilkunde sowie dringliche Tarifanpassung der Impf- und MKP-Tarife“. Vor allem für die hausärztliche Primärversorgung wäre eine bessere Honorierung entscheidend, ist Brodnig überzeugt. Derzeit würden „nicht einmal alle essentiell notwendigen Untersuchungen – EKG, Blutbild, CRP, D-Dimer – zur Notfalldiagnostik oder zur gezielten Antibiotikatherapie österreichweit einheitlich vergütet“. Sacherer verlangt „eine national wettbewerbsfähige und marktkonforme Bezahlung“ – im Spital genauso wie in der Niederlassung. Lindner hält die bessere Honorierung bzw. Entlohnung ebenfalls für „dringlich“. Und ergänzt: „Jeder Gesundheitsökonom weiß, jeder Politiker ahnt, dass unkoordiniert im System umherirrende Patienten teuer und belastend sind.“ Eine PatientenstromUND Ä r z t e und s icher ein hoher Attraktivitätsfaktor für einen Standort“. Ebenso betrachtet Posch eine angemessene Kinderbetreuung als notwendig. Für Sacherer sind an die Arbeitszeit angepasste Kinderbetreuungsangebote ebenfal ls „unbedingt“ erforderlich. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie werde in Zukunft eine deutlich größere Rolle spielen, ergänzt Meister. Viele europäische Staaten würden bereits zeigen, wie es gehe. „Der Aufholbedarf in Österreich ist diesbezüglich enorm“, sagt er. Online-Angebote Hier geht es einerseits um die auch telemedizinische Versorgung von Patient*innen und andererseits um Online-Fortbildungsangebote. Für Smolle sind mehr Online-Angebote zwar wünschenswert, aber sie würden die Probleme „nicht entscheidend lösen können“. Harb und Harrer sind dagegen der Meinung, dass Digitalisierung in der ärztlichen Versorgung in der Zukunft forciert werden müsse. Erste Beispiele der ÖGK seien die telemedizinische Behandlung (visit-e) und das Pilotprojekt Teledermatologie in den Bezirken Liezen und Leibnitz. Diese dienten sowohl dem Service an den Patient*innen als auch der Entlastung der s teuerung sei daher u nu mg ä n g - lich. Nachsatz: „Jedoch fehlt der Politik der Mut, dieses Problem anzupacken.“ Eine Verbesserung der Rahmenbedingungen ist – wenig überraschend – für alle sinnvoll. Aber was ist darunter zu verstehen? Flexiblere Arbeitszeiten Flexiblere Arbeitszeiten sind für Rabady und Poggenburg „insbesondere im Hinblick auf Work-Life-Balance und Familien“ wesentlich. Sie würden aber auch „für ältere Kolleg*innen zunehmend interessant“. Höhere Flexibilität halten sie „bei der Gestaltung neuer Zusammenarbeitsformen im Primärversorgungsbereich abseits der strikten Modelle von PVEs und Netzwerken“ für wünschenswert. Dafür sollte es auch „deutlich mehr Unterstützung seitens der Sozialversicherungsträger in der Umsetzung und Ermöglichung solcher an die regionalen Gegebenheiten und Versorgungsnotwendigkeiten angepassten bottom-up-gestalteten Modelle geben“. Dazu sollte auch die Schaffung einer eigenen Anlaufstelle für interessierte Kolleg*innen gehören. Für den Bereich der Landeskrankenhäuser und sonstigen Fonds-Spitäler verlangt Sacherer nur mehr „freiwillige Nachtdienste“ ab dem Alter von 60 Jahren. Als BetriebsÄrzt*innen. „Der Aus - bau von EHealthangeboten müsse nicht zwingend zu einer Attraktivierung führen, sondern könne auch einen ‚aufreibenden’ Mehraufwand bringen“, wendet Schweighofer ein. Spezifische Angebote wie die Kontrolle des Zucker-Tagesprofils, BlutdruckProtokoll o. ä. auf Anfrage zu jeder Tages- und Nachtzeit würden eine Rund-um-die Uhr-Verfügbarkeit für die Patient*innen suggerieren. Online-Angebote müssten jedenfalls „qualitätsgesichert und zertifiziert“ sein, verlangt Lindner. Jedes