AERZTE Steiermark | Mai 2022

Ærzte Steiermark || 05|2022 11 10 Ærzte Steiermark || 05|2022 cover cover S t u d i - ums , s o l l t e n mo d i - fiziert werden, um den Kadergedanken zu reduzieren und die intrinsisch humanistischärztliche Grundhaltung sowie Motivation zum ärztlichen Beruf wieder zu schärfen!“ Und Stipendien? Hier will das Land Steiermark über den Gesundheitsfonds ja neun Millionen Euro bereitstellen. Die ärztlichen Fachleute halten das weitgehend für eine Fehlinvestition: „Die wirkliche h o c h wie frühe r . I n s b e - sondere die finanzielle Abwicklung ist deutlich weniger aufwändig als in einer Wahlarzt-Ordination. Interessant ist auch, dass die Personen in Kassenarztordinationen, die diese so überbordend dargestellte Bürokratie erledigen – das sind aber meist nicht die Ärztinnen und Ärzte! –, diese gar nicht so überbordend wahrnehmen, wie wir aus persönlichen Gesprächen wissen“, sagen sie. Auch für Kassenallgemeinmedizinerin Glehr ist die Bürokratie nicht der „Kern des Problems des Ärztemangels“. Richard Brodnig meint dagegen, der Bürokratieabbau attraktiviere die Arbeitsbedingungen „grundsätzlich“. Ganz klar ist die Position von Arzt und Politiker Smolle. Für ihn ist der Bürokratieabbau „einer der wichtigsten Punkte“. „Wenn Organisation, Dokumentation und Qualitätssicherung einer medizinischen Tätigkeit mehr Zeit in Anspruch nehmen als die Tätigkeit selbst, dann ist das nicht nur eine Vergeudung von Personalressourcen. Es macht auch die Arbeit weniger attraktiv und befriedigend, als wenn sich Ärztinnen und Ärzte den Großteil ihrer Arbeitszeit ihrer ureigensten Tätigkeit für Problematik besteht darin, dass die Arbeit im öffentlichen Gesundheitssystem (Krankenhaus, Kassenstel le) so unattraktiv (gemacht) worden ist, dass junge Kolleg*innen andere Arbeitsmöglichkeiten bzw. die Arbeit in anderen Ländern bevorzugen“, warnen ÖGAM-Präsidentin Rabady und Präsidiumsmitglied Poggenburg. Harb und Harrer befürworten dagegen Stipendien, „insbesondere auch die Schaffung von bevorzugten Studienplätzen für jene Studierenden, die sich verpflichten, eine bestimmte Zeit im öffentlichen Gesundheitswesen zu arbeiten, insbesondere eine Kassenstelle anzunehmen“. Eine klare Ablehnung kommt von JAMÖObmann Brodnig: „Solche Verpflichtungen haben immer Möglichkeiten zum Ausstieg und das würden Personen ausnutzen. Außerdem kann ein*e Studienanf änger*in oft einfach noch nicht sagen, welches Fachgebiet ihn/sie interessiert.“ „Was geschieht mit denen, die sich statt zur Erfüllung der Stipendienkriterien doch für ein Leben in der Stadt oder im Ausland entscheiden?“, fragt Glehr und schließt an: „Mehr Landärzt*innen wird es erst geben, wenn diese für ihre Arbeit bessere Bedingungen bekommen.“ Der amtierende steirische Ärztekammerpräsident Herwig Lindner bezeichnet die aktuelle Stipendienübereinkunft mit einer Wiener Privatuniversität als „Panikvereinbarung“. Besser wäre es gewesen, die Kooperation mit der Medizinischen Universität Graz zu vereinbaren und dafür zu sorgen, dass das Steuergeld in Graz bleibt. Bürokratie Wie aber kann man die Attraktivität der Arbeit im öffentlichen Gesundheitssystem wieder steigern? Der Schlüssel scheint für nicht wenige die Bürokratie zu sein. Der Abbau ist für Zweiker „definitiv ein besonders wichtiges Ziel“. Die Allgemeinmedizinerin hat auch konkrete Vorschläge: „Anzustreben wäre eine diesbezügliche Servicefunktion der Ärztekammer, aber auch der Partner im Gesundheitssystem – Krankenhäuser, Kassen –, die im Allgemeinen einen großen bürokratischen Staff haben, der große Anforderungen stellt, aber für die Niedergelassenen mehr Hilfestellungen bieten könnte.“ Ähnlich Rabady und Poggenburg: „Die zunehmende Bürokratisierung ist sicher einer Herausforderung, sicher aber zu Teilen auch notwendig. Wünschenswert wäre eine Unterstützung bei bürokratischen Arbeiten, auch im Hinblick auf die Kommunikation mit den Sozialversicherungsträgern. Unterstützung, wie dies in den PVEs durch Manager erfolgt, sind sicher für alle Praxisformen wünschenswert“, sagen sie. Posch andererseits kritisiert Infrastrukturmängel, „zum Beispiel fehlende Stationssekretariate“. Anders sehen das die ÖGKLandesstellenausschuss-Vorsitzenden Josef Harb und Vinzenz Harrer: „Die Bürokratie in einer Kassenpraxis wird gemeinhin überschätzt. Durch e-card, elektronische Krankschreibung und die automatisierte Abrechnung ist die Verwaltungstätigkeit in einer Kassenpraxis längst nicht so die Patientinnen und P a t i e n t e n w i d m e n könnten“, argumentiert er. „Die überbordenden Dokumentations- und Administrationsaufgaben, die den Mediziner*innen abverlangt werden, reduzieren die Attraktivität des Ärzt*innenberufs maßgeblich“, warnt auch der Rektor der Medizinischen Universität Graz, Hellmut Samonigg (siehe Kommentar KONTRA auf Seite 6). So bliebe real immer weniger Zeit für Patient*innen, „was die Berufsausübung in Österreich im Vergleich zum Ausland, in welchem derartige Aufgaben zunehmend von einer gesonderten Berufsgruppe übernommen werden, zusätzlich erschwert“. Niemand habe etwas gegen notwendige Dokumentation und sinnvolle Verwaltung, betont auch Lindner. Aber: „Was zu viel ist, ist zu viel. Bürokratie verursacht Bürokratie – das besagt das Parkinson’sche Theorem“, sagt er. Und weiter: „Sinnlose Bürokratie gehört weg. Patientenferne Schreibtischtäter*innen wissen nicht, was notwendig ist und was nicht.