Online-Angebot, das von der Öffentlichen Hand oder der Sozialversicherung bezahlt werde, müsse „einen Nutzen-Nachweis erbringen, wie es bei Medikamenten der Fall ist“. „Mehr Online-Angebote bei überregionalen Fortbildungen der Ärztekammer“ wi l l Zweiker als Service für die Ärzt*innen. Postpromotionelle Ausbildung Der Ausbau gezielter postpromotioneller Ausbildung ist für Zweiker „jedenfalls sinnvoll und wichtig“ und eine spezifische Ausbildung für die angestrebte spätere berufliche Position „definitiv notwendig“. Als Beispiele nennt sie für den Bereich der niedergelassenen Al lgemeinmediziner*innen Praxismanagement und -organisation, Anforderungen im Rahmen eines Hausberatsvorsitzender hat er das im Bereich der Medizinischen Universität Graz bereits erreicht. Es ist also möglich. Ein unbedingtes Ja zu mehr Flexibilität kommt auch von Gerhard Posch. Ebenso sieht Smolle darin eine Chance „in erster Linie als f lexible Kooperat ionsmodel le im niedergelassenen kassenärztlichen Bereich: Anstellung von Ärzt*innen bei Ärzt*innen, Gruppenpraxen, Jobsharing, Teilzeitlösungen, Primärversorgungszentren und -netzwerke“. Für Glehr ist das „sicher sinnvoll“, es wären aber Organisationsprobleme zu lösen. Insbesondere sei die Arbeitsleistung im stationären Bereich neu zu denken: „Dass alle Arbeit am Vormittag zu verrichten ist, könnte sicher hinterfragt werden.“ Harb und Harrer halten viele Probleme für bereits gelöst: „Einzelkämpfertum in einer Kassenpraxis muss nicht mehr sein.“ Mittlerweile gebe es verschiedene Modelle: Gruppenpraxen, Primärversorgungseinheiten, Erweiterte Stellvertretung, Jobsharing, Nachfolgepraxen. Seit Oktober 2021 sei in der Steiermark auch die Anstellung von Ärzt*innen in Ordinationen möglich. Somit sei eine Kassenpraxis mit Familienleben und Teilzeittätigkeit vereinbar. Diese Modelle müssten in Zukunft bedarfsgerecht weiterentwickelt und angepasst werden. Erreichbarkeit Harb/Harrer verweisen auf bereits Erreichtes: Die Verlegung suchs, Nutzung des orientierenden Ultraschalls, POCTLabordiagnostik, Risikostratifizierung von Patient*innen, Vermeidung der Polypharmazie bei gleichzeitiger Verhinderung der therapeutic inertia, eventuell Hausapothekenmanagement, diverse Ansuchen, Dokumentationen und vieles mehr. Bewährt hätten sich die Hybrid-Formate der Fortbildung. Das Interesse für Allgemeinmedizin müsse „schon im Studium geweckt und das Image der Allgemeinmedizin vor allem bei fachärztlichen Kollegen verbessert werden“, sagt Schweighofer. Lindner will den Ausbau der Lehrpraxis und Mentoring-Programme. Posch verlangt die Förderung von Pflichtfortbildungen durch die Träger im Spitalsbereich. Schweighofer weist auch auf die Unterstützungsmöglichkeiten der Gemeinden „in allen Bereichen“ hin wie leistbare Ordinationsräumlichkeiten, adäquate Arbeitsplätze für Partner*innen, KinderBetreuungsplätze, das Angebot von Wohnmöglichkeiten, etwa durch die Zurverfügungstellung eines Baugrundes und Hilfe beim Eigenheimbau, um Ärzt*innen an eine Region zu binden und dort zu halten. Meister adressiert „die Wertschätzung des Arztberufes bei den Systempartnern“. Solange Ärzt*innen a ls Kostenverursacher*innen gesehen werden und nicht als unersetzbarer Beruf im Gesundheitswesen, werde sich an der Abwanderung nichts ändes Lebensmittelpunktes sei keine Voraussetzung für die Führung einer Kassenpraxis. Auch die meisten Orte in peripheren Regionen wären vom Großraum Graz verkehrsmäßig gut erreichbar. Rabady und Poggenburg wenden dagegen ein, dass es „gerade in abgelegenen Gebieten Österreichs, von denen es eine große Anzahl gibt“, sicher notwendig sei, Maßnahmen zu setzen, die die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes erleichtern. Zu bedenken sei aber auch, dass eine zunehmende Zentralisierung medizinischer Versorgung (Zusammenlegung von Krankenhäusern, größere ambulantere Einheiten) auch dazu führte, „dass unsere Patient*innen – besonders ältere und sozial Schwächere – uns nicht mehr ausreichend gut erreichen können“. Auch Sacherer hält Erreichbarkeitsprobleme für relevante Hemmnisse und ist davon überzeugt, dass es konkreter Lösungen vor Ort bedürfe. Kinderbetreuung Für Smolle ist eine arbeitszeitkonforme Kinderbetreuung „ein wichtiger Punkt zur Attraktivierung der Arbeit, nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer, die sich zunehmend ebenfalls ihrer familiären Aufgaben bewusst werden“. Auch für Rabady und Poggenburg ist die Lösung des Kinderbetreuungsproblems „immens wichtig für Ärztinnen dern. Abseits aller Probleme bemüht Smolle sich um einen positiven Zugang: „Ärztin/ Arzt ist ein wunderbarer, verantwortungsvoller, höchst angesehener Beruf mit in der Regel sicherem Arbeitsplatz, verlässlichem Einkommen und guter Zukunftsperspektive. Wir sollen und werden alle unseren Teil dazu beitragen, das berufliche Umfeld weiter positiv zu entwickeln.“ Um Ärzt*innen nach dem Studium für die Gesundheitsversorgung zu erhalten, sei es auch wichtig, „die Jüngsten zu entlasten“, etwa dadurch, dass die Arztprüfung günstiger wird, sagt Sacherer. Moussa nennt ganz grundsätzlich die „engere Kooperation zwischen intra- und extramuralem Bereich sowie ergänzenden medizinischen Angeboten (Rettungs- und Ärztenotdienst, Sanitätsbehörden, NGOs …), um eine optimale entlastende Verschränkung in allen Bereichen und mehr Arbeitszufriedenheit und Resilienz zu erzielen“, als Mittel gegen den Ärztemangel. Posch sagt aus spitalsärztlicher Perspektive, dass es notwendig sei, „Ambulanzen durch Stärkung des niedergelassenen Bereiches zu den Randzeiten und Wochenenden zu entlasten“. Lindner forder t generel l „mehr Kooperation und Ehrlichkeit in der Gesundheitspolitik“. Dazu gehöre auch eine „ehrliche Einbeziehung der Systempartner in die Entscheidungsprozesse“. Weniger Bürokratie Bessere Arbeitsbedingungen „Derzeit werden nicht einmal alle essentiell notwendigen Untersuchungen … österreichweit einheitlich vergütet.“ Richard Brodnig „Zu bedenken ist, dass eine zunehmende Zentralisierung medizinischer Versorgung … auch dazu führt, dass unsere Patient*innen – besonders ältere und sozial Schwächere – uns nicht mehr ausreichend gut erreichen können.“ Susanne Rabady, Stephanie Poggenburg
Fotos: Tax arzt im besonderen dienst arzt im besonderen dienst ich will Erfolg haben. Chirurgen sind keine Zauberer, sie können nur der Natur auf die Sprünge helfen. Oftmals geht es nicht ohne Operation.“ Diese Umsicht begleitet ihn auch bei der Gartenarbeit, bei der er sich noch nie eine Handverletzung zugezogen hat. Und das nicht etwa, weil er nicht tatkräftig zupacken würde. Als er beschlossen hat, seine geschotterten Gartenwege durch ein Metallband von der Rasenkante zu trennen, griff er auch selbst zumWinkelschleifer. Nur das schwere Heben – beispielsweise die Bauteile seiner 300 Kilo schweren Steinlaterne im japanischen Garten – überlässt er mittlerweile anderen. Heilung im Gesunden Ein „Gefühl für´s Leben“, so ursula scholz „Das Ergebnis muss passen.