“ Das Übermaß an Bürokratie sollte durch „mehr Service der Ärztekammer“ abgefedert werden, nimmt der künftige Ärztekammerpräsident Sacherer auch die eigene Institution in die Pflicht. Bezahlung „Zumindest sol lte sichergestel lt sein, dass Ärzt*innen aller Fachrichtungen gleiche Einkommensverhältnisse haben“, verlangen Rabady und Poggenburg. Solange Arbeitsfelder außerhalb des öffentlichen Gesundheitssystems so viel attraktiver seien (und auch gemacht würden), werde das Problem weiter existieren. Meister ergänzt: „Zumindest innerhalb Österreichs sollten die Gehaltsansätze nahe beieinander liegen. Momentan geht die Schere aber weiter auf. Das Gehalt spielt immer eine Rolle bei Fragen der Attraktivität.“ Zweiker spricht sich für eine „bessere und treffsicherere Korrelation zur vorhandenen Qualifikation – Ultraschall, Zusatzausbildungen, DMP … – und zur erbrachten Leistung“ aus. Kein Problem können die steirischen ÖGK-Spitzen Harb und Harrer orten: „Die Verdienstmöglichkeiten durch einen Kassenvertrag sind gut. Beispielsweise erwirtschaftet eine Hausarztpraxis mit allen Kassenverträgen in der Steiermark im Durchschnitt einen Umsatz von ca. EUR 300.000,–, sodass nach Abzug von Sozialversicherung und (Personal-)aufwendungen von einem Einkommen vor Steuern in der Höhe von rund 140.000 Euro bei einer Vollzeittätigkeit ausgegangen werden kann. Dies geht leider immer wieder in der Diskussion um Einzeltarife unter. Abhilfe könnten pauschale Honorierungssysteme mit Grund- und Fallpauschalen schaffen.“ Ein Ja zu besserer Bezahlung kommt von Smolle, „allerdings“ – so schränkt er ein – „in erster Linie mit dem Ziel der Ausgewogenheit der Verdienstmöglichkeiten im öffentlichen Krankenhaus und im kassenärztlichen Bereich im Vergleich zur Privatmedizin“. Die sei „einer der wesentlichen Hebel, um der Entwicklung einer ZweiklassenMedizin entgegenzusteuern“. Ein uneingeschränktes Ja zu besserer Bezahlung kommt hingegen von Spitalsarzt Posch. Konkret wird der Allgemeinmediziner und amtierende steirische Kurienobmann der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, Christoph Schweighofer: Die Honorare von Kinderärzt*innen müssten denen der Internist*innen angepasst werden; Kassengynäkolog*innen müssten so gut honoriert werden, dass sie locker das Einkommen wahlärztlich tätiger Kolleg*innen erreichen. Kassenärztlich tätigen Al lgemeinmediziner*innen müssten die gleichen finanziellen Zuschüsse gewährt werden, wie sie für eine PVE vorgesehen sind. Die Fortzahlung eines Basisbetrages im Krankheitsfall oder Urlaub müssen Mehr Studienplätze Stipendien mit Selbstverpflichtung Gezielte postpromotionelle Ausbildung Bessere Bezahlung „Die überbordenden Dokumentations- und Administrationsaufgaben, die den Mediziner*innen abverlangt werden, reduzieren die Attraktivität des Ärzt*innenberufs maßgeblich.“ Hellmut Samonigg Wie bekämpft man den Ärztemangel? Andrea Siebenhofer-Kroitzsch hat gemeinsam mi Florian L. Stigler, Carolin R. Zipp, Klaus Jeitler und Thomas Semlitsch erforscht, welche Methoden zur Bekämpfung des Ärztemangels international diskutiert werden. Das Ergebnis wurde 2021 im Journal Family Practice veröffentlicht. Es ging – angesichts des Autor*innen-Teams und des Journals nicht überraschend – nur um den Mangel an niedergelassenen Allgemeinmediziner*innen. Die Studie bewertete die Maßnahmen nicht, sondern ging der Frage nach, welche in der wissenschaftlichen Literatur behandelt wurden. Zehn Maßnahmenkataloge (Policy Documents) und 32 Überblicksarbeiten wurden herangezogen. 12 (11,8 Prozent) der Maßnahmen widmeten sich dem Universitätszugang, 11 (10,8 Prozent) der unversitären Ausbildung, 17 (16,7 Prozent) der postpromotionellen AllgemeinmedizinAusbildung, 25 (25,5 Prozent) der Arbeitserfahrung in der Allgemeinmedizin, 12 (11,8 Prozent) der Funktion der Politik, 8 (7,8 Prozent) den Rekrutierungsproblemen, 10 (9,8 Prozent) der Produktivitätssteigerung und 6 (5,9 Prozent) der Erhöhung der Zahl der Allgemeinmediziner*innen. Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Thema in vielen Staaten auf der Agenda steht und es ganz offensichtlich die eine alle Probleme lösende Maßnahme nicht gibt.

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