“ Nach dieser Devise operiert der Unfallchirurg Luis Tax seit mehr als vier Jahrzehnten und gestaltet gemeinsam mit seiner Frau unter professionel ler Unterstützung seit gut dreißig Jahren kontinuierlich seinen Garten am Weingartsberg. Sechstausend Quadratmeter Grund auf einem Kögerl über Bärnbach, in knapp 800 Metern Seehöhe mit Blick auf die Gleinalm haben sich mit der Zeit zu seinem ganz persönlichen Seelenraum entwickelt. „Als ich den Grund gekauft habe, war mir klar: Da muss man was draus machen – und ich will einen Garten, der die umgebende Landschaft mit einbezieht“, erzählt Tax von den Wurzeln seiner gärtnerischen Leidenschaft. „Wir haben Hügel und Buchten gestaltet, aber keine Wunden geschlagen“, betont er. Beraten wurde das Ehepaar Tax vom „Garten-Phi losophen“ Alfred Zenz, der gleich zu Beginn das außergewöhnliche Mikroklima am Grundstück anhand des Bewuchses diagnostiziert hat: Wo von Natur aus Steinpilze, Hainbuchen und Edelkastanien wachsen, so Zenz, sei das Klima ähnlich wie im Südtiroler Meran. Dieser Erkenntnis verdankt der Tax´sche Garten seine südländische Note mit Feigen, digt hat. „Während meiner aktiven Berufslaufbahn habe ich nicht einmal einen Kaffee getrunken“, erzählt er. „Damit ich immer eine ruhige Hand habe, egal wann ich gebraucht werde.“ Heute gönnt er sich hin und wieder einen Cappuccino – obwohl der mittlerweile zum Obermedizinalrat Ernannte auch im Alter von 73 Jahren noch eine Privatordination führt und im Sanatorium operiert. Allerdings weiß er da im Vorhinein, wann eine OP ansteht. Ab und an assistiert ihm sein jüngerer Sohn, der kürzlich sein Medizinstudium beendet hat; der ältere befindet sich bereits in der Facharztausbildung für Orthopädie und Traumatologie. Der Natur auf die Sprünge helfen Zwölf-Stunden-OPs wie seinerzeit bei der Daumenrekonstruktion könnte er heute keine mehr durchführen, konstatiert Tax, obwohl er sich weiterhin fit hält. Präzises Arbeiten ist für ihn nach wie vor die Mindestanforderung. Wünscht jemand von ihm eine Behandlung, die er nicht seinen hohen Ansprüchen entsprechend durchführen kann, lehnt er ab. „Ich sage stets zu meinen Patienten: Sie wollen Erfolg haben – und Eukalyptus und Zypressen, die hier in Harmonie neben den alpinen Zirben und Latschen gedeihen. Noch heute dauert auf diesem Fleckchen Erde die Phase der Entfaltung an, obwohl Tax schon jetzt eine Stunde lang seine Gartenanlage durchschreiten kann, ohne einen Weg zweimal gehen zu müssen. Grüner und grauer Daumen So sehr Tax Pflanzen liebt, so sehr haben es ihm daneben auch die Steine als gestalterisches Element angetan. Er verfügt sozusagen nicht nur über einen grünen, sondern auch über einen grauen Daumen. Im Laufe des heurigen Jahres wird eine weitere Trockenmauer entstehen; sechs Tonnen Felsbrocken sollen unter Tax´ Argusaugen platziert werden. Im Laufe der Jahre hat er nämlich nicht nur seine Freude am Planen und Plänezeichnen entdeckt und kultiviert, sondern zudem erkannt, dass sein in der Chirurgie verfeinertes räumliches Vorstellungsvermögen auch in der Konstruktion von Tax, sei sowohl in der Chirurgie als auch im Garten vonnöten. „Heilung ist nur im gesunden Gewebe zu erzielen – das muss man erkennen können, ob da noch etwas wird oder nicht. So ist es auch bei den Pflanzen.“ Auch sei der Erdboden wie das menschliche Gewebe „herzurichten“, bevor man mit der eigentlichen Arbeit beginnen könne. „Als Unfallchirurg darf man keine Mimose sein“, lautet eine etwas anders geartete Verbindung, die er zwischen seinen beiden Arten von Expertise herstellt. „Unfallchirurgen haben Respekt Wandelnder im Seelenraum zwischen Zypressen und Zirben Der weststeirische Unfallchirurg Luis Tax hat sich nicht nur auf Daumenrekonstruktionen spezialisiert, sondern auf dem heimischen Anwesen über Bärnbach auch seinen grünen Daumen entdeckt. Und wenn man es genau nimmt, zudem seinen grauen Daumen. Steinmauern von Nutzen ist. Seine erste Begegnung mit der Materie Stein war jedoch eher prosaischer Natur: Beim Aushub für das Wohnhaus fielen große Mengen an Gestein an. Wunderschöne naturgeformte Exemplare, viel zu schade, um sie auf die Deponie bringen zu lassen. So wurden sie zum Baumaterial für die begrünte Garage, die sich unscheinbar an den Hang schmiegt, sodass sie fast zu übersehen ist. Im Laufe der Jahre erweiterten liebevoll gesammelte steinerne Artefakte wie ein Tisch aus Granit, Blöcke von Zebragneis bis hin zu einem Stein-Torbogen aus dem 16. Jahrhundert das Tax´sche Lapidarium. Den Torbogen verwendete er als Eingang zu seinem Gartenhäuschen, das Tochter Anna Maria als ersten Auftrag in ihrer Rolle als Architektin geplant hat. „Wäre ein umtriebiger Wirt …“ Weder Medizin noch Gartengestaltung waren in Luis Tax´ ursprünglichem Lebensplan vorgesehen, denn seine Familie sah ihn schon als Wirt im Bärnbacher Gasthof Tax, der sich seit dem Jahr 1900 in Familienbesitz befindet. „Ich wäre ein guter, ein umtriebiger Wirt geworden“, ist er überzeugt. „Ich singe gerne, spiele Harmonika und gehe auf die Leute zu. Ich habe schon als Bub im Gasthaus die Gäste unterhalten, während sich meine Mutter nach dem Mittagsgeschäft ausgeruht hat.“ Doch gegen Ende seiner Gymnasialzeit im Grazer Marieninstitut änderte eine Schnuppervorlesung an der Universität seine Lebensrichtung und er studierte Medizin. Nach wie vor ist er „sehr mit dem Gasthaus verhaftet“, das aufgrund seiner alternativen Berufswahl aber verpachtet ist. Die Entscheidung für die Chirurgie fiel Luis Tax leicht. „Ich hatte eine große Neigung zur plastischen Chirurgie und hatte das Glück, dass mein Arbeitgeber AUVA dieses Interesse sehr gefördert hat.“ So war Tax 37 Jahre lang am Grazer UKH tätig, konnte sich dort auf Mikrochirurgie spezialisieren und wurde zu dem renommierten Handchirurgen ausgebildet, der als einziger in Österreich spezielle Daumenrekonstruktionen durchgeführt hat. Dafür durfte er in Laibach, London und Shanghai lernen und hat jene Anerkennung im Beruf erfahren, die ihn für ständige Rufbereitschaft und unerwartete nächtliche Einsätze entschävor Defekten“, sinniert er. Fehlt nach einer Verletzung ein völlig zerstörter Körperteil, sei es wichtig, aus dem Verbleibenden ein ästhetisches Ganzes zu gestalten. Während im OP schnell eine Entscheidung zu treffen ist, wie Defekte zu füllen sind, hat Tax im Garten Zeit. Immer wieder entsteht ein neuer Mikrokosmos – neben dem bäuerlich angehauchten Hausgarten, der Teichanlage mit Wasserfall, dem japanischen Garten und dem mediterranen Südhang gibt es einen Schattengarten, eine Kakteenecke und diverse lauschige Plätze zum Verweilen. Jedes der Mikrorefugien trägt einen Namen: Poetenplatzerl, beim Steintisch, Frühstücksplatzerl, weil dort die Morgensonne hinscheint. „Und wenn mich meine Frau anruft und fragt, wo ich bin, und ich sage, ich sitze am Zenz-Bankerl, weiß sie Bescheid.“ Daumenspezialist und ambitionierter Gärtner mit seiner Gattin vor dem von der Tochter – sie ist Architektin – entworfenen Gartenhaus: „Unfallchirurgen haben Respekt vor Defekten.“ „Ich sage stets zu meinen Patienten: Sie wollen Erfolg haben – und ich will Erfolg haben.“ Luis Tax 14 Ærzte Steiermark || 05|2022 Ærzte Steiermark || 05|2022 15
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